Ein kleiner Krieg zum guten Zweck
Samstag, 13. Dezember 2003
Ein kleiner Krieg zum guten Zweck

Niemand konnte mir genau sagen, wie viele Erdnüsse in einen durchschnittlichen Heizöltank passen. Ich habe es überprüft und Sie wären erstaunt. Es sind eine ganze Menge.

Ja, ich bin schon sehr verrückt. Ich gehöre zu den gefährlichen Leuten, die das wissen und dadurch auf berechnende Art und Weise unberechenbar sind. Im Treppenhaus riecht es wieder nach gekochtem Kohl. Ich habe wirklich alles versucht. Von friedlichen Maßnahmen wie verständnisvollen, ruhigen Gesprächen, bis hin zu der Art von blödsinnigen Nachbarschaftskriegsakten, über die Sie mit Recht den Kopf schütteln würden. Aber diese Frau Jonasek von der Wohnung gegenüber hat eine Fixierung auf Weißkohl, manchmal auch Rosenkohl und an Feiertagen auch mal Rotkohl. Die Hauptsache scheint für sie zu sein, dass es im ganzen Treppenhaus danach riecht und das man ordentlich davon pfurzen muss. Frau Jonasek ist zweiundachtzig und ihre Kinder leben in London, New York, Paris oder himmelwerweißwo man jetzt gerade leben muss, um mitreden zu können. Sind nie bei ihrer Mutter, nur hin und wieder, um der Alten ihre Ersparnisse abzuzocken, die dann für irgendeinen Modescheiß, wie zum Beispiel Armbanduhren aus Schokolade, ausgegeben wird. Das sind für mich die wirklich gefährlichen Verrückten: Die, die es nicht mitkriegen. Sie sehen schon, Frau Jonasek ist eine arme, alte Sau. Sie steht meistens vorm Herd und zerkocht irgendeine Kohlsorte zu Suppe. Für die ganze Familie, die gar nicht mehr in der Form existiert, die Frau Jonasek abgespeichert hat. Weil bei ihr scheinbar ein Notfallprogramm aus schlechten Tagen läuft und es nicht mehr abzuschalten ist. Und sie hofft, dass es vielleicht funktioniert, wenn sie nur hartnäckig genug dranbleibt. Und sie glaubt, dass doch keiner sie allein lassen müsste - ist doch immer genug zu essen im Haus. Und keiner schüttelt sie und schreit ihr ins Gesicht, dass ihr Mann vor Jahren eingegraben wurde, und ihre Kinder zum kotzen und schwer krank im Kopf sind. Aber das ist auch keine gute Idee. Weil dann würde sie einfach aufhören zu atmen, obwohl das manchmal nach einer echten Alternative aussieht. Darum halte ich diesen Nachbarschaftskrieg für keine schlechte Sache. Das hält die arme Frau ein bischen fit und sie hat ein Ventil, aus dem sie Dampf ablassen kann. Jahrelang immer nicken und ja sagen - da wundert es einen doch, dass sie plötzlich unkonventionelle Ideen produziert. Ich hab nicht schlecht gestaunt, als sie das Wischwasser vom Flur bei mir unter der Tür durchgeschüttet hat. Das muss ihr einen Heidenspass gemacht haben. Da nahm ich dann auch gern in Kauf, dass mein Teppich im Arsch war. Und es war ein teurer Teppich. Sie müssen wissen, dass ich nicht arm bin. Ich bin einer von diesen Werbefachleuten, die sich tolle Ideen zum Anpreisen von Scheisskram einfallen lassen. Und ja, bei der Gelegenheit dürfen Sie gerne fragen, ob das Absicht ist, dass die Werbung einem Ekelschauer über den Rücken jagt und man kotzen möchte oder diese Idioten in die Luft jagen möchte, die so einen Blödsinn ausbrüten, aber man einfach nicht weg kann. Und jetzt raten Sie mal, was die Antwort darauf ist. Natürlich durfte unser Kleinkrieg mit der Teppich-Aktion meiner persönlichen Patientin nicht enden. Ein Sieg wäre zuviel gewesen für ihre schwachen Organe. Eine Vergeltungsaktion musste geplant und ausgeführt werden. So ließ ich also eine beträchtlich Menge Erdnüsse anliefern und im Heizöltank einfüllen. Das gab natürlich Riesenärger und schadete auch mir selbst, und für ein paar Tage musste ich einen elektrischen Heizlüfter verwenden, um mich zwischendurch aufzuwärmen. Aber für die Pflege und Instandhaltung meiner Seniorin war ich bereit, Opfer zu bringen. Wie erwartet brachte die Klimaveränderung die Nachkriegsimrovisationskünste der alten Dame wieder richtig in Fahrt. Einen Moment lang machte ich mir Sorgen, ob sie vielleicht noch Naziwaffen von ihrem Alten unterm Bett liegen hatte. Aber ich schätze, was Reflexe angeht, konnte ich ihr jede Flinte bequem aus der Hand nehmen, bevor etwas passierte. Außerdem hätte sie nicht genug Schmalz in den Armen, um ein ernstzunehmendes Mordinstrument überhaupt halten zu können. Ich hatte im Garten ein bisschen Blumenzeug gesät und zählte die Tage, bis Frau Jonasek darauf kam, es kaputt zu machen. Nach der Öltank-Geschichte war es dann endlich soweit. Sie dreschte auf meine Beete ein und es war eine wahre Freude zu sehen, wie lebendig und agil sie plötzlich war. Gartenvernichtungsarbeit scheint genauso gesund zu sein wie ihr weithin verbreitetes Gegenteil. Eines Tages stand dann eins von ihren Blagen vor mir und hoffte ernsthaft, dass seine Markenfetische irgendeinen Eindruck auf mich machten. Junior versuchte es mit schnoddriger Hochnäsigkeit, die ich ihm nicht erlaubte. Als Mark Jonasek merkte, dass der Zauber des Design-Scheins an mir abperlte wie die verdorbene Kohlsuppe, die seine Mutter mir einmal von oben über den Kopf gegossen hatte, als ich gerade die Treppe hochkam, versuchte er es mit albernen Drohungen. Anwälte. Pah! Komm mir nicht Gesetzen, Junge! Sonst könnten wir ja auch einen Blick in die Wohnung Deiner Mutter werfen und zu dem Schluss kommen, dass unterlassene Hilfeleistung noch ein Lob mit Sternchen wäre für so eine polierte Zuckerschwuchtel wie Dich und Deine blasierten Geschwister. Er versuchte es noch einmal mit Dohungen, gab dieses Spiel aber noch vor der zweiten Halbzeit auf. Das war noch alberner als sein High-Society-Gehabe und er wirkte verzweifelt. Ich bot ihm eine Lösung an: Wenn er seine Mutter öfter besuchen würde und mir verspräche, dass er nicht nur zum Geld abholen käme und ich eine sichtbare Verbesserung am Zustand seiner Mutter erkennen könne, dann wäre ich bereit den Streit mit ihr beizulegen. Das hatte ihn total aus der Bahn geworfen, denn ich schätzte sein Abstraktionsvermögen etwa auf der Stufe eines Spulwurms ein. Aber ich schien grundlegende Denkprozesse angeregt zu haben. Zu Weihnachten schenkten sie ihr ein echt angesagtes Parfum - von ihrem eigenen Geld! Es hatte noch ein paar subtiler Denkanstösse in Richtung von Mark und seinen Geschwistern bedurft und niemand kann genau sagen, was Frau Jonasek mit so einem In-Duftwasser anfangen sollte. Aber sie freute sich beinahe kaputt und es war ein Schritt in die richtige Richtung. Wie versprochen stellte ich den Kleinkrieg ein, ließ bei der alten Dame eine Kohldunstabzugshaube installieren und ertappte mich manchmal dabei, wie ich mich nach den Zeiten sehnte, in denen ich von Wischwasserattacken überrascht wurde.

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großartig!

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:)

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Genial!

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