Donnerstag, 15. Januar 2004
Die Skeptikerin - Eine Kindergeschichte
Albtraumjaeger
22:55Uhr | tag:
Anna saß im Kindergottesdienst. Das war so ziemlich der schlimmste Ort, den sie sich vorstellen konnte. Eine Stunde lang mussten sie singen, beten, zuhören, mitsprechen, aufstehen und sich wieder hinsetzen. Wenn sie es sich überlegte, war das fast richtiger Stress. Allerdings der langweiligste Stress, den sie je erlebt hatte. Und jetzt kamen die Kleingruppen! Die Kinder mussten sich in mehrere Gruppen aufteilen (Jungen und Mädchen immer schön getrennt) und mit einem Erwachsenen mitgehen, der ihnen dann „von Gott erzählte.“ So nannten sie es. >>> (details inside) Heute ging es um das Beten. Wie das geht. Komisch. Eigentlich machten sie doch seit Jahren in den Kindergottesdiensten kaum etwas anderes. Und jetzt erklärte ihnen Herr Dunkelau, der Presbyter, wie man betet. Zu spät, fand Anna. Hatte sie sich in den letzten Jahren also ganz umsonst angestrengt. Wusste ja gar nicht, wie man das richtig macht. Hätte sie das nur früher geahnt! „Zu Gott zu beten ist, wie man ihn anruft. Wie Telefonieren.“ sagte Herr Dunkelau. Anna war die Frage zu blöd, aber auf Britta war Verlass: „Und wie ist die Nummer?“ Britta fragte immer so. Ein bisschen naiv mit einem Hauch von Spott. Gerade so wenig, dass man den Gruppenleiter nicht wirklich in Schwierigkeiten brachte und er sich eine kluge Antwort zurechtlegen konnte. Britta war eine absolut professionelle Schleimerin. „Man telefoniert natürlich nicht wirklich mit Gott,“ sagte Herr Dunkelau nachsichtig lächelnd. „es ist nur die Art, wie man mit ihm spricht. So direkt und privat. „Und was sagt Gott so, wenn sie mit ihm sprechen?“ fragte Anna gelangweilt. „Ich wette um eine Millionen, dass er überhaupt noch nie was gesagt hat, oder?“ Herr Dunkelau starrte sie verärgert an. „Natürlich antwortet er,“ sagte er. „Man muss nur genau zuhören.“ „Das verstehe ich nicht,“ antwortete sie. „Es kann doch wohl nicht angehen, dass Gott, der tolle Gott, nicht so antworten kann, dass man ihn auf Anhieb versteht.“ „Doch!“ Herrn Dunkelaus bleiches Gesicht hatte endlich mal etwas Farbe bekommen. „Er will eben, dass man sich auf das konzentriert, was er sagt. Weil es wichtig ist für Dein ganzes Leben.“ Anna hatte solche Diskussionen schon so oft mit ihm geführt, dass sie rein reflexartig antwortete: „Heißt also: Wer nicht in der Lage ist, so still und konzentriert zu sein, Gott zu hören, hat eben Pech gehabt und kommt nicht in den Himmel, oder was? Hatten sie nicht mal was davon gesagt, dass Gott lieb und gnädig und verständnisvoll ist und so?“ „Es ist eben alles ein wenig komplizierter, als Du es hier darstellst,“ entgegnete der Presbyter. „Ach so. Und ich dachte, mit Gott zu reden ist wie telefonieren. Telefonieren finde ich eigentlich ziemlich einfach.“ Anna hatte für heute genug. Auf der Anwesenheitsliste stand sie drauf und das war das Wichtigste. Zur Konfirmation würde sie schließlich so viel Geld bekommen, dass sie die vergeudeten Sonntage schnell vergessen würde. Sie murmelte etwas von Bauchschmerzen und Toilette und ging aus dem Gemeindehaus. Es war kalt, aber die Sonne schien bereits zwischen den Wolken hindurch und einige Vögel saßen in den noch kahlen Sträuchern und zwitscherten. Als Anna an dem weinroten Audi vorbeikam, nahm sie einen Stein und kratze einmal an der Seite des Autos entlang. Es gehörte Herrn Dunkelau. Sollte er doch Gott bitten, ihm die Reparatur zu bezahlen. Sie blickte sich um. Niemand hatte sie gesehen. Vor der Kirche stand ein Grüppchen Russlanddeutscher, die warteten, dass sich die Kinder zum Abschluss in der Kirche versammelten. Und während die Kinder nach Hause gingen, hielten die Russlanddeutschen Abendmahl. Dabei war doch Mittagszeit und zu Hause gab es was Anständiges! Anna verlies den Kirchplatz und machte sich auf den Weg nach Hause. Es waren nur fünf Minuten zu Fuß. Was machten bloß all die Leute hier jeden Sonntag? Irgendetwas musste sie einfach nicht verstanden haben. Immerhin waren das Erwachsene! Und sie bekamen kein Geld dafür, dass sie sich jeden Sonntag hierhin quälten. Anna ging etwas schneller. Sie hatte Hunger. Anfangs, wenn sie sich im Kindergottesdienst schlecht benommen hatte, hatte sie Angst gehabt, zur Strafe würde ihr etwas auf dem Nachhauseweg passieren. Ein Auto würde sie anfahren, oder ein Baum auf sie drauffallen. Doch nichts war geschehen. Und auch heute würde sie ganz normal zu Hause ankommen, sich an den Mittagstisch setzen und mindestens drei Klöße essen. Sie dachte an Lisa, die Tochter ihrer Nachbarn. Lisa war dieses Jahr in den Konfirmandenunterricht gekommen und hatte nicht einen einzigen reichen Verwandten, der ihr zur Konfirmation was Großes schenken könnte. „Wenn ich Bundeskanzlerin wäre,“ dachte Anna, „würde ich sofort einen festen Stundenlohn für Kindergottesdienstbesuche ins Gesetz schreiben. Damit auch ärmere Kinder wie Lisa was davon haben.“ Für so etwas gab es irgendwie kein Gebot in der Bibel. Endlich war sie zu Hause. Aus der Küche roch es nach Suppe und Braten. Jetzt fing der Sonntag richtig an. ... Comment
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