Mittwoch, 11. August 2004
Rätselentlüftung
Wo ich bisher war, wen´s interessiert, und wo ich wieder hingehen werde. Prolog: Ich dokumentiere den Selbstversuch, den ich während meiner Abwesenheit aus der üblichen Welt durchführen werde. Es kann sein, dass sich diese Dokumentation im Nachhinein als zu privat, langweilig, oder beides herausstellt und dann werde ich sie vermutlich nicht veröffentlichen. Ich werde vorerst keine Angaben über meine Pläne machen. Nicht, weil sie noch nicht konkret genug sind. Sondern, weil man auf diese Weise nicht überprüfen kann, ob und wie erfolgreich ich war. Die Einzelheiten werden sich ohnehin im Laufe der Zeit offenbaren. Im Besten Fall werde ich am Ende ein besserer Mensch sein. Tag 1: Aus- und Einreise
Der Tag beginnt um 9 Uhr in Bielefeld. Einige (hoffentlich alle) benötigten Dinge liegen auf einem Haufen in der Mitte meines Zimmers. Nach dem Kaffeetrinken mit meinen Eltern fahre ich mit ihnen noch kurz zur Universität, um Bücher verlängern zu lassen, andere auszuleihen. Mutter wartet in der Halle, Vater kommt mit, stellt Fragen, die ich zu beantworten versuche. In der Bibliothek ist es unerwartet schwülwarm. Ich dachte, hier wäre es klimatisiert. Danach fahre ich mit meinen Eltern nach Oerlinghausen, wir unterhalten uns nett während der Fahrt. Wir gehen einkaufen (erst beim Edeka {Fleisch [Schweinelachsschnitzel am Stück, Fleischwurst, Kochschinken]}, dann beim Aldi {Saft, Tee [Kamillentee, Magen-Darmtee, Hagebuttentee, Pfefferminztee], Honig, Karotten, einen Malblock [DIN A3]}). Vom Aldi aus gehe ich mit der Mutter zu Fuß zur Waldhütte, der Vatter fährt den Polo und die Einkäufe dorthin. Erst kommen wir an Hühnern vorbei. Mutter kennt das schon, die kommen sofort her, nehmen alles an Grün, was wir ihnen über den Zaun werfen, dankbar an. Wir kommen an der Einfahrt zum Hudeweg vorbei, ich frage, was eine Hude ist. Mutter meint, es sei ein Bach am Dümmer. Ich denke erst, dass sei so ein lokaler Begriff für das Wort "Bach" in der Gegend da. Ein Missverständnis, das wir klären können. Wir kommen ein zweites Mal am Hudeweg vorbei. Schöne, kleine Häuschen liegen daran. Er verläuft wohl U-Förmig, der Weg. Dann geht es einen schmalen Pfad durch den Wald entlang, wir reden über Pilze, die hier scheinbar nicht wachsen, obwohl das hier soetwas wie ein Urwald ist und ich erzähle von den Pilzen (vermutlich Maronen), die um unser Wohnheim herum wachsen. Dann kommen wir auch schon in der kleinen Waldsiedlung an, irgendwann kommt mir die Gegend auch bekannt vor und da ist schon die Hütte von meinen Eltern. Ich bin hier in der Gegend noch nicht herumgekommen. Das werde ich in den nächsten Tagen wohl nachholen. Vater ist natürlich schon da. Wir bringen die Sachen ins Haus. Ich begutachte die neuesten bautechnischen Veränderungen an der Hütte (faule Holzlatten unter einem der Fenster wurden entfernt, Silikondichtmasse wurde an den Fugen des Unterbaus angebracht, neue Holzlatten wurden zur Montage vorbereitet {mit Beize im Farbton Palisander [aus der Mode gekommene Tropenholzart], der aber nicht so recht zu passen scheint [ich merke an, dass der Ton im Laufe der Zeit vielleicht dunkler wird]}; ein schmiedeeisernes Rankgerüst für Rosen wurde angebracht, darunter muss jetzt nur noch eine Steinplatte raus). Wir kommen an der Wasserpumpe vorbei, Vater setzt zu der Erklärung an, wie sie funktioniert, ich überrasche ihn mit dem konservierten Wissen vom letzten Mal. Wir machen Essen. Beim Kräuter holen im Garten erklärt die Mutter mir alle Pflanzen, die sie gepflanzt hat, nebst derzeitigem Status ihres Gedeiens. Ich weiß, dass die Kanickel hier alles auffressen, wenn man es nicht entsprechend mit kleinen Drahtzäunen sichert. Beim ersten Rundgang mit dem Vater durfte ich mich des akuraten Zustandes der Schutzvorrichtungen rund um die Pflanzungen vergewissern. Ich erkundige mich, ob das untere Ende der Zäune eingegraben wurde, der Vater weicht der Frage aus. Ich frage, ob die grünen Dekodrahtzäunchen nicht etwas zu lasch wären für diese ausgefuchsten Häschchen und werde mit überzeugten Erklärungen beruhigt. Dann essen wir. Dann machen wir Kaffee. Der Vatter legt sich aufs Ohr, bis viertel nach vier, und dann will er Tee, sagt er. Ich schreibe und trinke Milchkaffee. Ich gehe aufs Klo. Eine der unangenehmen Seiten, wenn man in der Waldhütte ist, ist, dass man sich Gedanken über das aufs Klo gehen machen muss. Egal, wie oft man diese Instruktionen schon bekommen hat, der Vatter geht davon aus, dass man es längst wieder vergessen hat. Und er will ja auch nachher nicht hören, da hätte keiner was von gewusst. Nach dem Pinkeln soll man nämlich nicht so ausgiebig spülen, sonst ist die Grube bald voll. Man beginnt zwangsläufig, sich für den Füllstand der Grube verantwortlich zu fühlen und zu überlegen, ob man wirklich so dringend aufs Klo muss. Mutter kommt und sagt, der Bach beim Dümmer hieße Hunte, aber Hude sei ein Dorf bei Oldenburg. Ich glaube, sie sagte Oldenburg. Entweder ich höre nicht mehr richtig zu, oder ich vergesse schneller, oder beides. Das Gehirn. Der Vater ist längst wieder wach. Während ich mir alles nochmal durchlese, trinkt er seinen Tee, sitzt mit der Mutter draußen und löst Kreuzworträtsel. Eigentlich löst die Mutter zum großen Teil das Rätsel, Vati fragt nur und trägt dann die Buchstaben ein. Ich sitze hier immer noch drinnen am Tisch und schreibe. Ich beschließe, für heute erstmal Schluss zu machen und rauszugehen. Ich löse Kreuzworträtsel, lese. Nicht mehr und nicht weniger. Tag 2: Vorbereitungen
Werde um 7.00 geweckt. Soll frühstücken. Will schlafen. Eltern frühstücken laut. Stehe auf. Ab morgen wird das anders. Zu meiner Verteidigung: Ich bin zur selben Zeit schlafen gegangen, wurde aber durch Schnarchlaute wachgehalten. Ausgerechnet von dem, der mich mit einem sadistisch vergnügten "Moin, Kleiner" aus dem Schlaf riss. Erwähne beim Frühstücken, dass einer der Nachbarn, die ganze Nacht irgendetwas zersägt hat, die Mutter sagt, ach ja, daran bist Du ja nicht gewöhnt. Der Vater grinst. Gespräch über schlecht gelaunte Verkäuferin in der Tankstelle, wo sie Sonntags Brötchen verkaufen. Die Eltern fahren zum Flohmarkt. Ich versuche, noch ein wenig zu schlafen. Klappt aber nicht. Klar, wach ist wach. So ist das bei mir. Versuche es für das vorerst letzte Mal mit Fernsehbestrahlung. Langweiliger Scheiß. Liege im Garten und finde die Kiefern um mich herum immer noch schön. Statt Rasen wächst hier hohes Moos. Finde ich viel schöner, weicher und überhaupt. Vertikutiergeräte sollten verboten gehören. Aus Langeweile beginne ich, das Mittagessen zuzubereiten. Viel zu früh, sollte sich später herausstellen. Die Eltern kommen wieder. Mutter hat ein Glockendings gekauft, mit dem Besucher dann klingeln dürfen, wenn sie es finden, wo es jetzt hängt. Ich habe mir für heute noch nichts vorgenommen. Ein paar Vorbereitungen vielleicht, sobald die Eltern abgereist sind. Ab morgen geht es dann los. Der Vater beendet seine Reparaturen unter dem Fenster. Ich trinke Kaffee mit der Mutter und sie setzt die Führung von gestern fort und zeigt mir, was sie so unter und hinter den Bäumen gepflanzt hat. Danach liege ich herum und lese. Irgendwann fahren die Eltern davon. Ich schneide mir die Haare. Sehe fern, breite meine Sachen aus. Morgen dann. Tag 3: Esst mehr Obst
Wache irgendwann auf und höre Radio 5. Liege in der Sonne. Dann gehe ich wieder ins Haus und höre Radio 5. Dann esse ich eine Mango. Den Kern lege ich draußen in eine Schale mit Wasser. Ich glaube, erst muss das Fruchtfleisch wegfaulen, sonst braucht man den Kern garnicht erst einpflanzen. Abwechselnd liege ich in der folgenden Zeit in der Sonne oder sitze im Haus und höre Radio. Mindestens ein dutzend Zecken erwische ich dabei, wie sie auf mir herumkrabbeln und sich eine hübsche Stelle suchen, um mich anzustechen. Ich schnippse sie draußen weg. Als sie immer noch nichts gelernt haben, zerdrücke ich eine mit einem Bleistift auf einer Kachel des Wohnzimmertisches. Knackt erstaunlich laut. Ich koche Hagebuttentee. Im Folgenden höre ich auch draußen Radio, habe es drinnen entsprechend laut gedreht. Sonnenbaden ist irgendwie nichts für mich. Zu warm, zu hell, zu langweilig. Mir fällt immer irgendwas anderes ein oder ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich noch nicht mit der Arbeit begonnen habe. Finde im Badezimmer Sonnenmilch zum aufsprühen. Probiere ich aus. Muss dann doch wieder sonnenbaden, um das Eincremen zu rechtfertigen. Dann siegt doch das Gewissen. Ich sichte meine Arbeitsmaterialen, sortiere sogar schon einmal ein Buch aus. Fühle mich beruhigt, bestätigt, erfolgreich. Vielleicht werde ich gleich noch einen kleinen Spaziergang machen, oder eine Runde mit dem Rad drehen. In der Gegend habe ich mich nämlich immer noch nicht umgeschaut. Vielleicht werde ich das heute Abend machen und erst einmal Tom Sawyer weiterlesen. Ja, so. Im Westen ist noch sehr viel Wald und sehr viele Hütten, im Osten beginnt scheinbar das Industriegebiet von Oerlinghausen. Jetzt höre ich wieder Radio. Und gieße die Blumen. Tag 4: Natriumsulfat-Decahydrat
Wache kurz nach 10 Uhr auf. Vielleicht sollte ich mir mal einen Wecker stellen, morgen. Bereite zum ersten Mal in meinem Leben eine Glaubersalzlösung zu. Versuche, möglichst wenig Wasser zu verwenden, damit man das Zeug eventuell in einem Zug runterschütten kann. Ich rühre das Salz in einem Kölschglas an, stelle mir ein Glas Mineralwasser bereit. Das Runterschütten klappt, es schmeckt salzig und schwefelig. Einige Sekunden kämpfe ich gegen das unterschwellige Bedürfnis, das Zeug wieder auszuhusten. Gehe umgehend aufs Klo. Na, das klappt ja. Höre Radio, sitze in der Sonne und trinke Magen- Darmtee. Tag 5: Intanett und Christians Geburtstag
Es ist 7.30 Uhr, als ich auf die Uhr sehe. Draußen regnet es ein bisschen. Aber das ist nicht schlimm. Die letzten Tage war ich so oft draußen und habe die Sonne genutzt, da kann man auch mal drinnen bleiben. Zumal ich jetzt auch weniger Ausreden habe, mich nicht den Büchern zu widmen. Lese aber erst einmal Tom Sawyer. Ich werde heute auch einen kleinen Spaziergang durch den Wald machen. Regenwaldluft ist nämlich eine besondere Delikatesse. Ich werde auch ein wenig Saft einkaufen. Mir fällt auf, dass ich nur meine Hausschlappen hierher mitgenommen habe. Also stapfe ich im Regen in Schlappen durch den Wald und denke: Hier kennt mich ja keiner. Höre Musik, die Kraken Aquanaut und folge dem schmalen Waldweg. Würde mich nicht wundern, wenn zwischen den Bäumen irgendein bizarres Monster auftreten würde, überhaupt nicht. Im Aldi kaufe ich Klopapier und Apfelsaft, dann gehe ich rüber zum Löschdepot, was ein Getränkemarkt ist. War noch nie in so einer Löschdepot-Filiale, aber diese hier ist echt beeindruckend schäbig. Man kann zwar zwischen 145 Sorten Bier auswählen, aber es riecht so, als würde hier regelmäßig die eine oder andere Kiste auf dem Boden entleert. Ich wollte mich umsehen, ob es hier noch etwas anderes als Apfel-, Orangen- oder Multivitaminsaft gibt. Von verschiedenen Herstellern gibt es Apfel-, Orangen-, aber auch Multivitaminsaft. Ich entdecke noch ein Regal, in dem Traubensäfte stehen. Ich kaufe zwei Flaschen Traubensaft. Irrtümlicherweise möchte ich sie bei einem fetten, hässlichen Mann in dem albernen Kassenpavillion bezahlen, der aber scheinbar hauptberuflich Privatgespräche per Telefon führt und Zigaretten raucht. Eine Frau, die eifrig in den Regalen herumräumt, entdeckt mich und nimmt mir Geld ab. Auf den Rückweg ist es nicht weniger regnerisch. Zurück bei der Hütte räume ich alles ein, koche mir gerade einen Tee, da geht die Tür auf. Der Vatter ist da, ich soll mit nach Bünde kommen und das Internet reparieren. Das habe ich dann auch gemacht. Auf dem Rückweg zeigt mir Vater den Flugplatz. Dort starten und landen Flugzeuge. Vater zeigt mir, wie die Flugzeuge vor uns starten und wenn sie landen. Abends sind wir dann wieder bei der Hütte. Feierabend. Tag 6: Peristaltik
Heute ist nicht viel passiert. Und wenn sich nichts daran ändert, ändert sich nichts daran. Morgen habe ich Geburtstag. Eigentlich bin ich gespannt, obwohl ich nichts Großes erwarte. Keine Geburtstagstorte, kein Geburtstagsessen, keine Überraschungsgeschenke. Meine Eltern werden kommen, sonst wohl keiner. Das war auch Absicht, denn ich habe ja niemandem verraten wo ich bin. Obwohl, könnte mittlerweile sein, deshalb bin ich ja gespannt. Abends noch etwas über Hermeneutik gelernt. Tag 7: Keine Wunderkerzen
Heute habe ich Geburtstag. Die Eltern kommen gegen Mittag. Da ich faste, gibt es keinen Geburtstagskuchen. Christian kommt zu Besuch. Wir sitzen zusammen und unterhalten uns. Auf dem Tisch liegt Schokolade. Die Sache mit dem Fasten kommt mir plötzlich irgendwie doof vor. Ich habe Hunger. Esse eine Melone, einen Pfirsich. Die Sache mit dem Fasten wird für beendet erklärt. Nahrungsangaben werden ab jetzt aus dem Protokoll gestrichen. Am Abend rufen alle an und gratulieren. Der Rest des Tages verläuft relativ ereignislos. Tag 8: Wiedersehen
Nach dem Frühstück fahre ich mit Vater nach Bielefeld. Wir kaufen Gemüse (Tomaten, Petersilie, Aubergine) bei dem türkischen Gemüsehändler auf dem Uniparkplatzflohmarkt. Dann packe ich in meinem Wohnheim ein paar Schuhe und einen Schlafsack zusammen, die der Vater nach Oerlinghausen mitnimmt. Damit ist meine Ausrede für das nicht Joggen ausgeräumt. Ich hatte ja in den vergangenen Tagen nur meine Hausschlappen zur Verfügung. Ich trinke Kaffee mit meiner Mitbewohnerin Nina und wir plaudern ein bisschen. Putze mein Zimmer und sauge Staub. Dann fahre ich mit der Bahn nach Bünde. Ich hole Geld von der Bank, kaufe mir Zigarillos. Bei den Sonderposten im Eingangsbereich vom Marktkauf entdecke ich einen prämierten Chianti (mit DOCG-Auszeichnung und Hahnensiegel) für 3 Euro. Ein zweitausender Jahrgang. Leider sind nur noch zwei Flaschen da. Da ist auch noch Erdbeerwein für einen Euro. Davon nehme ich auch eine Flasche mit, sowas sollte man immer erst probieren, bevor man mehrere davon kauft. Nicht gekauft habe ich den Champagner für 10 Euro und den Sekt (mit Gratissektglas dabei). Die Kassiererin, ein hübsches türkisches Mädchen, ist etwas überfordert, weil sich vor ihrem improvisierten Kassentisch zwei Warteschlangen gebildet haben: eine neben sich und eine vor dem Tisch, wo auch ich stehe. Sie entschuldigt sich bei dem Jungen vor mir, falls sie ihn vielleicht hat warten lassen. Das ist mir sehr symphatisch, eine freundliche Kassiererin. Ich stehe an der Spitze meiner Schlange. Sie führt spontan das Reißverschlussverfahren ein, also bin ich erst einmal nicht dran. Das ist nicht schlimm, ich habe Zeit. Ich habe komischerweise fast immer Zeit, wenn ich einkaufe. Ich versuche, meine innere Ruhe körpersprachlich auszustrahlen, da die nette Kassiererin etwas gestresst wirkt. Ein Mobiltelefon klingelt laut, die Melodie stammt aus einem Michael-Jackson-Song. Die Kassiererin summt laut die Melodie nach, um die Stimmung an ihrer Kasse zu heben und damit niemand auf die Idee kommt, rumzunörgeln. Das macht Spass. Ich grinse. Sie freut sich auch, dass ihr Plan wohl Erfolg hatte. Ein Pärchen vor mir hat sich einen ganzen Einkaufswagen vollgeladen mit der Sekt/-glas-Kombination und anderen Sachen von diesem Wühltisch. Sie scheinen einen Mangel an Sektgläsern zu haben. An der Kasse sieht die Frau ihren Mann ganz verträumt an. Sie malt sich schätzungsweise aus, was die beiden mit der Puffbrause so anrichten können. Vielleicht ist das Getränk sogar fester Bestandteil ihres persönlichen Paarungsrituals. An dieser Stelle schaltet sich die Kindersicherung meines empathischen Hirnteils ein. Trinkt nicht alles auf einmal, denke ich noch so bei mir. Als ich mit dem Bezahlen fertig bin, summt die Kassiererin noch einmal die Handymelodie, sagt, das kriegt sie jetzt den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf. Ich verbummle den Nachmittag, wasche etwas Wäsche, die ich aus Bielefeld mitgebracht habe, nehme ein Bad. Abends fahre ich mit dem Rad zu Christians Geburtstagsfeier und habe eine Menge Spass. Matze schenkt mir ein Buch von Niklas Luhmann, über das ich mich sehr freue. Wir feiern sehr lange - ich schätze, bis vier oder fünf Uhr morgens - dann fahre ich zurück nach Hause. Tag 9: Nichts
Ich wache gegen Mittag auf, frühstücke eine Kopfschmerztablette und Mineralwasser. Da ich um drei oder vier Uhr morgens noch Unmengen an gegrillten Köstlichkeiten, Salaten und Brot in mich hineingestopft habe, verspüre ich keinen Appetit. Das Fasten hatte jedenfalls zwei positive Effekte: Der Magen ist etwas zusammengeschrumpelt, daher bin ich schneller satt, als vorher. Und ich achte vielmehr auf mein Essverhalten, esse kaum noch aus Langeweile, oder weil ich besonders Lust auf irgendetwas habe, sondern nur, wenn ich Appetit oder Hunger verspüre. Ich hoffe, diese Effekte halten ein Weilchen. Ich fahre mit dem nächsten Zug nach Oerlinghausen. Zufällig sitze ich mit Marcus und Sonja im Zug, die nach Bielefeld fahren. Wir unterhalten uns etwas über die Feier gestern. Auf meinem Hemd sitzt eine Raupe, bemerkt Marcus. Ich lasse sie auf meiner Hand herumwandern. Erstaunlich, wieviel Kraft in so einer winzigen, grünen Wurst steckt. In Oerlinghausen setze ich sie auf dem Grünstreifen aus. Meine Mutter holt mich vom Bahnhof ab. Angekommen in der Hütte esse ich, was die beiden von ihrem Mittagessen übrig haben. Den Rest des Tages verbringe ich vor dem Fernsehapparat. Christian ruft an und sagt, dass er mich am Mittwoch besuchen kommt. Ich werde wohl morgen und übermorgen echt was lernen müssen, wenn das mit der Prüfung noch was werden soll. Mir fällt auf, dass ich abends und so ganz allein in einer Waldhütte doch hin und wieder leichte Anflüge von Angst bekomme. So auf Dauer ist Einsamkeit nicht so gut für mich, stelle ich fest. Die romantische Idee vom Einsiedlerdasein stellt sich als fragwürdig heraus. Aber es ist nicht schlimm. Die klassische Horrorszene von durch den Wald streunenden, wahnsinnigen Mördern mit Äxten lassen sich relativ schnell verdrängen. Wie hieß der Spruch gleich: Angst kennen nur Menschen, die Phantasie haben. Ich werde jetzt noch etwas lesen. Tag 10: Hallenhalma
Ich wache auf, mache nicht viel, fühle mich dementsprechend, wie ein Versager sich so fühlt. Gegen Abend kommt Hirschi mit einem Kumpel, wir spielen ein Brettspiel, ich gewinne. Fühle mich nicht mehr ganz so schlecht. Tag 11: Tiefe
Der Tag verstreicht wieder ereignislos. Gegen Nachmittag kommt Christian mit dem Rad an. Wir sehen uns Filme an und essen und trinken Rotwein. Ich sehe, dass die Protokolle immer kürzer werden. Ich schreibe auch meistens zwei an einem Tag. Kurz, bevor es droht, keinen Sinn mehr zu machen. Der Unterhaltungswert meines Tagesgeschehens sinkt auf einen Minimalwert. Vielleicht gibt der eine oder andere das Lesen auf, was ich verstehen könnte. Es ist ja doch etwas frustrierend, so eine ständige Versagernummer mitzuverfolgen. Was soll`s, ich werde vielleicht wenigstens diese eine Sache mit dem Protokoll durchziehen. Damit nachher, wenn ich im Knast sitze, weil das Arbeitslosengeld II zu knapp wurde und ich beim Banküberfall in einer dieser hochtechnischen Schutzvorrichtungen eingeklemmt wurde und zu acht Jahren ohne Bewährung verknackt werde, dann können sie nachher alle mit Recht behaupten: Ich wusste ja gleich, dass aus dem nix mehr wird. Tag 12: Der bayrische Rundfunk präsentiert: Den faschistischen Wochengruss (Insider-Witz {ach})
Essen, trinken, fernsehen, spazieren (nachts im Gewitter), fotos machen/photoshoppen. Ende des Protokolls ... Comment
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