Es ist schon interessant, wie die Bevölkerungsmeinung von Seiten der Union im Falle des Irakkrieges bagatellisiert wurde und im Falle der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hochgespielt wird. Je nach innenpolitischem Kalkül setzt man sich an die Spitze einer Bewegung von "breiten Teilen der Bevölkerung" (EU-Beitritt) oder diskreditiert einen Großteil der Wählerschaft als von der Regierungspropaganda aufgestachelt (Irak). Statt der Meinungsführerrolle von Parteien zu entsprechen und mit Pro- und Kontra-Argumenten die Diskussion zu bereichern, reicht die Feststellung eines diffusen Unbehagens in der öffentlichen Meinung als Totschlagargument gegen alle sachlichen Argumente. Während man sich für die Meinungsbildung bei der Gesundheitspolitik ein Jahr Zeit nimmt, detailliert und durchaus facettenreich über einen richtigen Weg streitet, zieht man im Falle der Türkei zu einem Zeitpunkt, der allerhöchstens den Anfang einer jahrelangen Debatte markieren kann, den populistischen Joker "Unbehagen".

Wo es nicht reicht, den Volkstribun einer paneuropäischen türkeikritischen Bewegung zu mimen, muss das dumpfe "Nein" mit den Scheinargumenten "Bandenkriminalität" und "Terrorismus" flankiert werden. Wie sich Politiker des Gastgeberlandes von Mohammed Atta ernsthaft erdreisten können, einen EU-Beitritt der Türkei, der in vielleicht 10 - 15 Jahren Realität wird, als Erhöhung der Terrorgefahr darzustellen, ist mir, naja, schleierhaft. Und Bandenkrimiminalität: Dieses Argument ist ja derart an den Haaren herbeigezogen, dass man es noch nicht einmal als populistisch bezeichnen kann. Tatsächlich konzentrieren sich die meisten populistischen Assoziationen bei diesem Phänomen auf Länder, die wir am 1.Mai feierlich in der EU begrüßt haben (Polen, Litauen,..) oder noch weit vor der Türkei in die EU aufnehmen (Rumänien).

Ich sehe mich 2006 schon durch die Fußgängerzone an den Ständen vorbeigehen, an denen man "gegen die Türken" unterschreiben kann. Meinen türkischen Bekannten werde ich jedenfalls die "priviligierte Partnerschaft" anbieten, können doch froh sein, dass ich überhaupt noch mit ihnen spreche, dieser terroristischen Moslembande.