Die Leere
Mittwoch, 5. Juli 2006
Die Leere

Dass an diesem Abend einiges hätte optimaler laufen können, versteht sich von selbst. Nicht nur im Stadion in Dortmund, sondern auch bei der ganz privaten Abendplanung. Dass ich den Abend nicht unbedingt mit einem befreundeten Paar hätte verbringen sollen, dessen Kommentare zum Spiel mich innerlich zur Weißglut brachten, ist meine ganz persönliche Schuld. Obwohl Sätze wie: „Naja, war doch besser als das Argentinien-Spiel. Und immerhin hat die bessere Mannschaft gewonnen“ natürlich durch nichts zu entschuldigen sind. Ich sagte daraufhin nichts mehr und verließ unter Verweis auf die Uhrzeit und meine Laune innerhalb von fünf Minuten das Areal. Die Niederlage der Nationalmannschaft habe ich inzwischen verkraftet, obwohl ich fast hätte heulen können bei diesem Tor in der 118. Minute. Aber Angst habe ich vor dem Aufwachen morgen. Davor, dass die Hauptrolle in der Berichterstattung wieder die Gesundheitsreform spielt, als ob mich es ernsthaft interessieren würde, wer mir meine Medikamente bezahlt. Angst davor, dass mir die Ich-habs-ja-gleich-gesagt-Feuilletonisten vorwerfen, ich hätte einen Monat lang nicht eine Minute lang an die kleinen Kinder in Afrika gedacht (Obwohl das nicht stimmt. Ich hab mir die Togo-Spiele angeschaut und war nicht amüsiert). Natürlich werde ich keine Eisdielen boykottieren und auch hin und wieder Spaghetti essen. Aber trotzdem wird es mir niemand übel nehmen, dass ich von nun an Frankreich, meiner Sympathie-Backup-Mannschaft, die Daumen halte und ansonsten weniger als in den letzten Wochen vor dem Fernseher hängen will. Schließlich ist Sommer, die Einweggrills erwarten uns in den Supermärkten und die Deutschlandfahnen können wir zu Hängematten umfunktionieren. Und wenn dann - nach Sonnatg - ein paar enttäuschte Portugiesen oder Italiener mitgrillen wollen, biete ich gerne Asyl. Man ist schließlich zu Gast bei Freunden.

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Gestern Abend war ich das, was man gefasst nennt. Habe Menschen ein wenig Trost gespendet, die so aussahen als könnten sie welchen gebrauchen. Vorm Aufwachen habe ich zumindest ein wenig Respekt gehabt, zurrecht. Leere. Das „Hey, wir sind mit einer Mittelklasse-Mannschaft ins WM-Halbfinale eingezogen und haben Italien über 119 Minuten einen großen Kampf geliefert, am Ende hat’s mit dieser jungen Mannschaft noch nicht gereicht, weil die Italiener abgezockter waren, sie das nötige Glück und die besseren Chancen hatten, aber wie hat uns diese Mannschaft vorher begeistert, welch schöne Momente wurden den Zuschauern geschenkt-Gefühl“ will sich noch nicht so wirklich einstellen. Beim letzten Spiel vor der WM hat die Mannschaft den Zuschauern nach dem Abpfiff ein großes Banner gezeigt. Darauf war sinngemäß so etwas zu lesen wie: „Mit euch zusammen wollen wir einen großen Traum verwirklichen!“ Ich muss zugeben, dass ich mich habe anstecken lassen von der Euphorie, der Zuversicht und war fest im Glauben, dass da einiges geht. Und, zumindest werden wir das mit etwas Abstand hoffentlich auch so wahrnehmen: Da ist einiges gegangen. Am Ende leider auch, und das hätte dramaturgisch kaum besser inszeniert sein können, mit unglaublicher Tragik die deutsche Mannschaft. Fassball ist Emotion und die Amplitude dafür reicht nun mal von „himmelhoch-jauchzend“ wie nach dem Spiel gegen Polen oder dem Elfmeterkrimi gegen Argentinien bis zu „zu Tode betrübt“ wie am gestrigen Abend. Wenn ich an den Klinsmannschen Pathos-Spruch: „so etwas wie hier und jetzt in Deutschland wird keiner dieser Spieler jemals in seiner Karriere wieder erleben“ denke, dann schnürrt sich schon einiges in meinem Bauch zusammen. Große, aber vermutlich wahre Worte.
Public-Viewing oder Fanmeile hat auf den Titel „Wort des Jahres“ vermutlich doch bessere Chancen als „WM-Trauma“, obwohl, wenn ich es mir recht überlege?! Schaun ma mal. Für den Kaiser tut’s mir, nachdem ich vorher noch einmal mich selbst bemitleide, besonders Leid. Der hat, zusammen mit der Titanic, die WM nach Deutschland geholt und vorher das Ding – gefühlt - schon 6-8 Mal als Spieler und Trainer gewonnen, musste Angie Merkel umarmen und nun gratuliert er am Sonntag Zisu zum Gewinn des Weltpokals. Jetzt kann’s nur noch ein Ziel für ihn geben: Blatter aus dem Amt fegen und dann bei der Fifa den Klinsmann machen! Alle Fenster aufreißen und den ganzen Muff in die Tonne. Genug der Trauer: Ich fand’s geil, rischtisch geil bisher, da ist was passiert in den letzten Wochen in diesem Land, dass schreit nach Superlativen, ein Kitt hat Menschen zusammengebracht, aus vielen Ländern. Meistens hat sich Deutschland als weitoffenes, tolerantes, freundliches Land, ein Land des Lächelns präsentiert. Bleibt die Hoffnung, dass das nicht nur eine Präsentation war, die man nach Beendigung der Veranstaltung aus- und wieder in den Normal-Modus zurückschaltet. „ Die Welt zu Gast bei Freunden“ ist eine Idee, an der festgehalten werden sollte, aber die Portugiesen hauen wir am Samstag weg. Immerhin, wir spielen in Stuttgart, da gibt’s ein tolles Stadion, da wurde in Deutschland die Laola erfunden bei der Leichtathletikweltmeisterschaft oder –europameisterschaft, die Zuschauer werden wie ein Mann hinter der Mannschaft stehen, Toddi, also Toddi Frings, ne, darf wieder mitmachen und Lukas, also Lukas, ne, geht seinem Job nach: Buden knipsen und 2-3 für Miro, also Miro, ne, auflegen. Stichwort: Torjägerkanone!

@Jürgen: 1. Danke. 2. Nationalhymne durch Kinderhymne von Brecht ersetzen. 3. Wir sollten beizeiten mit Urs und Jogi über die Torhüterfrage sprechen. Stichwort: Junge Leute integrieren, Stichwort 2010.

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Danke, das war ziemlich genau der Text, zu dem ich gestern Abend nicht mehr fähig war.

Was ich übrigens besonders schön finde: Heute morgen in den Nachrichten keine Meldungen über größere Schlagereien und Randale. Auch nicht in Dortmund, wo mehrere hunderttausend deutsche und italienische Fans in der Innenstadt unterwegs waren. Sollen die Mießmacher ersticken an dieser Nachricht: Dass der "deutsche Fußballmob" einfach traurig nach Hause gegangen ist, ohne Krawall. Weil die allermeisten wissen, dass es einfach nur ein schönes, spannendes Spiel ist, das uns bisher einen wunderschönen Sommer geschenkt hat.

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Danke auch. Ich hätte vermutlich gestern keine Zeile mehr zu TFT bringen können...

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Und...

... die Italiener haben dem Schiri dieses Mal einfach die höhere Summe geboten. Die haben einfach mehr Erfahrung mit Korruption.

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