Machen sie es doch selbst!
Freitag, 27. Oktober 2006
Machen sie es doch selbst!

Im REAL-Markt um die Ecke gibt es seit einiger Zeit Selbstbedienungskassen. "Ihr SB-Warenhaus" ist hier wörtlich zu verstehen. Die Kassen sind immer auf, man kann sich einfach die Kohle rausnehmen und muss keine Angestellten mehr überfallen. Die Idee dahinter ist wie immer, weitere Arbeitsprozesse auf den Kunden zu übertragen, um so noch mehr Leute rauszuschmeißen oder zur Neuetikettierung von Waren der Wurstabteilung abzustellen. Feine Sache, im Prinzip.

In den Abendstunden Richtung oder am Wochenende sind von den konventionellen Kassen meist ein bis zwei geöffnet. Dort ist dann soviel los, dass sich die Leute direkt in ihren, noch nicht bezahlten, Schlafsäcken kuscheln, ne Dose Ravioli mit ner Packung Streichhölzer erhitzen oder einfach zum Sterben hinlegen.

An den SB-Kassen ist die Schlange kürzer, daher bin ich dort Stammgast, auch weil die Rechner freundlich sind. Der SB-Bereich besteht aus 4 Terminals. Jeder hat ein User-Interface mit einem Touchscreen, einem Scanner und einem Kasten, wo die Kohle oder Karte reinkommt, falls man bezahlen möchte. Auf einem Art "Schiedsrichterstuhl" am Ausgang des Bereiches, erinnert ein bisschen an Tennis, sitzt ein mürrischer Unteroffizier, der als Kontrolletti fungiert und Leute, die er beim Bescheißen erwischt, mit seiner Maschinenpistole ummäht. Die Leichenteile werden wohl durch die Reinigungskräfte schnell entfernt, jedenfalls klebt auf dem Boden immer nur ein klein wenig Blut oder Weinbrand. Es fallen, aufgrund der Enge und der ungewohnten Arbeitsschritte, nämlich ziemlich viele Dinge auf den Boden. Nun gut. Die GUI ist ganz hübsch und wenn man ne Flasche Bionade einscannt, kommt ein Feedback mit der Frage, ob man ne ganz Kiste kauft,... Klasse ist, wenn man Pfandgutschriften einlösen möchte, und weil man nur eine Erbse gekauft hat, im Prinzip Geld rausbekommt. In diesem Fall muss der Schiri aufstehen und kontrollieren, ob man sich die Pfandgutscheine nicht mit Corel Draw Limited Edition gemalt und aufm Lexmark Tintenpisser für 12 Euro ausm Aldi selbst ausgedruckt hat.

Eben, beim Einkauf, stand eine Dame aus der Silver-Generation, eher White-Generation, an einem der Terminals. Alle anderen Dinger auch belegt. Ich wollte schon zur einer "normalen" Kasse gehen, aber die alte Dame hatte offensichtlich Probleme. Der Schiri, in diesem Fall eine Frau, durchleuchtete gerade ein junges Mädchen auf der Suche nach nicht bezahlten Artikeln. Vertrauen ist gut, Schikanierung ist besser! "Machen sie mal den Mund auf, sie riechen so komisch ausm Hals, wollen sie etwa Klosteine hier durchschmuggeln? Mit mir nicht, meine Liebe! Sie mach ich hier vor allen Leuten mal so richtig feddich!" Belustigt und betroffen zugleich war ich abgelenkt und schaute erst jetzt wieder zu der Oma, der ich, aufgrund der besonderen Umstände nun meine Hilfe anbot. "Wissen se, junger Mann, ich versteh das nicht, ich habe das hier schon bestimmt 20 Mal vorgehalten, aber das Band läuft gar nich weiter." Könnte daran liegen, dass kein Band da war, aber das nur am Rande. Die Dame hatte vielleicht 10-15 Teile zu bezahlen und war ganz offensichtlich in einer Schleife hängen geblieben. Den Blumenkübel zu 12,80 € zog sie, während wir mit einander sprachen, schon zum 10. Mal durch den Scanner. Ich versuchte möglichst verständnisvoll dreinzuschauen, was mir, aufgrund der Gesamtsituation - Personenkontrolle mit Schikanierung auf der einen Seite, Maschinenterror auf der anderen - ziemlich schwer fiel. "Ich glaube, Sie haben den Artikel jetzt schon eingelesen", sagte ich. Große Augen schauten auf mich, den Bildschirm, die Leibesvisite am Schiristuhl und dabei bewegte sich ihre Hand vor dem Scanner mechanisch nach links und rechts. Piep, Piep, Piep. „Wissen se, das ist für Usambaraveilchen.“ Piep, Piep, Piep. „Die mach ich doch so gern und die sind auch gar nicht teuer und die halten sich auch.“ Piep, Piep, Piep. "Usambaraveilchen ist ein Wort, das man erfinden müsste, wenn es das nicht schon gäbe.“, denke ich bei mir und verfalle kurz einen Analysefilm zum Wort Usambara. Jetzt weiß ich: Die Begrifflichkeit geht auf das Tal zurück, wo die Blume in Südafrika gefunden wurde. Piep, Piep, Piep. Aufgeschreckt blicke ich wieder in die Augen der alten Dame. „Also vielleicht sollten wir doch mal jemanden vom Laden rufen, da kann doch irgendwas nicht stimmen.“, versuche ich die Situation in eine andere Richtung zu bewegen. Die Frau nickt, zustimmend. Piep, Piep, Piep. Piep!

Das junge Mädel hat in ihrem Mundraum wohl doch keine Toilettenartikel geschmuggelt und darf in Richtung Heimat aufbrechen. Genervt nimmt Frau-Kontrolletti meinen Hinweis zur Kenntnis, dass eine alte Dame an Terminal 3 offensichtliche Probleme im Umgang mit der Scannereinheit hat. „Die kriech auch noch verarztet!“ Mit großen Schritten stürmt IM-Irmgard auf die immer noch piepende Oma zu und baut sich gewaltig schnaubend vor ihr auf. Ich überlege, ob ich der alten Dame meine Eurocard leihen soll, damit sie schnell den Betrag von mittlerweile knapp über 800 Euro bezahlen kann, der sich da angesammelt hat, in der Annahme, dass ich ihr damit eine Standpauke durch IM-Irmgard erspare, aber zu spät: „Also, so was hab ich ja noch nie gesehen! Sie haben ja, sie sind ja, das ist ja....!“ Auch Irmgard scheint nun in einer, verbalen, Schleife zu hängen. „Storno, alles Storno, das gibt’s ja nicht, Storno, da hilft nur Storno. Sie können doch nicht, da hilft nur noch Storno.“ Ich spreche der Oma Mut zu und überlege, ob ich sie beschützen muss, weil die Stasi-Tante langsam in Fahrt kommt. „Storno, Storno, wo ist den der Scheiß-Schlüssel, das gibt es doch nicht. Hey, Sie da! Die Tomaten müssen se abwiegen!“ Ein junger Typ an Termimal 1 schreckt zusammen und lässt fast zwei Pullen Absolut-Wodka fallen.

Am Ende wird aber alles gut. Die Oma drückt mir die Hand. „Danke, junger Mann. Sie helfen mir, dass ist nett.“ Ich nehme ihr vorsichtig den Blumentopf aus der Hand und befördere ihn in ihren Korb, gebe anschließend nebenan meine Sachen ins Terminal 4 ein. Alles reibungslos. Keine Fehler, keine Stasi-Bölkerei. Bei Nummer 3 kommt am Ende ein Betrag von 21,64 € raus, ein realistischer Wert. Stasi-Irmel kramt bei Oma die Kohle aus dem Portemonnaie und füttert den Bargeldkasten. Sie hat’s passend. Alte Leute haben’s immer passend, klar. Die Oma bedankt sich artig bei Irmel, noch mal bei mir und verlässt zügig und lächelnd den Laden. „Die hat bestimmt geklaut, ziemlich abgewichst für ihr Alter.“, denke ich, zahle dreifuffzig mit Karte und frage mich wie das ist, mit dem Altwerden.

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super markt! :))

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So weit ist es also schon gekommen.
Fragt sich nur noch, wie lange es dauert, bis niemand mehr einkaufen kann, weil alle Jobs wegrationalisiert wurden. Dann können nur noch Computeringenieure, Wartungstechniker und Irmel mitsamt ihrer Kumpanen einkaufen. Und weil sie gleichzeitig Kontrolleur und Kontrollierte sind, können sie sich schamlos bereichern.

Horden von Hungernden überfallen schließlich die vollautomatischen Gewächshäuser und Ernteroboter, entdecken dabei die alten Rudelstrategien wieder (einer lenkt die Killer-Roboter ab, die anderen laden sich die Taschen voll).

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wir warn ja die tage zusammen in den laden da. und just als Sie noch batterien o.ä. gekauft haben, lernte ich stasi-irmgard kennen. sie bölkte mich an, weil ich OHNE EINEN EINZIGEN ARTIKEL IN DER HAND durch den sb-kassenbereich stiefelte, zügig und frohgemut den ausgang ansteuernd. "das hier is ne kasse, mann, kein durchgang! wennse nix gekauft haben, müssense vorne am infoschalter raus!" ich stand ungelogen fünzig zentimeter vor dem tor in die freiheit.

also drehte ich mich um und fragte die dame leicht genervt, ob ich jetzt ernsthaft die zweieinhalb kilometer zum infoschalter gehen solle, um dann auf der anderen seite der demarkationslinie der sbz auf meine begleitung zu warten, die eben noch panzerkrepp für unser nächstes großes ding kaufe. irmgard winkte mich durch und giftete noch ein "nächstes mal wissense bescheid!" hinter mir her. in dem augenblick war mir klar, dass sb-kassen nichts mit kundenservice zu tun haben, sondern allenfalls ein zähneknirschend akzeptiertes rationalisierungsinstrument darstellen. schade nur, dass die irmgards dieser welt immer die letzten sind, die wegrationalisiert werden.

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man kann es ja auch so sehen: solange diese personalsparautomaten von solchen menschheitsnebenprodukten bewacht werden, besteht erstmal keine all zu große gefahr für die jobs der zukunft.

wenn man die wahl hat zwischen vierzig minuten warten in der echten, alten kassenschlange und zehn minuten wartezeit, dem herumärgern mit einem seelenlosen computerterminal und anschließender leibesvisitation plus beschimpfung durch scheiß-job-hassende, menschenverachtende, stasi-braut, dann wird die computerkasse höchstens zum treffpunkt von leuten, die davon träumen mal von irmi orntlich ausgepeitscht zu werden.

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hmm, leder, peitschen, hmm...

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Maschinenfest

Heute Abend ging ich in Begleitung eines Miele-Produkt-Kataloges in den Supermarkt. Milch, Zander-Filet, 4 Äpfel. An der Selbstbedienungskasse den Katalog neben der Maschine abgelegt, um die Ware einzuscannen. Plötzlich rotes Flackerlicht und eine laute Computerstimme: "Sie haben einen Artikel nicht abgerechnet! Bitte scannen sie alle Artikel ein!" Die Stimme hätte auch sagen können: "Du scheiß Dieb, du bist entlarvt!" Ca. 15 Augenpaare richten sich auf mich. Ich nehme den Katalog wieder in die Hand und scanne den Rest meiner Sachen ein. Plötzlich eine Mikrophonstimme: "Tun sie sofort, was die Maschine sagt!" Ich zucke zusammen. Das war die Stasitante aus ihrer Kontroll-Box. In drei Schritten bin ich bei ihr, lege ihr den Miele-Katalog auf den Tisch und sage geistesgegenwärtig folgenden Satz: "Das ist ein Miele-Katalog!" Alles klar, oder? Nen Mielekatalog sollte man beim Einkaufen von Lebensmitteln immer dabei haben! Die Quittung für die unbedachte Antwort kam prompt: "Und den wolln se nich bezahlen? Oder wollen se den auf einmal nicht mehr haben?" Etwas ruhiger und gefasster ließ ich verlauten: "Nein. Den werde ich sicher nicht bezahlen!" Offener Mund, leere Augen, viele Fragezeichen.
"Den Katalog habe ich vor 5 Minuten in einem Hausgeräte-Fachhandel kostenfrei erhalten. Er ist ein bisschen zu groß für meine Hosentasche!" (DIN A/4, mindestens 300 Seiten und rund 1 Kilo schwer)
"Na gut..." Strenger Blick. "Aber jetzt folgen sie aber umgehend den Anweisungen der Maschine!" Das habe ich nicht mehr kommentiert, sondern den Befehlen demütig und in mich hineinfluchend Folge geleistet.
Beim Rausgehen ranzte mich die Alte noch mal von der Seite an: "Beim nächsten Mal lassen den Katalog aber im Auto!"
"Beim nächsten Mal klopp ich ihnen die scheiß Bezahl-Kiste kaputt und werfe ihnen Eier aus Käfighaltung annen Kopp!", wollte ich sagen, aber mein Gesellschaftsfilter ließ mich antworten: "Dazu müsste ich mir erst ein Auto kaufen, aber mal sehen, wenn's dann besser klappt hier..."
Beim nächsten Mal gehe ich wieder zur Automatenkasse, kaufe eine Weintraube und bezahle mit Kreditkarte.

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Maschinen sind ja okay, aber die Menschen...

Dass Sie das immer wieder mit sich machen lassen. Scheiß Service ist doch ein klarer Grund für Boykott.

Gestern Abend waren der Spatz und ich nach dem Kino noch im Limerick, um den Abend bei einem Getränk ausklingen zu lassen. Der Laden war - für einen Dienstag Abend sicherlich nicht ungewöhnlich - kaum besetzt. Trotzdem schafften es die drei (!) kleinen Kellnerinschicksen unglaublich lange, uns den Rücken zuzukehren und beschäftigt auszusehen. Nach zwanzig Minuten beschlossen wir dann zu gehen und der Spatz hat einer von ihnen noch ein paar Hinweise zukommen lassen.

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>> Dass Sie das immer wieder mit sich machen lassen.

Das ist Sport.

Vielleicht wäre auch mal ne Idee, nen Bierzapfautomaten in ner Kneipe auszustellen. Kann doch technisch nicht so schwer sein.

"So möchten 222 Bier erwerben. Bitte bestätigen sie ihre Eingabe, indem sich in die Schüssel zu ihrer Rechten übergeben!"

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>Vielleicht wäre auch mal ne Idee, nen Bierzapfautomaten in ner Kneipe auszustellen.

Ist zweifellos schon drüber nachgedacht worden. Ein Hindernis für eine solche Maschine ist sicher, dass Bier beim Einschenken stark schäumt. Komplizierte Anordnungen von optischen Sensoren oder aufwändige Testreihen, wie lange ein gut gezapftes Bier dauern muss, würden die Kosten einer solchen Maschine in den Bereich eines Space-Shuttles katapultieren.

Einfacher wäre, eine EU-Norm einzuführen, nach der Service-Personal grundsätzlich ein hartes Verhaltenstraining und markerschütternde Persönlichkeitstests absolvieren müsste, bevor es an den Kunden gelassen wird...

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