Dienstag, 3. Dezember 2002
Das Floß: "Haus am Fluss"
Albtraumjaeger
13:22Uhr | tag:
Wenn die Fenster erloschen sind, ein leiser Regen die Letzten in die Häuser zwingt und der Wind den Abfall der Straße vor sich her treibt, träfe man auf eine äußerst merkwürdige Gesellschaft – unten, am Fluss – trieben Feuchtigkeit und Kälte einen nicht zurück ins Haus oder die Wohnung, ins Schlafzimmer oder auf die provisorische Schlafcouch, Hauptsache, ein Dach und etwas Wärme in dieser Nacht. Die Gestalten am Fluss stört dies wenig, tatsächlich sind Zeitpunkt und Witterung ihrer Treffen mit Bedacht so gewählt, dass niemand sie so, scheinbar schweigsam stehend, jeder und jede ganz in sich selbst versunken, anträfe oder gar störe. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen; Bäume, Weiden vor allem, stehen zwischen Ihnen und um sie herum, und auch sie, die dort stehen, kennen ihre Zahl nicht genau, können sich kaum sehen zu dieser Zeit an diesem Ort. Ein Autoscheinwerfer oder das Licht einer Lampe nähme diesem Bild schnell die romantisch-mystische Attitüde, die es durch die Umstände des Zusammenkommens nur zu leicht erhält. Das kurz aufblitzende Licht eines Feuerzeugs, das für kurze Zeit – geschickt abgedeckt – dem kalten Wind trotzt, deutet den wahren Anblick der Gruppe an, der sich bei hellem Tageslicht dem Spaziergänger böte. Der Zweck dieser Zusammenkunft ist jedes Mal derselbe: Man baut ein Floß. Aus Weidenholz und fester Schnur, mit einigen Nägeln, Teer und Tuch wird ein großes Holzfloß gefertigt, das Platz für all jene bietet, die sich hier regelmäßig versammeln. Und doch ist es jedes Mal ein anderes. Genaue Form und Farbe des Gefährts wechseln ebenso wie Abfahrtszeit und Besatzung. Und immer steht eine andere der grauen Gestalten am Ruder, bestimmt die Fahrtziel und Fahrtrichtung. Nach einiger Zeit der Sammlung und des Schweigens erhebt jemand die Stimme: „Ich habe ein Floß gebaut.“ Ich habe ein Floß gebaut. Ein ziemlich sperriges Teil, ein formloses Etwas aus Ästen und alten Brettern. Immerhin, es schwimmt. Ihr solltet Euch nicht unbedingt hinsetzen, wenn Ihr Wert auf einen trockenen Hintern legt. Ich will nicht weit fahren. Nur ein bisschen den Fluss herunter, bis zu einem kleinen Steg am gegenüberliegenden Ufer. Zehn Kilometer sind es vielleicht, eher weniger. Wer möchte mit? Eigentlich möchte ich nur kurz jemanden besuchen. Sie wohnt in dem Haus, zu dem der Steg gehört. Ist es nicht wunderbar, ein Haus direkt am Fluss zu besitzen? Morgens aufzuwachen und auf das Wasser zu schauen? Einmal habe ich sie gesehen, wie sie am Steg gesessen hat und die Füße ins Wasser hielt. Sie winkte mir zu und ich winkte zurück, konnte jedoch nicht zu ihr, weil ich auf der anderen Seite des Flusses stand. Gerne hätte ich mich mit ihr unterhalten, aber die nächste Brücke war weit weg. Außerdem musste ich in die Stadt zurück. Irgendwann stand sie auf und schlenderte zum Haus zurück. Sie trug ein blaues Kleid. Und jetzt werde ich sie besuchen. Mit meinem Floß. Keine Ahnung, vielleicht macht sie mir nicht mal die Tür auf, so spät in der Nacht. Wahrscheinlich ist es besser, wir warten noch ein bisschen, damit es bereits Morgen ist, wenn wir ihr Haus erreichen. Einer von uns könnte Brötchen besorgen und dann frühstücken wir alle zusammen auf dem Steg. Sie sagen, das Wetter wird schön, morgen. Wir könnten sie mitnehmen auf dem Floß und weiter den Fluss hinunterfahren. Wie viel Zeit habt Ihr denn? Es soll da eine schöne Stelle geben, wo der Fluss in einen großen Strom mündet. Da gibt es eine Wiese, auf der man campen könnte. Bestimmt kann einer von Euch Gitarre spielen und wir gucken uns Sterne an oder eben Wolken, je nach Wetterlage. Ich weiß dann ja, wie sie heißt, könnte sie fragen, wie das ist, allein in einem Haus am Fluss zu wohnen, morgens aufzustehen und auf das Wasser zu schauen. Kann sein, dass ich mich in sie verliebt habe, das wird man sehen. Was sie wohl von mir hält? Kommt einer mit einer ganzen Horde von Leuten an, schleppt sie auf ein undichtes Floß und will mit ihr zum Campen fahren. Aber sie wird nicht nein sagen, nicht heute. Schließlich ist das mein Floß und ich bin der Steuermann. Was ist, wer kommt mit? ... Comment |
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