Soeben erreichte mich eine Kritik zu der vor einigen Tagen veröffentlichten Story Die Antwort. Damit dieser glänzende Beitrag des Bewohners GEWEIHTER nicht einfach in den Kommentarzeilen verschwindet, habe ich ihn hier auf die Titelseite kopiert. Viel Spaß damit und danke, Hirsch.
Eine Geschichte, die ich absolut super fand und die mich zum Nachdenken angeregt hat. Leider endet solches Nachdenken nur allzu oft in einer Katastrophe. Wer also die Geschichte hinreichend gelesen und auf sich hat wirken lassen, der mag sich diese meine Gedanken, gegossen in eine mehr oder weniger kreative Form, zu Gemüte führen:
Karassek (älterer Mann, leicht untersetzt in Jackett und Jeans; trägt eine Brille mit kleinen Gläsern, spricht sehr ruhig und sachlich, bemüht sich einen neutralen aber hintergründigen Eindruck zu machen, was nicht immer gelingt)
Bei „Der Antwort“ von Albtraumjäger handelt es sich um eine Kurzgeschichte über einen klischeehaft normalen, namenlosen Mann, von dem ausschließlich in der dritten Person der Vergangenheit berichtet wird. Der Leser, die Leserin erfährt an Persönlichem nur von immer gleichen Ritualen, hauptsächlich Arbeit, Frau und Stammtisch. Die Geschichte entwickelt sich am in der Hauptperson immer stärker werdenden mysteriösen „Brodeln“, das nicht zufriedenstellend gedeutet, nicht beantwortet werden kann.
Der Mann, „Er“ entschließt sich einen in seinem Alltag sonst nicht stattfindenden Spaziergang zu unternehmen. Er begegnet einem Trinker, der ihn überredet einen Zigarettenautomaten aufzubrechen, beide flüchten, das „Brodeln“ verändert sich und die Geschichte endet mit einem melancholischen Blick in den Nachthimmel, bei dem der Leser, die Leserin erfährt, dass die Antwort ein Abschied sein wird.
Wenn sie mich fragen, ist „Die Antwort“ der hoffnungsvolle Rohdiamant eines lange herbeigesehnten Nachwuchsautors, an dem sicherlich noch zu feilen sein wird. Aber wie er hier mit den Stimmungen spielt, das geheimnisvolle Brodeln, das so einfach aufgelöst werden kann, die ausschließlich indirekten Dialoge, die durch die überlegene Sicht des Lesers, der Leserin wunderbar verstärkt das Einerlei des Alltags vor Augen führen, all das lässt hoffen.
Reich-Ranicki (alter Mann, Glatze, weißer Haarkranz, auffällig große Nase, erfüllt sonst perfekt das Klischee vom alten Ostpreußen; spricht übertrieben akzentuiert, wodurch man ihn sofort wahrnimmt, rollt dabei das r und lispelt stark)
Dieser Meinung bin ich nicht!
Sicher, sicher es sind Ansätze zu erkennen. Aber diese Klischees! Das Alltagsallerlei, das nur darauf wartet durch eine Eingebung, eine geniale Wendung hervorgerufen durch ein fast King?sches „Brodeln“, durchbrochen zu werden. Grässlich! Eine einfache Geschichte über den zweiten Frühling, über das Ausbrechen über „Jetzt oder nie“. Da haben sich schon ganz andere an diesem Thema versucht und sind fast ausnahmslos gescheitert. Selbst der junge Thomas Mann...
Die Frau – unterbricht (etwas füllige, emanzipierte Intellektuelle, die sich dem nicht unkomplizierten Kleidungsklischee dieser Gesellschaftsschicht aufs Extravaganteste anpasst)
Herr Reich-Ranicki ich muss hier einschreiten. Sie scheinen zu übersehen mit welchen nicht unraffinierten Mitteln hier mit dem Klischee gespielt wird. Beispielsweise die Bilder von den gemeinsamen Abendessen des „Langweiler“-Ehepaares: Die einfache, aber an entscheidender Stelle greifende Schilderung lässt jede Leserin, jeden Leser sein eigenes Bild entwerfen, dass aber zum gleichen Ergebnis führen muss.
Wie sich ein Bogen aus der Platitude, aus dem Einfachen unweigerlich zum Abstrakten spannt...
Quotenintellektuelle – fällt ein (ständig wechselnde Teilnehmer, deren Anwesenheitsberechtigung nur darin besteht, die Runde zum Quartett aufzufüllen; man stelle sich irgendwen vor, Hauptsache mit dem Tatsch des Intellektuellen)
Genau, das Banale, betrachtet aus überlegener, neutraler Position, das aber bereits die Schatten des Unabwendbaren, der surreal genialen Wendung unsichtbar und doch wahrnehmbar in sich trägt. Der Drang, das Verlangen nach etwas, eine heimlich lauter werdende Sehnsucht, die durch die Schilderungen, die bereits im einfach Dinglichen einen poetischen Glanz, bisweilen einen aufblitzenden Humor vergleichbar mit dem eines Lenz oder eines frühen von der Heides, kulminiert in greifbares Geschehen in einem Erguss, von... – ääh ... dem eigentlichen Finden in sich selbst - ...!
Reich-Ranicki
Ich bitte sie, meine Dame! Reden wir hier nicht um den heißen Brei herum! Die Geschichte ist nicht nur schlecht erzählt, sie ist auch schlecht recherchiert. Jeder Leser, der schon mal einen Stein in einen Zigarettenautomat geschmissen hat, weiß, dass da nicht sofort wie von Wunderhand Zigarettenpäckschen herausregnen. Und jeder der schon einmal versucht hat, einen Randstein aus Nachbars Garten zu brechen weiß welch herkulische Kräfte dazu nötig sind. Die Bilder sind sehr direkt...
Karassek
Da muss ich zustimmen, auch ich sehe da sehr wohl konkretere Zugänge. Beschreibt das „Brodeln“ nicht eine tiefe Wahrheit, eine einfache Aussage, die ähnlich wie bei Sartre nur darauf wartet vom Leser, der Leserin erkannt zu werden?
Die Frau
Sie meinen den Tod?! Verkörpert in der plötzlich auftauchenden Figur des Trinkers. Der Tod als sanftes Hinübergleiten mit einem Schluck Whisky und dem angenehmen Kribbeln eines Zigarettenrausches, der als gleichmäßiges Pulsieren eines LKW-Motors gut getroffen wird. Das finale schließen der Augen, der Abschied mit melancholischen Blick auf den Nachthimmel als endgültige Antwort.
Das Brodeln ist die Sehnsucht nach der Erlösung von einem unzureichenden Leben, das zum Folgen des mysteriösen Trinkers einlädt und vorbereitet. Eine Sehnsucht, intensiver als es der Wunsch nach Urlaub sein kann...
Quotenintellektuelle
Sie müssen schon genau hinsehen, Frau Kollegin! Es heißt: „...etwas, das viel tiefer saß als ein Wunsch nach Urlaub es seiner Einschätzung nach tun würde.“
Das ist der Wunsch nach gutem Sex. Kein Zweifel.
Der Antwort ist der Abschied von einem Heimchen von Frau, dass es einfach nicht mehr bringt!
Karassek
Aber, aber, Frau Kollegin! Es geht um etwas ganz anderes. Etwas viel Konkreteres. Das Brodeln ist eine Krankheit: Einen schleichenden Verlust der Pupaldementivflora, peristophobe Gasolitis genannt. Eine Krankheit von der zwar nur etwa einhundert Menschen auf der ganzen Welt betroffen sind, die sich aber in immer schlechterer Verdaulichkeit jeglicher Speise äußert.
Die Frau
Ich bitte Sie! Es geht hier um viel mehr, es geht um eine autobiographische Verarbeitung der Erkenntnis, das sich Zeit durch das Nahen des Todes, das stärker werdende Brodeln äußert und für den Menschen nur so begreifbar wird!
Karassek
Unsinn. Der Zugang über die peristophobe Gasolitis ist viel direkter! Geben Sie zu, dass sie darauf einfach nicht gekommen sind!
Reich-Ranicki
Karassek, dumme Sau! Sie Schlafmütze! Wie soll denn nach dieser platten Blödmann-Interpretation der Abschied zu deuten sein, hä?!
Karassek
Herr Reich-Ranicki, ich muss doch sehr bitten! Die Betroffenen leiden unter zunehmender Isolation – DAS ist der Abschied! Weil sie immer mehr brodeln, also blähen – Au! (Reich-Ranicki hat ihm von seinem Sessel aus vor`s Schienbein getreten), werden sie bzw. ihr Gestank für ihr Umfeld unerträglich und sie enden in sozialer Isolation! Das engültige Ende aber wird erst erreicht wenn ein kleiner Funke die ganze braune Wolke zur Explosion bringt.
Reich-Ranicki
Igitt! Das reicht!
Reich-Ranicki steht auf, haut Karassek eine rein und kackt vor ihm auf den Boden
Reich-Ranicki
Hier ist aber Schluss! Das kann ich doch nicht machen!
Schlingensief (führt Regie)
Schnauze! Hier führe ich Regie und du tust was ich sage. Du kackst jetzt vor Karassek auf den Boden und dann wird die Frau von hinten gefickt! Das ist Kunst – MEINE Kunst!
Abbruch der Reihenentwicklung nach dem dritten Glied, da beim gedanklichen Entstehen dieser Szene der Autor in einer Linie 18 nach Brühl sitzt und lachen muss. Für alle anderen Reisenden ohne ersichtlichen Grund. Es folgt das Ringen um Fassung, dann aber immer wieder unterdrücktes Kichern. „Du kackst jetzt vor Karassek auf den Boden!!!“
Zusammenreißen! Der Schlingensiefsche Karassek-kack-Trash ist stärker. Luft hohlen. Ruhig. Denk an was anderes. Plötzlich: Paff! Nein, kein explodierter Zwerg, sondern ein Besoffener der vom Nebensitz auf den Boden gefallen ist und jetzt scheinbar Hilfe braucht. Seine Gegenüber springt auf und flüchtet – Igitt! Ein engagierter Mann tritt dazu, versucht dem schlafenden wieder auf zu helfen, keine Verletzungen – „helfen sie mal“ – na klar. „Solange er nicht kotzt und daran erstickt passiert ihm nichts...“
Aber die Kette ist damit abgebrochen.