Der Erkling II - Das Küken in der Schachtel
Mittwoch, 12. März 2003
Der Erkling II - Das Küken in der Schachtel

Von diesem Tag an traf man Olgenkirch Brotwein meistens mit einer Rationspackung Büroklammern an. Darauf angesprochen erklärte er dem Abteilungsleiter, dass er die Aktenjahrgänge 97 bis 99 nach einem neuen System ordnen wolle und dafür eine Menge Büroklammern brauche. In Wirklichkeit befand sich natürlich ein Erklingsküken in der Schachtel, welches Olges hauptsächliche Aufmerksamkeit für sich beanspruchte. (weiter im Text ->)

Der Erkling saß in seiner Schachtel und verlangte nach den fetten Maden, die Olgenkirch in einem Anglerbedarfsladen besorgt hatte. Ging es ihm nicht schnell genug, piepste er monoton. Kollege Peitermey deutete dieses Geräusch oft als das Signal der Uhr auf seinem Schreibtisch, das ihn an die Mittagspause erinnern sollte. Er aß dann mit wenig Appetit seine zwei belegten Brote, so dass ihn schon am frühen Nachmittag die Kräfte verließen. "Du brauchst einen Namen.", sagte Brotwein zu dem zufrieden wankenden Wattebausch, der ihn aus den mittlerweile geöffneten Augen ansah. "Wie wärs mit Lindemann? Immerhin bist Du aus meiner Linde gefallen." Das Vögelchen interessierte sich scheinbar für vereinzelte Zahlen aus der Jahresendabrechnung von `83, aus der sein Nest bestand. "Hm, wohl nicht. Was hälst Du von ... äh ... Reiner?" Dieser Name gefiehl dem Kleinen merkwürdigerweise sofort. Er sah auf und piepste. Von nebenan vernahm man das Rascheln von Butterbrotspapier. Reiner entwickelte sich rasch und musste bald schon in einen ausgedienten Schuhkarton umziehen. Die Ausrede, warum er denn nun mit einem Schuhkarton durch die Flure streife war so haarsträubend, dass sie an dieser Stelle nicht erwähnt werden soll. Olge fragte sich seit einigen Tagen, wie es denn möglich sei, dass eine als ausgestorben geltende Tierart plötzlich wieder auftauchen könne. So etwas hatte er bisher noch nicht gehört. Und wenn es ein Ei gab, musste es auch ein Vogelweibchen geben, welches dieses gelegt hatte - ein Sachverhalt, den einem jeder Hühnerzüchter erläutern konnte, wenn man etwas Zeit mitbrachte. Olge beschloß, sich an einen Experten in Sachen Vogel zu wenden. Aus Angst, seinen liebgewonnenen Zögling an die Wissenschaft zu verlieren, wollte er jedoch nur ganz allgemeine Fragen stellen. Nach einigem Suchen fand er einen Vogelkundeverein und kurze Zeit später war ein Treffen mit einem dieser Ornitologen arrangiert. Ob in letzter Zeit in dieser Gegend Erklinge gesichtet wurden, fragte Brotwein mit einem naiven Gesichtsausdruck. Der Vogelkundler, ein ruhiger Mann mit einem Feldstecher vor der Brust, sah ihn väterlich an und erkundigte sich, ob der Herr ihn auf den Arm nehmen wolle. Der Erkling sei, wie man doch selbst als Laie wissen sollte, seit langer Zeit ausgestorben und nebenbei erwähnt nie in dieser Gegend anzutreffen gewesen. Zurück in seinem kleinen Häuschen musterte Olge das sich herausbildende Gefieder seines mittlerweile vierzig Zentimeter hohen Erklings. Sicherlich war dessen Zeichnung von Baumrinde nur schwer zu unterscheiden. Was gäbe es außerdem für eine bessere Tarnung, als für nicht vorhanden zu gelten? "Was mach ich nur mit Dir?" Reiner passte in keinen Schuhkarton mehr. Er verspeiste außerdem gut einhundert Gramm Gehacktes am Tag. Und wenn man Brimbecks Vöglebuch glauben schenken wollte, dann sollten Erklinge bis zu einem Meter groß werden. Des Nachbars Dackel bellte schon seit Tagen vom Nachbargrundstück herüber. Olgenreich Brotwein seufzte.

copyright: Kai Restemeier 2003

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Ich versuchs mal:

Schöne Entwicklung (Jedenfalls ergiebiger als die Sache mit dem Steinway-Flügel). Wie ich sehe, hast Du die Körpergröße noch mal angepasst. Find ich gut. Ein Meter birgt hinreichend Bedrohungspotential. Drunter is Kuscheltierklasse.

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