In einem Kellerraum
Samstag, 12. April 2003
In einem Kellerraum

Ich bitte Sie, Ihre Aufmerksamkeit für einen Moment schweifen zu lassen. Ich beabsichtige, Ihnen von einer kleinen Begebenheit zu berichten, die sich tatsächlich so abgespielt hat. Wenn es Ihnen gelingt, Ihre Vernunft für einige kurze Augenblicke festzuhalten, auf dass Sie nicht dem bemühten Erzähler ins Wort fährt und auf diese Weise alles zunichte macht, will ich Ihnen das Vergnügen dieser Anekdote nicht vorenthalten. >>>

Es betraf sich also, dass an einem nicht sehr weit entfernten Orte eine Versammlung einberufen werden sollte. Wichtig ist es, zu erfahren, dass es sich bei dieser Örtlichkeit um die unterirdische Etage eines großstädtischen Hauses handelte. Darin nicht mehr als Stühle und eine kleinere Zahl an Tischen, auf denen Kerzen, Öllichter und Lampen verteilt waren. Draußen hatte der Mond ein bleiches Glimmen auf die nassen Pflastersteine aufgemalt. Doch nur wenig von dem kühlen Leuchten drang von draußen durch die Kellerfenster herein. Die allmählich eintreffenden Personen zeichneten sich durch eine überragende Unerkennbarkeit aus. Sie hüllten sich im gemeinsamen Einverständnis in die zahlreichen Schatten, die den Kellerraum erfüllten. An diesem Ort trafen sich die gruseligsten Künstler dieser Welt. Auch ich war an diesem Ort. Sie mögen nun den Willen verspüren, einen Einwand anzubringen. Ich will Ihnen die notwendige Frage ersparen, indem ich Sie nun selbst stelle. Wie, fragen Sie, geriet ich in die zweifelhafte Situation, für einen Künstler gehalten zu werden? Zudem mit dem eigenartigen Prädikat, zu denen der beunruhigenden Art zu gehören. Die Antwort ist myteriös aber einfach. Die Einladung - ein selten schön beschriebenes Kuvert, mit einem außerordentlich prägnant beschriebenen Blatt darin - fand ich eher zufällig durch ein Missgeschick. Eine Metallkasette, in der ich einige liebgewonnene Gegenstände aus vergangenen Tagen zu sammeln pflegte, fiel in einem meiner seltenen Anfälle von Zorn und Verdruß zu Boden. Das reichliche Zierwerk löste sich leicht und das dünne Blech der Außenwandung bog sich ein kleines Stück zur Seite. Schnell war mein Temperament wieder abgekühlt und ich machte mich daran, den ungewollten Schaden zu bemessen. Da zeigte sich, dass man beim Bau des kleinen Kästchens ein dem nichts ahnenden Betrachter verborgenes Geheimfach angebracht hatte. Und in diesem, ja, in eben diesem lange Zeit unerkannten Versteck schlummernde ein Brief, der meinen Namen trug. Dieses Schreiben nannte Zeit und Ort des Treffens und die Bitte, nicht die Neugier fremder Leute auf die hier genannten Dinge hinzulenken. Im Nachhinein, so denke ich, ist es mir wohl erlaubt, von dem Vergangenen zu sprechen. Man wollte sich nur der Sicherheit und Ruhe aller später Anwesenden vergewissern. So geschah es denn, dass ich mich auf diesem zwielichtigen Flecken unter der Erde befand und fragend die schattenhaften Schemen musterte, die hier und da ein Stückchen des Raums in Anspruch nahmen. Ich glaubte, einige zu erkennen. Ich redete mir aber aus, recht zu haben. Denn die Erkannten waren allesamt Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Epochen der Zeit. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Edgar Allen Poe, blickte ins dunkle Nichts und schien in lebhafte Gedanken verstrickt zu sein. Das Stilmittel der plötlichen Wendung, welches im Witz zum Lächeln animiert, diente dem letztgenannten, um eine fürchterliche Eskalation anzudeuten, ein unerklärliches Ereignis zu erzeugen und damit seine Leser zu erschrecken. Eine gewisse Starre ging von dieser Person aus, die Poe sein mochte, aber auch nicht. Und ein klagendes Geräusch, das kaum vernehmbar seiner Kehle entrann und scheinbar ohne Ursprung im Raum lag. Draußen begann es zu regnen. Kafka lehnte an der Wand. Er schien, als sei er nur anwesend, weil er die Idee eines solchen Zusammentreffens reizvoll gefunden hatte, als wolle er jedoch jeden Moment wieder fortgehen. Wenn es Klaus Kinsky war, der dort im schwachen Flackern einer Kerze gesessen hatte, war er außerordentlich schlechter Laune gewesen. Die Schweigsamkeit, die in der Luft lag, kotzte ihn förmlich an. Er zog seine Mundwinkel weit nach unten, als warte er entweder auf eine Aufmunterung oder eine Provokation. Beides hätte zu einem beeindruckenden Ausbruch schöpferischer Wut geführt, mit der er Ihnen seine Meinung unmissverständlich dargelegt hätte. David Lynch lächelte auf eine gräßliche Art und Weise. Er hatte vermutlich einen Gedanken gefunden, mit dem er die Massen erschrecken konnte und feilte ihn nun in aller Gründlichkeit aus. Es hätte durchaus David Lynch sein können, unmöglich wäre dies nicht gewesen. Nur äußerst unwahrscheinlich. Nach einer Weile, in der viel passiert war aber nichts zu hören, nahmen alle Gestalten nach und nach ihre Mäntel und zogen zum Ausgang in den frühen Morgen. Warum ich Ihnen diese offensichtlich ereignislose Geschichte erzähle? Ich ging als letzter aus dem Raum. Viel später als die anderen. Ich blieb noch sehr lange im Schweigen verharrend und fand selbst keinen Reim auf alles. Als ich in Erwägung zog, den Weg nach Hause anzutreten, blickte jemand durch die Eingangstür. Schnell entpuppte sich der Herr als Besitzer dieses Gebäudes. Er wollte sich vergewissern, ob alles in Ordnung sei und wann man beabsichtige, die Gesellschaft zu beenden. Sicherlich hatte er erkannt, dass ich der Letzte der Gesellen war und wollte mit seinem freundlichen Angebot nur diesem ungewöhnlichen Zusammentreffen ein Ende bereiten. Signalisierend, dass ich die dezente Botschaft verstanden hatte, nahm ich meinen Mantel und wandte mich dem Ausgang zu. Einer Eingebung folgend fragte ich, ob der Herr mir sagen dürfe, wie viele Gäste denn an diesem Abend hier anwesend gewesen seien. Etwas verwundert sah er mich an, lächelte dann aber und sagte mir, dass ja nur ich hier gewesen sei und ich mir keine Sorgen machen sollte, wegen der Miete. Alles sei vorausbezahlt und von Zeit zu Zeit komme jemand zu ihm und zeigte eine dieser Einladungen vor. Das, so versicherte er mir, sei schon eine äußerst alte Tradition dieses Hauses. Verwundert machte ich mich auf den Heimweg. Und wusste, dass ich einen wichtigen Hinweis an irgendeinem Punkt übersehen haben musste.

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> Verwundert machte ich mich auf den Heimweg.
> Und wusste, dass ich einen wichtigen Hinweis
> an irgendeinem Punkt übersehen haben musste.

Wenn das 'n Rätsel is, binnich zu dumm. Ansonsten hats 'ne angenehme Atmosphäre.

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