Die Richterin verurteilt W. zu 18 Monaten Haft auf Bewährung, zu 220 Stunden gemeinnütziger Arbeit und macht ihm zur Auflage, monatlich mindestens vier Bewerbungen abzuschicken - und zwar für die Dauer von drei Jahren oder bis er einen Job bekommt. Sonst wandere er wieder in eine Zelle.

Lieber potentieller Arbeitgeber, ich schreibe Ihnen auf Drängen meines Bewährungshelfers. Ich bin Koch, kann aber nicht kochen. Mein Rücken ist kaputt. Vor einiger Zeit habe ich einen internationalen Ketchupkonzern um knappe 3 Millionen erpresst. Ketchup und Köche, müssen Sie wissen, das ist eine ewige Feindschaft. Wie sie sehen, verfüge ich über Prinzipienfestigkeit und Engagement, mache keine halben Sachen. Das unterscheidet mich von den meisten. Ein Beispiel: In meinem Erpresserbrief (den ich zwar fehlerfrei, aber in der alten Rechtschreibung abfasste, weil mir das Wort "Ketschup" nicht über die Tastatur kam) bat ich den internationalen Ketchupkonzern, für die Geldübergabe einen Wagen anzumieten. Ich ließ Ihnen die Wahl: Golf, Passat oder Audi. Raten Sie, mit welchem Auto sie kamen... Mit einem Audi A2. Einem Kleinstwagen. Einem popeligen Zweieinhalbsitzer. Verstehen Sie? Sie hätten einen schönen A8 nehmen können, einen eleganten Passat V6, selbst einen Golf GTI und sie wählten einen A2. Weil sie kleinkariert sind. Weil in diesem Land keine Zuversicht mehr herrscht, keine Innovationsbereitschaft.

Aus der Untersuchungshaft schrieb ich einen Brief an Peter Hartz: Ich erzählte ihm von meiner Vorliebe für Autos aus dem VW-Konzern und von meinen Schwierigkeiten, meinen persönlichen Problemen mit echter Innovation zu begegnen. Ich fragte ihn, ob in seiner Firmenkantine u.U. noch ein lädierter Koch gebraucht würde, ich könne beispielsweise im Sitzen die Sahne auf das Dessert sprühen. Leider bekam ich keine Antwort...

Wie Sie meinen Andeutungen entnommen haben, wurde ich bei meinem Erpressungsversuch erwischt. Es gab leichte Komplikationen bei der Geldübergabe. Ich habe daraus gelernt, dass ich mich für organisatorische Aufgaben nur bedingt eigne.

Diesen Brief erhalten Sie ab jetzt vier Mal im Monat. Mein Bewährungshelfer nennt das "Initiativbewerbung". Scheuen Sie sich nicht, mir eine Absage zu schicken, wir (mein Bewährungshelfer und ich) lassen uns so leicht nicht entmutigen. Wir können aber gerne die Vereinbarung treffen, dass Sie mein Schreiben einfach viermal im Monat kopieren und in den Posteingang legen. Das würde mir das Porto sparen und Ihre Poststelle entlasten.

Grüßen Sie Ihren Chef, alles Gute nach Wolfsburg, Ihr Gordon W.