Mittwoch, 6. April 2005
brackets - inflated stories about a meaningless life
Kailoi
15:08Uhr | tag: Dat wahre Leben
Ich erwähnte einmal (in einer dieser aus verzweifelter Langeweile gezeugten Massenmails, die ich selbst garnicht mehr habe, sonst könnte ich sie hier der Vollständigkeit halber veröffentlichen), dass am Bahnhof in Brake immer gebaut würde, was ja für unheimlich lange Zeit auch zutraf. Jetzt sind die Arbeiten aber (schon recht lange) abgeschlossen und ich hielt es für meine Pflicht, diese Entwicklung und einige andere belanglose Begebenheiten meines Weges zur Arbeit darzustellen. Der Bahnhhof sieht richtig gut aus (von außen). Im Bahnhofsgebäude gibt es sogar ein paar (drei) Geschäfte: ein schniekes Bistro, dann ein recht geräumiger Laden, in dem man aber nur Zigaretten und Getränke kaufen kann und ein Tandladen. Letzteres ist so eine Art fest installierter, dreidimensionaler Flohmarkt. Man kann zwischen engen Stahlregalen umherwandeln. Von den Decken hängt altes Zeug herunter, schon vor der Tür und auf dem Durchgang stehen Kleiderständer, gruselig verkleidete Schaufensterpuppen und Kartons - man ist also für eine Sekunde vollkommen von muffigem Ramsch umgeben, als wäre eine Sperrmüllhalde kurz zum Leben erwacht und hätte nach Dir geschnappt. Irgendwie hatte ich, selbst wenn ich noch Zeit hatte bis der Zug abfuhr, nie das Bedürfnis in diesem Laden zu stöbern. Einmal war ich da, weil mich die alten Bücher angezogen haben. Aber das meiste war so klebrige, vergilbte Groschenliebe, Bildbandidiotie und Kinderkacke. Vor dem Großraumzigarettenladen (in dem eigentlich nur an der hinteren Wand eine kleine Verkaufstheke und ein Regal mit Zigaretten steht) stand heute ein Fahrrad. Daran ein Zettel: Fahrrad gefunden. Eine halbe Sekunde lang spuken abenteuerliche Geschichten durch meinen Kopf, welche die Hintergründe dieses Fahrradfundes erklären könnten. Dann beschließe ich aber, dass wohl nur jemand im Bistro gegenüber ein kleines Frühlingsfest gefeiert hat und nachher zu breit war, um unfallfrei aufs Fahrrad zu passen. Auf dem Weg am Bahndammpark (der heißt bestimmt nicht so, ist aber ein Park am Bahndamm, deshalb) treffe ich den Herrn mit den grauen Haaren (den ich immer freundlich grüße). Der unterhält sich mit einem dicken alten Mann (den ich noch nie gesehen habe), während sein Hund (der heißt Blacky und ist - achnee - schwarz, und gehört einer Rasse an, die ich nicht kenne oder die es garnicht gibt wegen freier Hundeliebe) mich ankläfft, was er eigentlich nur das erste Mal gemacht hat, als ich die beiden kennenlernte und was der eigentliche Grund dafür ist, dass ich den Herrn mit den grauen Haaren immer freundlich grüße (was keinen nahe liegenden, logischen Zusammenhang darstellt, aber lassen wir es einfach mal so dahingestellt). Erst kommen ein paar Häuser, dann ein Elektrofachbetrieb (in ein Einfamilienhaus integriert), dann noch einmal Häuser und dann der Park. Man muss über eine kleine Brücke, denn ein winziger Bachlauf wurde mittels dicker Betonrohre durch den Bahndamm geschleust und kreuzt den Fussweg und läuft eine Weile neben ihm her, bis der Weg auf einen anderen Weg trifft und alles in unterschiedliche Richtungen (und allgemeiner Verwirrung) davonstrebt. Dann kommt eine Rasenfläche, die eine Pufferzone zwischen Bahnlärm und Schrebergartensiedlung (kleine, Holzkabuffs mit Wellpappdächern und Kiesbetonromantikkübeln und Notstandswassercontainern und Komposthäufen und alten Männern, die ungeniert ihre Bierwampen in die Sonne hängen) darstellt. Auf der Rasenfläche ist ein Spielplatz (Schaukel, vollgekackter Sandkasten, Rutsche und korrodiertes Stahlspiralwippdings). Auf der anderen Seite des Weges (also zum Bahndamm hin) sind diese typischen Betonmöbel mit integriertem Schachbrett, die wohl für alte Leute gedacht sind. Meistens trifft sich dort aber die vorpubertäre Restjugend von Brake, um verzweifelt oder dumm aus der Wäsche zu schauen und wichtige Zigaretten zu rauchen. Dann kommt ein Feld - so eine zweckfreie und ungemähte Wiese, auf der manchmal Hasen rumrennen (warum sie das tun, ist andeutungsweise klar: wiese, rumrennen, leute, gefährlich, wiese, wiese, gras abbeißen, gras kauen, wiese, rumlaufen, wiese). Bei der Wiese, ist ein scharfer Knick im Weg. Die Wiese liegt also vor einem, man geht manchmal auf die Wiese, manchmal auf die Hasen auf der Wiese zu und würde über die Wiese gehen, wenn man einfach so weiterginge - macht man aber nicht. Dann sieht man rechterhand die Rückseiten von den Schrebergartenbuden, sieht die verschiedenen Zaun- und Sichtschutzinstallationen, die den entspannten Blick der Besucher (oder den kritischen der Nachbarn) von den dahinter aufbewahrten Mülltonnen, Komposthäufen und den gigantischen Krisenzeitenregenwassersammeltanks ablenken sollen. Von meiner Seite aus sieht man sie aber, was ich auf eine ironische Weise inkonsequent finde. Oft sitzen auch Leute auf den Dächern ihrer Hütten um diese zu reparieren - vermutlich ein wellpappespezifisches Dachproblem, das ständige Wartungsarbeiten erfordert (sollte mich eines Tages eine junge, unerfahrene Journalistin fragen, wie ich Brake in einem Satz beschreiben würde, dann würde ich sagen: In Brake leben viele alte Menschen, die gerne und ausgiebig Sachen reparieren). Der Blick und die umherfusselnden Gedanken treffen auf das Gebäude der Firma. Wenn ich ein Auto hätte, wäre das alles nicht passiert (was nicht unbedingt gegen ein Auto spricht, sagst Du jetzt und hast vielleicht recht). Eine Episode bezahlter Bewegungs- und Gedankenlosigkeit folgt, die man am besten mit dem Lesen eines Buches verbringen könnte (was man nicht tut, weil man sich ja beim Nichtstun nicht erwischen lassen darf). Der Rückweg von der Arbeit ist genauso wie der Hinweg (nur umgekehrt natürlich und meistens etwas dunkler). ... Comment
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