Freitag, 22. April 2005
Kailois erdachte Reisen
Kailoi
14:40Uhr | tag: Fingeruebungen
Im Südwesten Italiens gibt es ein besonderes, kleines Restaurant. Ich weiß natürlich nicht, ob es noch existiert, wenn Sie diese Anekdote lesen. Und wenn es nicht mehr dort wäre, dann hätte der Globus sicherlich eine seiner wundervollsten Attraktionen eingebüßt. Es ist die Gaststätte von Mama Carlotta, wo ich auch Lorenzo Fisher kennenlernte. Aber von ihm erzähle ich ein anderes Mal. Mama Carlotta ist dafür bekannt, jedem Gast an der Nasenspitze anzusehen, was dieser zu speisen oder zu trinken wünscht. Und tatsächlich bringen sich nur Besucher aus weiterer Ferne in die Verlegenheit, sich nach einer Speisekarte zu erkundigen. Ich hatte zum Glück im Voraus von dieser Besonderheit erfahren – ja letzten Endes war ich gerade wegen dieser hierher gekommen. Als ich das Restaurant betrat, fühlte ich mich sofort wohl. Eine magische Gemütlichkeit legte sich um mich wie eine erfrischende Brise am Meer. Es war sehr ruhig hier. Zwar sprachen einige der Gäste, doch in einer vertrauten und ruhigen Art, wie man sich zu Hause am Mittagstisch unterhalten würde. Mama Carlotta war eine außerordentlich kleine Frau, die zudem sehr rundlich geraten war. Sie bewegte sich in einem unermüdlichen, watschelnden Gang hinter ihrem Thresen hin und her. Wie ich später erfuhr, war sie die Tochter eines Franzosen, der mit dem Zirkus in die Stadt in der Nähe des kleinen Dorfes gekommen und auf eine Ungarin – Carlottas Mutter – getroffen war. Zusammen hatten sie sich hier niedergelassen und das Restaurant errichtet. Carlotta war nicht verheiratet. Das war für diese Gegend schon recht ungewöhnlich und deshalb erfuhr ich überhaupt davon. Doch der alte Mario, der wie selbstverständlich in der hinteren Ecke des Lokals seinen Wein trank und die eintretenden Gäste eindringlich und trotzdem freundlich musterte, war sicherlich mehr als nur ein treuer Gast. Auch wenn man über diese Dinge nicht sprach. Während sie mir also ein Glas Wein einschenkte und mir einen Teller mit geröstetem Brot und etwas Olivenöl reichte, fragte ich sie, wie sie sich ihre Begabung erkläre. Sie lachte darauf herzlich, obwohl sie bestimmt schon tausend Mal um dieses Geheimnis befragt wurde und sagte mir, wenn ich zum Doktor ginge, würde ich mich doch auch nicht fragen, warum er mir eine bestimmte Medizin verschreibe. Bei ihr sei das ähnlich, nur sei ihre Medizin nicht so bitter. Die übrigen anwesenden Stammgäste, überwiegend alte Herren in ihren Sonntagsanzügen, quittierten diese wohlbekannte Pointe mit einem zustimmenden Grunzen. Ich blieb ein Weilchen und setzte mich an den Tisch, der neben Marios stand, von dem aus man ebenfalls die eintretenden Gäste beobachten konnte. Vielleicht, so dachte ich, könne man dem Geheimnis auch durch genaue Beobachtung auf die Spur kommen. Der nächste Gast ließ nicht lang auf sich warten. Eine junge Frau betrat mit einem Korb voller Gemüse das Lokal.Die alten Herren ließen von ihren Gesprächen und Überlegungen ab, um die Dame zu begrüßen, wie es sich für höfliche Menschen eben gehörte. Carlotta begrüßte die Frau, gab ihr einen Espresso und redete so rasch und begeistert auf das Mädchen ein, dass ich mit meinen bescheidenen Sprachkenntnissen den Anschluß verlor. Ich beobachtete noch einige weitere Gäste, die sie begrüßte und versorgte. Ich kam, das muss ich zu meiner Schande gestehen, nicht auf ihr Geheimnis. Ich kann nur Vermutungen anstellen: Vielleicht waren Carlottas Gäste sehr höflich, und stellten Carlottas Wahl der Speisen und Getränke einfach nie in Frage. Vielleicht kannte die kleine, runde Dame sich auch sehr gut mit Menschen aus und sah ihnen an, ob sie müde, angespannt oder hungrig waren, ob sie eine Erfrischung brauchten oder etwas zur Beruhigung.Jedenfalls war ich mir sicher, dass man Carlottas Geheimnis – selbst, wenn man es kannte – wohl kaum kopieren, standardisieren und vermarkten konnte. Das lag sicher daran, dass Carlottas Geheimnis auf dem exakten Gegenteil solcher Ideen basierte. Ich versank für ein Weilchen in Gedanken, blieb bis zum Abend und dann traf ich Lorenzo. ... Comment |
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