Stichwort: Fingeruebungen

"Du träumst wieder", sagt sie und holt mich aus einem formlosen Gedankenstrom zurück an den Tisch mit den leeren Tellern, zu dem Abend, der angenehm dahingeplätschert war. Ich mochte, wie sie es gesagt hat: Mit einer freundlichen Art von Mahnung. Ich weiß, dass auch sie gelegentlich in diese leichte Trance verfällt, die aus einer zufriedenen Müdigkeit und einem schönen Gedanken entspringt, dem man immer weiter folgt, bis man sich einen Moment darauf in einem golden schimmernden Nichts befindet.

Ich fühle mich ertappt (auch das weiß sie) und frage, ob sie noch etwas malen möchte. Es gibt so viele mögliche Gründe für die Verbundenheit, die zwischen uns herrscht: Genetik, bewusste oder unbewusste Erziehung, Liebe und Vertrauen. Aber manchmal möchte ich an eine telepathische Verbindung zwischen uns glauben, eine übernatürliche Übertragung von Gedankenwellen.

... Link (1 Kommentar) ... Comment


Deine Mutter

Friedrich Friedrich war ein Mensch gewordener Widerspruch. Ich kenne niemand anderen, der - wo immer er hin kam und sich vorstellte - mehr Heiterkeit verursachte, diese jedoch im nächsten Moment mit unvergleichbarer Grausamkeit vernichtete. Friedrich war gleich einem Brocken Vulkangestein durch die Hölle gegangen und zu einem scharfkantigen, schwarzen Klumpen geworden. Es mag sein, dass seine Eltern einen frommen Wunsch im Sinn hatten, als Sie ihm den Vornamen gaben, der gleichzeitig sein Nachnahme war. Vielleicht erwarteten sie, dass er ein fröhlicher Mensch werden würde, der es weit brachte und überall gern gesehen war. Aber Friedrich Friedrich litt unter der repetitiven, gnadenlosen Selbstverständlichkeit, mit der jeder Mensch, dem er begegnete, die Kuriosität seines Namens zum Thema machte. Das hatte ihn zu einem der größten Feinde des menschlichen Humors gemacht.

... Link (3 Kommentare) ... Comment


Der Elefant

Gerade hat er die Geschichte erzählt, wie meine Mutter einen Elefanten gesehen hat. Die Geschichte ist kurz, und sie hat keine echte Pointe, aber ich glaube es ist so, dass Geschichten, in denen ein Elefant vorkommt, keine weitere Pointe brauchen. Auch wenn ein Elefant nicht besonders lustig ist und sehr grau: Er ist einfach ziemlich beeindruckend, wenn man direkt davor steht. Er ist sozusagen eine Pointe für sich. So wie der Papst vielleicht. Oder ein Gewitter. Eine Geschichte über mich dagegen, zum Beispiel wie ich morgens aus dem Haus gehe: die braucht eine Pointe. Dringend. Das pointenähnlichste an dieser Geschichte wären drei grüne Fahrradampeln hintereinander - wenn ich rase und kein Bus kommt, so dass ich den Weg zur Schule in zehn Minuten schaffe (Bezeichnung in meinem persönlichen Pointenähnlichkeitsregister: Welle, grüne). Oder der immer überfüllte Schulfahrradständer am Ende meiner Fahrt (Bezeichnung: Schulfahrradständer, überfüllter). Mit ziemlicher Sicherheit bin ich es, die einen eigenen Elefanten in ihrem Leben braucht. Eine stampfende, trompetende Pointe, die wie Benjamin Blümchen jede Tür zerschreddert, die ihr über den Weg läuft. Und den verfickten Fahrradständer freiräumt.

Seit wann nenne ich sie „meine Mutter“? Früher, als sie noch lebte, habe ich sie immer nur „Mama“ genannt. Auch anderen gegenüber. Glaube ich zumindest. Ich frage mich – und das meine ich ziemlich wörtlich, weil ich gerade beim Zähneputzen mein Spiegelbild anschaue – was Papa früher gesagt hat, wenn er von ihr erzählte. Ich bilde mir ein, dass er sie immer „Line“ genannt hat. Abkürzung von Karoline. Mein Spiegelbild kann schlecht widersprechen, sie hat den Mund voller Zahnpasta. Aber sie schaut mich an, als wolle sie sagen, dass Papa inzwischen auch nur über „deine Mutter“ spricht. Erinnerst du dich an die Geschichte, als deine Mutter den Elefanten gesehen hat? Papa erzählt sie ziemlich häufig. Es hat lange gedauert, bis er es konnte, ohne zu weinen. Ich weiß noch genau, dass Papa und ich in der ersten Woche, als Mama tot war, bei Opa am Küchentisch saßen und ich fragte, ob wir Mama einen Grabstein in Form eines Elefanten schenken sollten. „Schenken“ war natürlich völlig daneben, ich hatte nur dieses Gefühl, dass Mama etwas sehr Trauriges passiert war und wir sie trösten mussten. Papa fand die Idee mit dem Elefanten gut, aber Opa und er hatten natürlich längst etwas anderes bestellt. "Bestellt" ist wahrscheinlich auch ziemlich daneben bei einem Grabstein. Den gibt man eher "in Auftrag". Eine weiße Steinplatte mit dem Namen „Karoline Friederike Grothaus, geb. Kremnitzer, 1978 - 2013“.

Eines Tages fuhren Papa und meine Mutter zur Universität. Sie waren beide Studenten, meine Mutter studierte Jura und musste eine Hausarbeit schreiben. Sie zwar ziemlich mies im Hausarbeiten schreiben, jedenfalls bekam sie fast immer schlechte Noten. Papa erzählt, dass es ein Samstag Mittag war, im Fernsehen lief ein Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft (Gruppenendspiel oder Halbfinale oder so) und die Straßen waren leer. Meine Mutter wollte das Wochenende nutzen, um in der Bibliothek ihr Literaturverzeichnis zu überprüfen, Papa half ihr dabei. Also fuhren sie durch die Straßen nahe der Universität, als meine Mutter plötzlich bremste und in den Rückspiegel starrte. „Was ist los?“ fragte Papa und meine Mutter sagte: „Da war ein Elefant.“ „Wo?“ fragte Papa und drehte den Kopf nach hinten. „Da, in der Seitenstraße“, antwortete meine Mutter und legte den Rückwärtsgang ein. Sie setzte 50 Meter zurück, bis sie an der Kreuzung stand und nach rechts in die Straße hineinsehen konnte. „Da ist kein Elefant“, sagte Papa, „da ist überhaupt nichts.“ „Ja“, sagte meine Mutter, „aber eben stand da ein Elefant. Zwischen dem weißen Eckhaus und der Garage.“ Papa sah sie von der Seite an und sagte: „Line, ich glaube nicht, dass da eben ein Elefant zwischen dem Haus und der Garage stand. Wohin soll er denn verschwunden sein?“ „Weiß ich nicht“, sagte meine Mutter. „Ich weiß nur, dass er dort gestanden hat.“

Spätestens an dieser Stelle hat Papa immer Tränen in den Augen. „Sie war überhaupt keine Tagträumerin“, sagt er. „Sie war toll und hübsch und klug und alles, aber sie hatte keinen Funken Phantasie in der Birne. Wahrscheinlich fehlte ihr überhaupt der Teil vom Gehirn, in dem bei anderen die rosa Elefanten zusammengelogen werden. Und dann steht sie mitten auf dieser Kreuzung und behauptet, dass da eben noch ein Elefant war, zwischen einem Haus und einer Garage“. „Und was ist dann passiert?“ frage ich an dieser Stelle immer. „Und dann hat Miro Klose ein Tor geschossen und aus den Fenstern um uns herum hörten wir ein lautes Jubelgeschrei.“ Darum wollten sie mich auch Miroslav nennen, als ich ein Jahr später geboren wurde. Pech nur, dass ich kein Junge war und doppeltes Pech, dass Mama wegen der Narkose beim Kaiserschnitt ziemlich durch den Wind war. Papa bekam am Morgen den Bogen für die Standesamtanmeldung in die Hand und trug darin den Namen „Friederike“ ein. Seit diesem Tag nennt er mich so, wie sein erstes, knallgrünes Fahrrad geheißen hat: Rixe.

... Link (6 Kommentare) ... Comment


Es sind scheinbare Banalitäten, die mir zeigen, wie verkümmert meine Fähigkeit zum Ausdruck ist. Ich sitze vor dem selbst gebastelten Geschenk meines Sohnes, ohne einen Namen dafür benennen zu können. Erst beim Eingeben der Suchanfrage in die Google-Suchmaske wird mir bewusst, dass die von mir gewählte Umschreibung tatsächlich der adäquate Begriff ist:

Fangbecher.

Er hat ihn mir geschenkt, als ich letzen Montag nach Berlin zur Arbeit aufbrach. Der Fangbecher besteht aus rotem Tonpapier. Er ist geformt wie ein Kaffeefilter, an seiner Bodenfalte ist ein blauer Faden befestigt, dessen anderes Ende durch eine fingernagelgroße Kugel aus halbtransparentem, roten Plastik geführt wird. Ziel ist es, die Kugel vom Boden des Bechers mit einer ruckartigen Handbewegung in die Höhe zu katapultieren und mithilfe des Bechers wieder aufzufangen. Dass der Faden eine maximale Steighöhe der Kugel von rund 20 Zentimetern zulässt, macht die Sache kompliziert:

Ein zu kräftiger Ruck mit der Hand führt dazu, dass die Kugel noch mitten in der Beschleunigung vom Faden gestoppt und die Bewegungsenergie der Kugel daraufhin in die entgegengesetzte Richtung umgeleitet wird. Dadurch ist die zu Boden sausende Kugel kaum mehr mithilfe des Bechers aufzufangen. Meist schießt sie am Rand des Fangtrichters vorbei, bis sie schließlich auf Höhe des Ellenbogens am nun nach unten hängenden Faden hin- und herpendelt.

Der diesem Spielzeug am besten angepasste Impuls besteht folglich darin, die Kugel nur leicht nach oben fliegen zu lassen, sodass ihre Aufwärtsbewegung genau dann ihren Scheitelpunkt erreicht hat, wenn der Faden gerade noch nicht voll gespannt ist. Auf diese Weise bleibt der den Fangbecher haltenden Hand die größtmögliche Zeitspanne, ihre Position der nun nach unten zeigenden Flugkurve der Kugel anzupassen, um sie Sekundenbruchteile später wieder aufzufangen.

Als ich meinen Sohn fragte, warum er mir den Becher schenkt, antwortete er: „Weil ich ihn nicht gebrauchen kann“. Dabei umarmte er meinen Bauch und vergrub sein Gesicht zwischen meinen Beinen. Ich habe mir vorgenommen, regelmäßig mit ihm zu üben.

... Link (1 Kommentar) ... Comment


Ich trinke zu viel Kaffee. Das macht müde und verwirrt. Lange Zeit war nichts ungewöhnliches geschehen und so vergaß ich den eigenartigen Traum und die Stimme in meinem Kopf. Ich hatte wieder mit dem Schreiben begonnen. Mir war klar geworden, dass man Ideen nicht begraben konnte. Sie bahnten sich ihren Weg aus einem verborgenen Winkel des Verstandes zurück in dein Bewusstsein. Dort stellen sie dann wohl solchen Blödsinn mit dir an, wie ich ihn erlebt hatte. Dachte ich mir so zurecht, lag dabei falsch und wurde eines Besseren belehrt.

In meinem Flur tat sich ein winziger, leuchtender Punkt auf, mitten in der Nacht, mitten im Raum. Bevor ich mich fragen konnte, was das wohl sei, entstand vor mir etwas, das ich später als Spiegelfeld kennen lernen sollte. Es war rechteckig, etwas größer als ich und unterschied sich nicht von einem gewöhnlichen Spiegel. Mal davon abgesehen, dass es aus dem Nichts entstanden war und mitten in meinem Wohnungsflur schwebte.

Wenn das Bewusstsein eine Eingangstür hat, dann hatte sich meine gerade geöffnet. Und da war wieder der Gedanke, der wie mein eigener Klang und doch nicht zu mir gehörte.

Na los, geh´ rein! Kein Freiflug dieses Mal, versprochen. Mach schnell, ich zweige grad die Energie von fünf Pulsaren ab, um dieses Spiegelfeld zu bilden. Du wirst begeistert sein, na los!

Ob es die Dringlichkeit der Stimme war oder meine Neugier, die Angst und Zweifel überstimmten, kann ich nicht sagen. Ich trat auf den Spiegel zu und als ich dessen Oberfläche traf, erklang wieder dieses sonderbare Geräusch.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Die Werkstatt des Meisters glich einem Ausschnitt aus einer anderen Welt. Die lange Straße war voller Neubauten. Schöne Läden aus Glas und Stahl mit Parkplätzen aus glattem, schwarzem Teer und weißen Linien. Alles schien nach einem großen Gesamtkonzept errichtet worden zu sein. Die Werkstatt war dabei aber offenbar vergessen worden. Mein Blick fiel auf die alte Tankstelle. Das Gebäude strahlte den Charme der sechziger Jahre aus. Obwohl aus Stahl und Beton errichtet, war alles voller schwungvoller Konturen, schien leicht zu sein, wenn nicht gar zu schweben. Die Farben des Gebäudes waren jedoch verblichen, die Dichtungen der Fenster porös, das Messing der Zierkanten stumpf und zerkratzt. Zwischen den großen Betonplatten am Boden waren Gräser und Wildkräuter hervorgewachsen. Etwas seitlich standen einige Gebrauchtwagen, die einst in Stand gesetzt, dann aber dem Zahn der Zeit überlassen worden waren. Längst waren die Reifen platt und der Lack unansehnlich. Alles sprach dafür, dass dieser Ort seit langer Zeit verlassen war und in gewisser Weise stimmte das auch.

Ich ging zum hinteren Teil der Tankstelle, an der sich zwei große Rolltore befanden. Eines der beiden Tore war halb geöffnet. Aus dem inneren der unbeleuchteten Werkstatt drang ein endloser Strom von Radiomusik. Ich wusste, in welche Richtung ich schauen musste und entdeckte den Meister sofort. Dem ungeübten Betrachter wäre er nicht aufgefallen, denn er saß regungslos neben einem kleinen Campingtisch und hatte die Farbe seiner Werkstatt angenommen.

"Na", sagte der Meister. Das war sein gesamter Beitrag zum Gespräch. Während ich mich setzte, schob er mir einen Becher zu, in den er eine teerschwarze, dampfende Flüssigkeit goss. Die Flüssigkeit verströmte einen scharfen, ätzenden Geruch. Ich erzählte ihm von meinem Traum über Glogmonien. Während ich erzählte, erinnerte ich mich an all die schönen Details, die ich mir für dieses sonderbare Land ausgedacht hatte. Ich ließ auch nicht die Stimme in meinem Kopf aus, die ich nach dem Erwachen gehört hatte. Nicht, weil ich mir einen guten Rat oder eine Meinung zu meinem Befinden erhoffte. Ich vermute, ich wollte einfach wissen wie es sich anhört, wenn man dieses Erlebnis einem anderen Menschen erzählt.

Normalerweise sah der Meister in eine unbestimmte Ecke des geschlossenen Rolltors. Doch als ich meine Erzählung beendet hatte, sah er mich an. Ich konnte seinem Gesicht keine Gefühlsregung ablesen. Doch allein, dass ich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit eine Reaktion in ihm ausgelöst hatte, war beeindruckend.

"Holst Du mir mal die Milch aus dem Kühlschrank?"

Völlig verdutzt stand ich auf und machte mich auf den Weg zu dem kleinen Korridor, der die Werkstatt, den Laden und das kleine Büro verband. Der Kühlschrank stand in der Ecke des Büros. Wie auf dem gesamten Gelände war auch an diesem Ort die Zeit stehen geblieben. Doch während sich an allen übrigen Stellen die Spuren des Verfalls deutlich zeigten, hob sich dieser Ort durch eine besondere Form von Ordnung hervor. Dieser Raum war nicht Ruine, sondern Museum. Auf dem Schreibtisch stand eine Schreibmaschine, ein Wählscheibentelefon und eine schlanke Vase, in der stets eine frische Blume war. Die Werkstatt des Meisters glich einem menschlichen Körper. Der Verstand dieses Ortes war leider verloren gegangen. Nur das Herz war noch da und schlug immer weiter. Und plötzlich, inmitten dieses vergessenen Ortes verstand ich tausend Dinge. Wie eine Flutwelle durchströmte mich eine Erkenntnis und Tränen schossen mir in die Augen.

... Link (2 Kommentare) ... Comment


Die meisten Träume vergisst man direkt, nachdem man aufgestanden ist. Einige wenige überdauern die Grenze zwischen Schlaf und Erwachen. Albträume, ganz selten mal ein schöner Traum bei dem man sich wünscht, wieder einzuschlafen. Noch seltener sind die Traumbilder, die so intensiv sind, dass man eine ganze Weile nach dem Aufwachen glaubt, sie seien Teil der Wirklichkeit. Ich lag in meinem Bett. Mir war sehr kalt. In meinem Kopf war das Rauschen eines zähflüssigen Stroms zu spüren. Meine Zunge klebte am Gaumen. Ich fühlte mich angeschwollen und fiebrig. Meine Muskeln zuckten unkontrolliert. Hände und Füße schienen nicht zu mir zu gehören. Ein Blick verriet mir, dass mein Schlafzimmerfenster geöffnet war. Ich stand auf, um es zu schließen. Doch meine Beine gaben unter mir nach. Dumpf klatschte ich auf den Teppich vor meinem Bett. Mein Blick wies zur Zimmerdecke und ich verharrte in einer halbwegs komfortablen Position am Boden. Was war passiert? Der Sturz vom Himmel schien so bewusst und wirklich, wie es in kaum einem Traum vorher geschehen war. Dazu kam dieser außergewöhnliche Ort, der nur in einer meiner Geschichten existierte. Ich war zweifellos am Palast des Königs vorbeigefallen. Und der steht in Glogmonien, einem Land, das es nicht gibt. Eigentlich. Die Geschichten über Glogmonien ruhen mit vielen anderen tief verborgen in der Erde, umhüllt von Stahl und Blei. Dann hörte ich die Stimme. Es war die gleiche Stimme, in der ich meine eigenen Gedanken hörte. Dennoch schien sie kein Teil von mir zu sein. Sie sagte Entschuldige! Ich habe mir so viel Mühe gegeben. Du ahnst nicht, wie viel Mühe ich mir gegeben habe. Und dann mache ich im letzten Moment so einen dummen Fehler. Das ist so typisch, nicht wahr? Ich mache alles wieder gut. Ich weiß schon, wo der Fehler lag. Hatte ich den Verstand verloren? Fühlte es sich so an, wenn man die Kontrolle über sein Handeln und die Verbindung zur Wirklichkeit verlor? Ich entschied, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Ich war in letzter Zeit etwas überlastet gewesen und das hatte sich jetzt eben bemerkbar gemacht. Ich hatte einen Riesendurst und mein Magen knurrte laut.

Hätte ich damals gewusst, dass der Inhalt meines Magens und einige überschüssige Liter Wasser nun Teil der Marsoberfläche waren, wäre ich sicher nicht seelenruhig zum Kühlschrank gekrochen, um mir ein verfrühtes Frühstück zu machen.

... Link (2 Kommentare) ... Comment


Ein freier Fall aus großer Höhe. Viele Menschen mögen das für ein wundervolles Erlebnis halten. Sicherlich hätte ich das ganz genauso empfunden, wenn mir nicht ein paar grundsätzliche Dinge gefehlt hätten. Da waren zum einen einige Erinnerungen. Zum Beispiel die, einen Kurs in Fallschirmspringen belegt zu haben. Einige Übungen, Wiederholungen und Testläufe absolviert zu haben, bis man schließlich die Fähigkeit erlangte, eigene Sprünge zu machen. Auch fehlte die Erinnerung, ein Flugzeug bestiegen zu haben, die angemessene Höhe zu erreichen und abzuspringen. Überhaupt - das ganze Flugzeug fehlte. Und wenn wir schon bei so banalen, materiellen Dingen waren, der Fallschirm fehlte ebenfalls. Ich schoss also durch die Atmosphäre, ohne eine Erinnerung daran, wie ich hierher gelangt war. Ein Kontinent brauste auf mich zu und wenn mich ein Petunientopf überholt hätte, wäre ich nicht überrascht gewesen. Auch wenn das sehr unwahrscheinlich gewesen wäre. Der Wind schrie mir in die Ohren, zerrte an meinem Fleisch und an meinem Schlafanzug.

Meine Wahrnehmung hatte eine ungewohnte Schärfe erlangt. Scheinbar wollte mein Verstand noch so viele Informationen wie möglich aufnehmen, bevor die Masse der Welt unter mir dem Geschehen ein abruptes Ende bereiten würde. Eine Art Turm erreichte mein Sichtfeld. Eine Bauplattform überholte mich, einige Etagen rannten an mir vorbei bei dem Gedanken, dass es dann ja bald wohl vorbei sein musste. Einige Stilepochen der Architektur später sagte ich mir, dass ich schon eine ganze Weile an diesem Gebäude vorbeifiel.

Etage um Etage raste ich dem Grund entgegen. Schon bald erkannte ich eine großzügig angelegte Parkanlage, dekorative Blumenbeete, Teiche und Wasserspiele. In diesem Moment dämmerte mir, um welchen Ort es sich hier handeln musste. Und bevor mein Erstaunen mich übermannte, war der Erdboden erschreckend nahe. Vor meinen Augen bildete sich auf einem gepflasterten Weg unter mir eine silbern schimmernde Pfütze, die rasch größer wurde.

Schließlich fiel ich hinein und eine eiskalte Faust umschloß meine Seele.

... Link (3 Kommentare) ... Comment


Better Me

Als ich fünfundzwanzig Jahre alt war, begrub ich einen Traum. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich zu dieser Entscheidung gelangt war. Ich weiß nur noch, dass ich entschlossen war, es endgültig und mit aller Sorgfalt zu tun. Es sollte auch nicht so geschehen, wie viele andere es getan haben mochten - still, heimlich und unterbewusst. Ich wollte diesen Traum wortwörtlich eingraben, mich von ihm trennen und ihn gleichzeitig, getrennt von meinem Geist, erhalten.

Mit großem Aufwand fertigte ich einen Kasten aus Blei. Diesen setzte ich in eine Kiste aus Stahlblech ein, die wiederum in eine Holzkiste eingebettet war. Letzteres diente rein dekorativen Gründen. Ich wollte dem Traum einige Erschütterungen und Strahlungen ersparen aus Respekt vor der Energie und der Lebenszeit, die ich in ihn investiert hatte.

Der Traum, den ich der Erde anvertraute war, ein Künstler zu werden. Ich hatte mich in verschiedenen Disziplinen der Kunst versucht und bescheidene Ergebnisse erzielt. Leider fehlte es mir stets an der notwendigen Leidenschaft, mich an einer Sache festzubeißen, sie zu verteidigen und gegen alle Widerstände bis zum Ende fortzuführen.

Und da dieses endlose Leiden, dieses stetige Versagen meine Kräfte zu sehr in Anspruch nahm, legte ich sie ab, meine Werke. Notizbüchlein voller Ideen, Seiten über Seiten mit kurzen oder angefangenen Geschichten, Leinwände mit Bildern und kleine Figuren aus diversen Materialien. Den Behälter füllte ich mit Pflanzenöl, um seinen Inhalt von der zersetzenden Kraft des Sauerstoffs zu schützen. Und dann grub ich ihn ein. Einige Meter tief, in den Bergen, fern von Fluten und Erdbeben.

Dort schlummerte der Traum. Damals ahnte ich nicht, dass er zu mir zurückkehren würde.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Dir kann ich es ja sagen: Ich habe keine Ahnung, wie ich in diese Wohnung im -pff- vielleicht vierzigsten Stockwerk gekommen bin. Mich umgeben interessante Menschen. Leute, die ganz offensichtlich sehr viele Gedanken darauf verwendet haben, was sie heute Abend anziehen würden. In ihren Gesichtern spiegelt sich gespielte Gelassenheit wieder. Intelligente Worte und Ideen, Wissen aus Büchern und aktuellen Quellen sprudeln in angenehmer Lautstärke aus ihnen heraus. Neben mir sitzt Corinna. Ich sehe an mir herunter und bemerke, dass auch meine Kleidung mit sehr viel Feingefühl ausgewählt worden war, also nicht von mir selbst. Seit ich mit Corinna zusammen bin, führe ich nicht länger das Leben eines Möchtegern-Rockstars. Ich werde zu gesunder Ernährung gezwungen, lese Bücher, die man gelesen haben muss und bemühe mich sehr leise bis niemals zu pfurzen. Insgesamt hat mir dieser weibliche Einfluss sehr gut getan. Ich habe sehr viel von dem vermeintlich echten Champagner getrunken. Lange Zeit verhielt der sich wie milde, blumige Apfelschorle. Jetzt hätte ich Lust etwas Verrücktes anzustellen. Aber Corinna hat mich bereits höflich abgeschrieben, legt wie gewöhnlich ihre Hand auf meine und unterhält sich mit James, dem homosexuellen Webdesigner, dessen Lächeln mich immer an ein Omelett mit Tomaten denken lässt. Auf dem Couchtisch aus Messing und Glas steht ein Blumenarrangement in einer riesigen, kugelförmigen Glasschale. Mich würde nicht wundern, wenn es ein echtes Biotop vom Saturn wäre oder von einem der Jupitermonde. Dann befinde ich mich auf der Straße. Es ist angenehm warm. Ich werde eine Weile spazieren gehen.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Online seit 7913 Tagen
Status
Youre not logged in ... Login
Menü
... Home
... Tags

Letzte Aktivitäten
Und Kaloi hat die
Bilder dazu gemalt 😺
by Albtraumjaeger (06.12.21, 14:08)

Matze macht Märchen https://beffana.net/blog/2021/12/01/beffana-2021-staffel-6-folge-1-der-rattenkoenig/
by Kailoi (03.12.21, 14:00)
Die Tage werden wieder kürzer.
Vielleicht sollten wir unsere Schreibtische verlassen und zwischen den...
by Kailoi (29.09.21, 20:20)
fun fact
by Kailoi (12.07.21, 12:16)
Online seit...
by ChrisTel (18.06.21, 22:49)
danke. hat mich gefreut!
:)
by Anonymus (23.06.20, 15:30)
von mir auch allet
jute!
by kraehenpost (18.06.20, 10:58)
Online seit...
by ChrisTel (18.06.20, 09:02)
Online
by Anonymus (13.06.20, 12:10)
#thismorningwalk
by Anonymus (13.06.20, 12:08)
Uuuuund... noch'n Podcast hier: https://im-moor.net
(kann man ruhig hören. ist seehehr gut))
by Albtraumjaeger (13.04.20, 18:12)
Weihnachtshexe Beffaná FYI Ich hab
einige Songs meiner diesjährigen 24-teiligen-Podcast-Serie über die Weihnachtshexe Beffaná in...
by Albtraumjaeger (07.01.20, 17:41)
Habs mir gerade angehört.
Cooler Text. Frohes Neues!
by Albtraumjaeger (02.01.20, 09:39)
Brückengeländer
by Anonymus (31.12.19, 13:27)
:)
by Anonymus (31.12.19, 13:24)
Farbe ist meine Welt
by ChrisTel (23.12.19, 00:13)
Respekt Was sind das für
Wesen, die von hinter ihrem Zaun aus 2 Zentimeter Entfernung...
by marraine (11.12.19, 14:08)
👍🤗
by Albtraumjaeger (06.12.19, 14:58)
Update 6.12 Ich habe
mich entschlossen, den ganzen Kram einfach wieder in Ordnung zu...
by marraine (06.12.19, 14:47)
Ach du fuck! Ichhab gestern
Abend aus einer Laune heraus Lotto gespielt. Wenn ich...
by Albtraumjaeger (06.12.19, 07:50)
Advent, Advent Ich versuche ja
geduldig zu sein, Erwachsen und einsichtig, ruhig und gelassen, die...
by marraine (06.12.19, 01:47)
Jean-Luca
by ChrisTel (28.11.19, 14:02)
Vielleicht tröstet dich neben diesem
"Ich werde alt"-Gefühl auch die Einsicht, dass die Schwelle...
by Kailoi (01.10.19, 12:29)
Kalender
April 2024
So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.
123456
78910111213
14151617181920
21222324252627
282930
Juli
Suche
Firefox-Search-Plugin
RSS-Feed