Störende Faktoren
Mittwoch, 21. März 2007
Störende Faktoren

Alexander saß am Rand eines Videoschnittpultes. Auf den Monitoren war das Gesicht eines jungen Mannes eingefroren, von dem kurz zuvor ein Strom melodischer, doch unverständlicher Laute ausgegangen war. Die russische Sprache rief in ihm das Bild eines alten Hauses hervor, dessen knarrende und grollende Türen und Fenster einen konstanten Strom sich aneinander reibender Wasserballons entlässt. Er war hier, um seiner Freundin Irina bei der Übersetzung eines Videointerviews zu helfen. Sequenzen von Fragen und Antworten wurden von ihr in eine ungefähre Entsprechung in deutscher Sprache übersetzt und seine Aufgabe bestand darin, diese in journalistisch neutral anmutende Sätze zur späteren Vertonung umzuformulieren. Er musste dabei an frühe positivistische Kommunikationsmodelle denken, die den Teilnehmern eines Gespräches die Funktionen von Sendemasten und Radioempfängern zuwiesen.

"Können wir weitermachen?"

Er nickte. Der russische Student der Ingenieurswissenschaften plauderte von Studium, finanzieller Lage und Lebenssituation, während die Hintergrundkulisse, eine vielbefahrene Strasse, seine Worte in unkenntliche Fetzen zeriss. Irina bemühte sich mit zusammengekniffenen Augen, die verlorengegangenen Aussagen von den Lippen des jungen Mannes abzulesen, diktierte jedoch nach einigen Wiederholungen stets einen durchaus plausiblen Satz. Gelegentlich handelten Irina und er aus, ob man es im deutschen vielleicht eher so oder so ausdrücken sollte. In den meisten Fällen schloss die Verhandlung mit Irinas unbekümmerter Feststellung, dass man vom Originalton nachher kaum noch was verstehen könne und es im Grunde egal sei, wie sie es übersetzten.

Alexanders Aufmerksamkeit wanderte immer wieder zu seiner Leistengegend. Dort hatte sich seit dem Aufwachen heute Morgen ein stechender Schmerz eingenistet. Beim gestrigen Rundlauf, der verhindern sollte, dass jahrzehntelanger und hemmungsloser Konsum tierischer Fette sich in empfindlichen Stellen seines Durchblutungssystems niederschlagen würde, musste er sich falsch bewegt haben. Alex befürchtete, es könne sich bei seinen Beschwerden um so eine Art Leistenbruch handeln. Dabei hatte er bei derartigen Überlegungen stets das ungute Gefühl, er könne sich zum Hypochonder entwickeln. Andererseits wollte er auch nicht mit jedem ungewöhnlich gelagerten Muskelkater zum Orthopäden humpeln.

Als sie zur Mittagspause in die nahe gelegene Kantine gehen wollten, entschuldigte er sich kurz, um zur Herrentoilette zu gehen. Er erinnerte sich an den wohl beschämensten Teil der Musterungsuntersuchung, die nun schon einige Jahre zurücklag. Alexander prüfte mit raschem Blick, ob die Toilettenkabinen besetzt waren, stellte sich vor eines der Urinale und gab vor zu pinkeln. Er hustete. Er hustete erneut. Irgendwo sollte nun irgendetwas zucken, doch es wollte ihm verflixtnochmal nicht einfallen, was und wo. Nach dem dritten, gekünstelt klingenden Husten, das zum Glück nicht anwesende Personen für eine wortlose Zurechtweisung eines unbekannten Fehltrittes hätten halten können, glaubte er ein entlastendes Zucken zu erkennen. Leicht humpelnd machte er sich auf den Weg, um Irina zu treffen.

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Ebenfalls von unschätzbarem Wert ist Das Buch der Inneren Befindlichkeiten von Dr. med. Zalamander Regenschein. Ein Handgriff genügt, und ich kann mir den Gang zum Arzt sparen. Der würde ja doch nur wieder behaupten, ich sei kerngesund. Er hält auch nicht gerade viel von meiner Theorie der Hypothetischen Infektion, die besagt, daß man jede Krankheit, die man sich einbilden kann, auch bekommen kann. Er hält mich für einen praktizierenden Hypochonder. Immerhin gibt er zu, daß ich ein besonders begnadeter Hypochonder bin. Ich kann mir Krankheiten einbilden, die es noch gar nicht gibt. Ich habe einmal einen Roman geschrieben (Phantomfieber), in dem alle Protagonisten an eingebildeten Krankheiten sterben. Haben Sie schon einmal an Gehirnrheuma gelitten? Das ist so ein zerrender Schmerz zwischen den Schläfen, als würde ihr Gehirn in die Breite gezogen und gleichzeitig gezwirbelt furchtbar, sage ich Ihnen. Oder kennen Sie kreisförmiges Magensausen? Das ist, als würde ein kleines Tier mit sehr vielen Füßen die Magenwände hochrennen, immer im Kreis, stundenlang. Mandelwürgen? Das bekomme ich immer, wenn ich mit meiner Zunge in meinem Hals nach Entzündungen forsche. Kennen Sie Sodgrimmen? Nasenfieber? Lebersausen? Manchmal brennen meine Ohrläppchen wie Feuer, und meine Zunge schmeckt nach Essig. Dann greife ich zum Buch der Inneren Befindlichkeiten und erfinde Krankheiten von solcher Raffinesse, daß kein Arzt sie diagnostizieren könnte.

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Das sind über zwanzig Euro!
by Kailoi (23.07.24, 11:02)
Und Kaloi hat die
Bilder dazu gemalt 😺
by Albtraumjaeger (06.12.21, 14:08)

Matze macht Märchen https://beffana.net/blog/2021/12/01/beffana-2021-staffel-6-folge-1-der-rattenkoenig/
by Kailoi (03.12.21, 14:00)
Die Tage werden wieder kürzer.
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by Kailoi (12.07.21, 12:16)
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by ChrisTel (18.06.21, 22:49)
danke. hat mich gefreut!
:)
by Anonymus (23.06.20, 15:30)
von mir auch allet
jute!
by kraehenpost (18.06.20, 10:58)
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#thismorningwalk
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Uuuuund... noch'n Podcast hier: https://im-moor.net
(kann man ruhig hören. ist seehehr gut))
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by Albtraumjaeger (07.01.20, 17:41)
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Cooler Text. Frohes Neues!
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by Kailoi (01.10.19, 12:29)
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