Am Siegriedplatz mussten sie nach dem Einkauf, der heute planlos und ohne drängenden Bedarf mager ausgefallen war, etwas Zeit verschwenden. Um Fünf sollten sie sich am Bahnhof mit einer Freundin treffen, die in jedem Sinne etwas für sie übrig hatte. Ja, das Geben und Nehmen wird in manchen Kulturen intensiv gepflegt, während man sich in unserer Gesellschaft eher auf das Nehmen spezialisiert hat.

Dies ist eine der Lektionen, die einem Mitteleuropäer ganz neue Sichtweisen eröffnen. Kleine Geschenke auszutauschen - und zwar ohne Verbindlichkeiten, ohne Abwägen und Berechnung oder das verstimmte Abwarten auf einen längst fälligen Ausgleich - macht einfach Freude und ist auf eine unkomplizierte Art und Weise praktisch: Wenn man von etwas viel zu viel hat, kann man seinen Freunden und Bekannten etwas davon abgeben. Auf diese Weise kursieren in jenen Kreisen Unmengen von Werbegeschenken, Lebensmitteln und anderen Dingen, die, falls sie nicht den richtigen Adressaten gefunden haben, einfach weitergereicht werden. Der eine mag sich an die Geschenkkultur der Hobbits erinnern, ein anderer an kommunistische Idealvorstellungen.

Sie saßen an dem weitläufigen, hübsch gepflasterten Platz, den zahlreiche Kinder mit halb koordinierten Kreidezeichnungen dekorierten. Die ersten nennenswerten Sonnenstrahlen hatten die gleiche Wirkung auf die Bürger der Stadt, wie ein zerbrochenes Glas Marmelade auf Bienen und Wespen. So setzten sie sich, mit Kaffee und Eis am Stil ausgestattet auf die Bänke am Rand des Platzes, die trotz des Gedränges direkt vor dem Café überwiegend frei waren. Der Grund hierfür waren womöglich jene Personen, die den Unterschied zwischen "vollkommen" und "überwiegend" freien Bänken ausmachten. Einer von ihnen verkündete, dass heute ja Mittwoch sei und morgen Donnerstag und er am Freitag immernoch kein Geld haben würde, wobei von allen Feststellungen nur die letzte wirklich überzeugend klang. Ein kleiner Hund sass auf der Bank und kläffte sämtliche passierenden Artgenossen an, was dessen Besitzerin zu endlosen Mahnungen bewegte, denen der Hund keine Beachtung schenkte.

Das Eis war gegessen und der Kaffee getrunken und da damit nur ein Viertel der zu verschwendenden Zeit verstrichen war, lasen sie sich aus den zwei Büchern vor, die sie kurz zuvor am Gebrauchtwarenstand in der Universitätshalle erworben hatten. Leuchtend gelb strahlten die Taschenbücher in der nachmittäglichen Sonne. Eines handelte von einem Mädchen, das einem seltsamen Häschen mit einer Taschenuhr folgte, das andere von den Aussagen eines fernöstlichen Denkers, der schon vor langer Zeit einen tieferen Sinn in Anstand und Ausgeglichenheit gefunden hatte. Sie probierten nur ein paar Seiten ihrer Lektüre, sparten sich den Rest für später auf - eines der Büchlein sollte ihnen Gute-Nacht-Geschichten bescheren, das andere eifrigen Diskussionen über die Brauchbarkeit alter Weisheiten in der heutigen Zeit dienen.

Der biermüden Gesellschaft auf den Nachbarsitzgelegenheiten gelang es ebensowenig sie zu unterhalten, wie den umhertorkelnden Kleinkindern oder deren sonnenhungrigen Erzeugern. Sie beschlossen, die zeitsparende Fahrt mit der Straßenbahn zugunsten eines ausgedehnten Spazierganges aufzugeben, verloren etwas Zeit damit, in die falsche Richtung aufzubrechen und damit, erfolglos etwas brauchbares in einem Drogeriemarkt zu kaufen und trafen sich schließlich mit der Freundin, die es sich zu einem regelmäßigen Vergnügen gemacht hatte, sie mit Unmengen an Kuchen und anderen Kalorienbomben zu beschenken.