Das ist alles noch nicht passiert...
Montag, 7. April 2003
Das ist alles noch nicht passiert...

Mesaincosa Das Motorengeräusch des Volkswagens verklingt. Bedeutungsschwer lasse ich mich auf die Couch fallen. Endlich ist es so weit: Ich werde ein anderer Mensch. Das war jetzt ausnahmsweise mal ein Plan, den ich verwirklicht habe. Das es auch noch ein so sinnvolles und detailiert durchdachtes Projekt ist, befriedigt mich besonders. Ja, ich hatte mir sogar einen von diesen wundervollen Projektnamen ausgedacht, die einem im ersten Moment garnichts sagen, weil sie eine eigenwillige Neuschöpfung aus Wortbestandteilen sind. MESAINCOSA - Woran mochte man da denken? Klingt ein bischen wie ein pharmazeutischer Wirkstoff. Steht aber einfach für MEns SAna IN COrpore SAnum. Und der Name soll Programm werden. >>>

Die Waldhütte ist die perfekte Kulisse für dieses Unterfangen. Ich wollte einmal in und an mir alles aufräumen. Die ganzen Giftstoffe aus dem Körper schwemmen und gegen eifrige Immunzellen und Vitamine austauschen. Die Fettreserven zurückfahren und krass-athletische Muskelberge heranzüchten. Den ganzen gefährlichen Blödsinn von der Seele schreiben, den Kopf aufräumen um Weltliteratur und Allgemeinwissens-Updates hineinzugießen. Vielleicht auch ein paar ernsthafte Dinge aufschreiben, so richtige Knaller, die man dann auch mal jemandem zum Lesen geben kann und der (oder die) dann ganz beeindruckt mit dem Kopf nickt. Fotografieren, Malen, Zeichnen mal zur Pflicht machen, mal die Produktion anheizen. Nicht so nach Lust und Laune manchmal, aber dann eher nicht. Ich wollte von einem verschlossenen, geizigen, faulen und in kaum etwas begabten Menschen zu einem Erfolgsmenschen werden. Nein, würg, nicht Erfolgsmenschen. Da denkt man gleich an Multimillionen-Dollar-Managertypen die Porsche fahren, immer gut aussehen, sich aber nachts in Latex einkleiden und sich den Arsch versohlen lassen. Neinnein, Erfolgsmensch ist nicht das richtige Wort. Ich wollte idealistisch sein, meinen subjektiven Wert steigern. Mich etwas mehr mit mir selbst anfreunden, damit ich mir und anderen nicht mehr so oft auf die Füße trete - psychologisch wertvolles Zeug eben. Ich habe mir da ein rundum-Trainingsprogramm ausgearbeitet, dass mich ein gutes Stück nach vorne bringen wird - selbst, wenn ich nur einen Teil davon würde umsetzen können. Mir wird bewusst, dass ich die ganze Zeit auf die fünf Kisten Mineralwasser starre. Viel Wasser trinken. Ich nehme mir eine Flasche heraus und trinke die Flasche halb leer. Ich will auch optimistischer werden, also trinke ich die Flasche halb voll? Streichen wir das. Der Wasserkur-Aspekt meines Programms dürfte noch die leichteste Übung darstellen. Ich beginne, Zeug in den Kühlschrank einzuräumen: Joghurt, Quark, Karottensaft. Ein bischen erschrecke ich vor mir selbst. Kalter Entzug von allen schlechten Angewohnheiten auf einmal. Ich vermisse jetzt schon die eine, coole Zigarette die ich nicht mehr rauchen werde. Die erste Zigarette in einer gerade gekauften Schachtel ist die beste. Meistens mache ich einen oder zwei Tage Pause mit dem Rauchen. Die erste Zigarette bestätigt einem immer, dass die Entscheidung, doch nicht aufzuhören, richtig war. Allerdings zerstören all die anderen Zigaretten diese Überzeugung zur genüge. Keine Zigaretten zu kaufen funktioniert nur so lange, wie man sich von anderen Rauchern isoliert. Sonst fängt man das Schnorren an und man wird schleichend immer unbeliebter. Wenn ich nicht über Geld nachdenken müsste, würde ich wahrscheinlich nur die erste Zigarette in der Schachtel rauchen und die anderen verschenken, oder so. Ich bemerke, dass ich jetzt schon eine ganze Weile über Zigaretten nachdenke. Das ist nicht so gut. Während ich Konservendosen mit Obst, Pilzen und Gemüse in den Vorratsschrank stelle, denke ich über den Jojo-Effekt nach. Die geistige Komponente meines Plans ist ziemlich sicher, da kann man nicht viel kaputt machen. Wenn man lernt, hat man immer was dazugewonnen. Mein Sport- und Ernährungsprogramm könnte aber auch nach hinten losgehen. Spätestens, wenn ich wieder zu alten Gewohnheiten zurückkehre. Auf der anderen Seite ist Handeln immer besser als herumzuliegen und garnichts zu tun. Die Leinwände und Ölfarben platziere ich auf dem Couchtisch. Von den großen Fenstern strömt schön viel Licht herein. Die Reiseschreibmaschine stelle ich ebenfalls auf den Tisch, nebst einem großen Paket Papier, Bleistiften, Lexika, ein paar Büchern über das Zeichnen. Die anderen Bücher kommen neben das Bett. Vorbereitungsphase abgeschlossen. Vier Wochen lang werde ich die Welt in mir und um mich herum verbessern. Es regnet draußen. Schön. Vielleicht sollte ich nach draußen gehen und etwas im Regen stehen. Ob es wohl eine gute Idee war, sich so vollständig abzuschotten? Das Mobiltelefon habe ich abgeschaltet. Stille kehrt ein. Nur der Regen hält sich nicht daran. Ich stehe im Regen. Spontan sein ist wichtig, verkürzt die Übertragungswege von der Idee zur Umsetzung. Kann aber auch bescheuert sein, wenn man zum Beispiel im Regen steht und friert. Aber das Schöne am im Regen Stehen ist das wieder Aufwärmen danach und das aus dem Fenster sehen und wissen, wie schodderich das da draußen ist und wie gut, dass man im warmen, trockenen sitzt. Schlotternd mache ich die Gasheizung an. Ich wechsele meine Kleidung. Soll ich wohl gleich heute mit allem anfangen? Oder erst morgen? Lieber heute, sonst wird das Verschieben womöglich gleich am Anfang zur Routine. Ich trinke heißen Kräutertee und schreibe eine Geschichte über ein stotterndes, fliegendes Pferd namens Pepe Gasus. Eine Weile kichere ich und freue mich, wie gut alles funktioniert. In der Nähe der Tür steht immer noch der Karton, in dem ich meine Ideen aufbewahre. Teil des MESAINCOSA-Projektes soll es auch sein, diese nie angefassten, zwischengelagerten Ideen einmal auf- und weiter zu verarbeiten. Immer habe ich das aufgeschoben, das soll mal aufhören. Sonst bin ich irgendwann tot, fliege durch den Tunnel auf das Licht zu und denke dann Au Backe, ich muss ja noch etwa zehntausend Ideen aufarbeiten. Und vom Licht her erhebt sich eine mächtige Stimme und sagt WER SCHLÄFT, KANN NICHT RAD FAHREN. Nee, so nicht. Im Karton ist auch mein ledergebundenes Buch, in dem ich ebenfalls Ideen sammle. Das ledergebundene Buch habe ich selbst gemacht. Ich bin absolut verrückt nach Büchern. Dabei geht es nicht hauptsächlich um das Lesen, sondern um das Herstellen und das Aufbewahren. Bücher sind ja auch so eine Art Behälter und nach Behältern jeder Art bin ich total verrückt. Es gibt glaube ich ein Lied aus den achtzigern das Container-Love heißt. Ich kann mich unheimlich für schöne Flaschen, Dosen, Kisten und Kästen, Kartons und Schnappgläser begeistern. Ich schätze, es ist der tief verankerte Wunsch, etwas herzustellen, der diese Verpackungs-Idee fördert. Etwas zu produzieren ist der absolute, gigantische Wahnsinn. Lagerräume aller Art, Kellerräume und Depots, in denen Dinge eingeordnet und gelagert werden, versetzen mich in euphorische Unruhe. Vielleicht lässt sich das für die Kunst verwenden. Der Behälter als Motiv - das Bild als Behälter für Motive. Auf der anderen Seite führt meine Behälter-Liebe dazu, dass ich schöne Flaschen, Kartons und all das nicht wegschmeißen kann. Sammeln kann zu einem ernsthaften Problem werden. Da muss man aufpassen. Okay, genug gegrübelt. Mache noch ein paar Dehnübungen, um meine Muskeln auf den morgendlichen Waldlauf vorzubereiten. Überrascht protestieren die Muskeln und die Gelenke, geben hässliche, knackende Warnmeldungen von sich. Der Tag war schon mal erfüllend. Viel geschafft. Einige Seiten lese ich noch vor dem Einschlafen. Morgen wird ein weiterer, großer Tag werden.

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Jungejungejunge!

Das wird ja was! wenn dat alle klappt, miete ich die Hütte auch ma, ok? Ansonsten: Knorke Geschichte!

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