Beitrags-Archiv 19. Oktober 2004 (Seite 1 von 1)
Dienstag, 19. Oktober 2004
Der Nachtapell

Herr K. wäre nicht aufgefallen, während man mit ihm sprach. Unter dem buschigen Vollbart vermutete man ein wohlgeformtes Gesicht, seine Augen sprachen von Sanftmut und einer Spur von Traurigkeit. Leider machte sich niemand die Mühe mit ihm zu sprechen. Aus gutem Grund, würde man erfahren, wenn man sich die Mühe machte zu fragen. Ein Teufelskreis. Einst hatte er in einem angesehenen Beruf gearbeitet, hatte gute Arbeit geleistet, war für seinen Einfallsreichtum bekannt. Irgendetwas war vorgefallen. Man würde wohl nie erfahren, was. Herr K. sprach nicht darüber und niemand, der noch zugab, ihn zu kennen schien davon zu wissen. Er besaß eine kleine drei-Zimmer-Wohnung, bescheiden eingerichtet und ordentlich. Wenn man ihm begegnete und ihn grüßte und ihm eine Frage stellte, bekam man eine freundliche Auskunft - ja, vielleicht sogar eine ausführlichere Auskunft, als man erwartet hatte. Und dennoch gab es Unterschriftenlisten. Auf diesen Listen wurde die Zustimmung erbeten, etwas gegen ihn, Hernn K., zu unternehmen. Das war wegen der Nächte und auch wegen mancher Tage, in denen er laut brüllte. Unverständliches Zeug, Drohungen, Hilferufe, Reden, die wie Prophezeiungen ohne Inhalt klangen. Zuweilen englisch klingende Worte, dann wieder deutsch. Was wahrnehmbar blieb, war die Ruhestörung. Er war ein öffentliches Ärgernis, irrte auf den Straßen herum, hielt Reden deren Worte nicht verständlich waren. Man konnte ihn für einen Säufer halten, der er nicht war. Man klagte gegen ihn, wollte ihn seiner Wohnung berauben. Einige wenige sprachen für ihn. Man erwirkte eine Zwangseinweisung, er selbst hielt sich nie für krank. Medikamente, Therapie. Er durfte zurück in seine Wohnung - so lange wenigstens, wie er keinen Ärger machte. Wenigstens eine Chance.

Frei nach einer Fernseh-Dokumentation

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Trashpop-Revival

Der Bus hielt nicht. Es regnete. Vor dem Straßencafe lag ein passionierter Amateurliterat. Niemand vermutete, dass es Kreislaufbeschwerden waren. Man praktizierte Nichtachtung. Ab einer Menge von vier Tassen heißem Espresso mit Zucker begann der richtige, der ungebremste Schreibfluss. Der Effekt ließ sich bis zu einer ungewissen Grenze kumulieren, bis er sich ins krasse Gegenteil verkehrte. Einige Papierservietten lösten sich auf dem regennassen Gehweg bis zur Unkenntlichkeit auf. Die einzige Rettung für den hilflos auf den Pflastersteinen dahinrudernden Schreiberling wären jetzt zwei, drei Gläschen Absinth, eine halbe Flasche Rotwein und eine Mütze voll Schlaf. Aber die kalten Steine hielten ihn fest, umarmten ihn fast leidenschaftlich und versprachen mit zärtlichen, ungebsprochenen Worten, das Rasen seines Herzens, die Verwirrung seiner Gedanken aufzulösen. Biedere Schuhe und zerbrechliche Knöchel in braunen Strumpfhosen näherten sich, begleitet von der gelegentlichen Gesellschaft eines Spazierstockes. Die Stimme einer alten Dame hob ihn auf, war nicht empört wie man hätte erwarten können, sondern besorgt. Ein langes Gespräch im Bademantel eines Verstorbenen folgte, eine Tasse Tee und Gebäck. Danach schrieb er ein Buch über sie und wurde berühmt.

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Der Zerstörer

„Ich krich noch nen Usenmatsch, aber diesmal bitte lauwarm“. Ohne zu zögern warf er den leeren Krug auf den Boden, wo er äußerst filmtauglich in viele Einzelteile zerschellte. „Den schreib ich dir mit aufn Deckel.“, raunzte ihn der Wirt an. „Mach doch, du Wichser!“. Hebät Kötter war hier seit über 40 Jahren Stammgast, das übliche Prozedere zwischen ihm und dem Wirt hatte sich genauso eingespielt wie das Angrapschen der meinst jungen Bedienungen und anschließende Wichsen in die dreckige Kloschüssel. Früher konnte er manchmal sogar eins der jungen Biester mit nach Hause nehmen, da war er noch jung und früh, rasierte sich täglich, hatte ein schnittiges Sport-Coupe und eine eigene Wohnung. In den „guten alten Zeiten“ konnte er auch 30 Kannen Usenmatsch kippen, danach nen Beschleunigungsrennen und 500 Tacken gewinnen, um am nächsten Morgen neben der Blonden aus dem Verkauf bei Lockenprügels aufzuwachen. Wie sich die Zeiten geändert hatten. Die 30 Kannen Usenmatsch waren zu ner regelsmäßigen Institution geworden, die seinen Tagesablauf durchaus mit beeinflussten, seinen Führerschein hatte er seit 15 Jahren und der Sache mit der Kindergruppe und der Ponykutsche nicht mehr gesehen und aus den blonden Schönheiten waren mittlerweile graue Omis geworden. „Hier, lauwarm, wie gewünscht.“, mit übermäßiger Freundlichkeit stellte ihm Gerd einen neuen Krug vor die Reste seiner Nase. „Und wie sieht's aus bei dir, Hebät? Alles im Lot? Biste mal wieder den Hüpfern aufm Arsch am Glotzen?“. Auch diese Kommunikation war eingespielt und ohne Überraschungen. „Halt die Fesse, sonst schlach ich se dir ein, Arschloch!“. Wenn es mal Ärsche gegeben hätte, stattdessen bekam er einen Hustenanfall, der der mit dem Ausspucken eines großen, rot-gelben Brocken auf das Seidenjacket seines Nachbarn an der Theke endete. Dieser Pfiffi bemerkte die Provokation nicht einmal, sondern blubberte weiterhin irgendwas von Aktienpaketen in Asien, Riesengewinnen und man müsse jetzt investieren, sonst sei der Zug abgefahren. Wem genau er diese finanziellen Ratschläge gab, blieb ungewiss. Hebät fummelte in der Tasche seiner Hose herum, um Kippen aufzutreiben. Vergeblich, aber vielleicht hatte das Seidenjacket welche am Start. „Hey, du alter Baschacke, gib mich ma ne Kippe, sonst klopp ich dir wat am Kopp!“ Sein Tonfall schien zu beeindrucken und 10 Sekunden später trafen die ersten Nikotinteilchen auf das, was früher einem Gehirn verdächtig nahe gekommen war. Abhusten, Ausspucken, Abtrinken. Besser wär, schleunigst ab ins Wohnheim zu gehen, aber diese Gedanken konnte er nur fassen, weil sein Alkoholspiegel für diese Uhrzeit viel zu gering war. Die Erkenntnis musste in Taten umgesetzt werden, ran an die Jolle und dann runter damit in einem Zug. Rülpsen oder Kotzen, war jetzt die Frage. Beim „e“ von Frage begann sein Magen bereits mit dem unwiderstehlichen Pumpen und so verschwanden die Rotzflecken an Pfiffis Seide sobald in einem Bad aus Blutwurst, Usenmatsch und anderen Tierausscheidungen. „Investieren, in Asien, da is alles am Boomen, da wächst die Wirtschaft jedes Jahr um mehr als zehn Prozent. 100 % Gewinngarantie kann ich natürlich nich geben, aber wer kann das schon, aber du kannst mir vertrauen. Wenn du mir 10000 Tacken gibst, kriste in 2 Monaten 20000 zurück, ehrlich. Sachmal? Is am Durchregnen hier, mein Rücken ist ganz nass.“. „Wie, nass? Lass ma sehen? Ne, dass gibst, doch gar nicht, da hat dir ne Taube hingeschissen, was sag ich eine, hunderte! Aber scheißegal, lass uns lieber nen Schnaps trinken. Äh, Ferkel, bring ma guste 2 Pullen Schluck für mich und meinen neuen Kumpel hier rüber.“ Mit seinen Händen versuchte der Seidenmann derweil ungeschickt das Unheil zu entfernen, beschränkte sich aber, nüchtern betrachtet, auf ein gleichmäßiges Einmassieren der Suppe in seinen teuren Fummel. Wenn es einen verdammt Guten Zeitpunkt für einen strategischen und lebensbejahenden Rückzug gegeben hätte, wäre es dieser gewesen, aber so unverbesserlich sind nur alte Haudegen mit dem Hang zum dramatischen Finale. Nach weiteren 4-5 Usenmätchen und mindestens einer Flasche Weizenkorn, setzen Häbet der Nebel des Krieges und seine kriegsversehrte Blase immer mehr zu, so dass ich sich schließlich mehr oder weniger bewußt entschied, vom Hocker zu fallen und sich den Hinterkopf auf dem Steinboden aufzuschlagen. Vermutlich hat er, trotz des Blutverlustes und der schweren Alkoholvergiftung den Abend überlebt, aber die Gewinne aus Asien, werden andere einstreichen.

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Oh, wie ernst ist die Situation. Ein Freund des Chaotischen und des Grotesken, ein überzeugter Anarchist - doch mit der Betonung der richtigen Bedeutung, denn Anarchismus hat nichts, wie heutzutage immer wieder angenommen, mit Gewalt und Zerstörung zu tun und jeder, der dies behauptet, solle sich erst einmal schlau machen, bevor er schlau daherredet - will ich und kann nicht mein Leid klagen. Ich fühle mich dumm und missverstanden, ausgeschlossen und eingesperrt. Nicht zuletzt, weil ich es wirklich bin. Von mancher Seite wird mir - übrigens jedes Mal von Neuem überraschend und unverständlich für mich - eine gewisse Intelligenz nachgesagt. Ich schreibe das dem Umstand zu, dass ich es gelernt habe, mich unverständlich auszudrücken und mir in Dingen, wo mein bescheidenes Wissen mir nicht weiterhilft, nichtsdestotrotz ein wissendes Lächeln mit mir zu tragen. Konformität missfällt mir sehr und ich kann dies wohl Begründen. Es ist das gedankenlose, das unhinterfragte Folgen hinter allen anderen. Wie oft erlebt man, dass eine Schar von Menschen vor einer Tür steht, jeder einzelne annehmend, dass sie verschlossen ist und nur ein einziger wagt, die Türklinke zu drücken um die Tür zu öffnen. Wieviel Leid wurde verursacht, wieviel vergebliche Mühen aufgewendet und gar Leben vernichtet mit der fadenscheinigen Begründung, dass alle anderen es gleich tun. Und die Antwort auf die altbekannte Frage Wenn alle in den Brunnen springen, würdest auch Du es tun? Sie lautet wohl: Ohne zu zögern. Ich möchte nicht leugnen, dass das Zusammenwirken Vieler in der Vergangenheit große Dinge bewirkt hat. Es ist auch nicht die Zusammenarbeit, das Gemeinsame, das ich beklage. Wo wären wir, frage ich, wenn alle Menschen nur die Tätigkeiten ausführen würden, über deren Konsequenz und Nutzen sie sich wenigstens für eine Minute Gedanken machen würden? In Höhlen, oder in Utopia? Der Schmied fertigt das Schwert und verkauft es dem Händler, der Händler verkauft es mit Gewinn an einen Soldaten, der Soldat folgt dem Befehl des Königs und tötet andere Soldaten, vielleicht Frauen und Kinder. Jeder von Ihnen wird behaupten, dass er nur das getan hat, was von ihm erwartet wurde. Natürlich leben wir nicht mehr in Zeiten der Schwerter und auch Könige gibt es nicht mehr viele. Die Produktionsketten sind länger geworden, die Einflüsse und Machtverhältnisse komplexer.

Alfred zog den Papierbogen aus der Schreibmaschine und las, was er geschrieben hatte. Dann ging er in den Keller.

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Neben Euch, meinen erhabenen Freunden, werde ich stets nur ein Mensch aus Fleisch und Blut sein.

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Uuuuund... noch'n Podcast hier: https://im-moor.net
(kann man ruhig hören. ist seehehr gut))
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Habs mir gerade angehört.
Cooler Text. Frohes Neues!
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