Mittwoch, 11. September 2013
Der Elefant
Albtraumjaeger
18:53Uhr | tag: Fingeruebungen
Gerade hat er die Geschichte erzählt, wie meine Mutter einen Elefanten gesehen hat. Die Geschichte ist kurz, und sie hat keine echte Pointe, aber ich glaube es ist so, dass Geschichten, in denen ein Elefant vorkommt, keine weitere Pointe brauchen. Auch wenn ein Elefant nicht besonders lustig ist und sehr grau: Er ist einfach ziemlich beeindruckend, wenn man direkt davor steht. Er ist sozusagen eine Pointe für sich. So wie der Papst vielleicht. Oder ein Gewitter. Eine Geschichte über mich dagegen, zum Beispiel wie ich morgens aus dem Haus gehe: die braucht eine Pointe. Dringend. Das pointenähnlichste an dieser Geschichte wären drei grüne Fahrradampeln hintereinander - wenn ich rase und kein Bus kommt, so dass ich den Weg zur Schule in zehn Minuten schaffe (Bezeichnung in meinem persönlichen Pointenähnlichkeitsregister: Welle, grüne). Oder der immer überfüllte Schulfahrradständer am Ende meiner Fahrt (Bezeichnung: Schulfahrradständer, überfüllter). Mit ziemlicher Sicherheit bin ich es, die einen eigenen Elefanten in ihrem Leben braucht. Eine stampfende, trompetende Pointe, die wie Benjamin Blümchen jede Tür zerschreddert, die ihr über den Weg läuft. Und den verfickten Fahrradständer freiräumt. Seit wann nenne ich sie „meine Mutter“? Früher, als sie noch lebte, habe ich sie immer nur „Mama“ genannt. Auch anderen gegenüber. Glaube ich zumindest. Ich frage mich – und das meine ich ziemlich wörtlich, weil ich gerade beim Zähneputzen mein Spiegelbild anschaue – was Papa früher gesagt hat, wenn er von ihr erzählte. Ich bilde mir ein, dass er sie immer „Line“ genannt hat. Abkürzung von Karoline. Mein Spiegelbild kann schlecht widersprechen, sie hat den Mund voller Zahnpasta. Aber sie schaut mich an, als wolle sie sagen, dass Papa inzwischen auch nur über „deine Mutter“ spricht. Erinnerst du dich an die Geschichte, als deine Mutter den Elefanten gesehen hat? Papa erzählt sie ziemlich häufig. Es hat lange gedauert, bis er es konnte, ohne zu weinen. Ich weiß noch genau, dass Papa und ich in der ersten Woche, als Mama tot war, bei Opa am Küchentisch saßen und ich fragte, ob wir Mama einen Grabstein in Form eines Elefanten schenken sollten. „Schenken“ war natürlich völlig daneben, ich hatte nur dieses Gefühl, dass Mama etwas sehr Trauriges passiert war und wir sie trösten mussten. Papa fand die Idee mit dem Elefanten gut, aber Opa und er hatten natürlich längst etwas anderes bestellt. "Bestellt" ist wahrscheinlich auch ziemlich daneben bei einem Grabstein. Den gibt man eher "in Auftrag". Eine weiße Steinplatte mit dem Namen „Karoline Friederike Grothaus, geb. Kremnitzer, 1978 - 2013“. Eines Tages fuhren Papa und meine Mutter zur Universität. Sie waren beide Studenten, meine Mutter studierte Jura und musste eine Hausarbeit schreiben. Sie zwar ziemlich mies im Hausarbeiten schreiben, jedenfalls bekam sie fast immer schlechte Noten. Papa erzählt, dass es ein Samstag Mittag war, im Fernsehen lief ein Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft (Gruppenendspiel oder Halbfinale oder so) und die Straßen waren leer. Meine Mutter wollte das Wochenende nutzen, um in der Bibliothek ihr Literaturverzeichnis zu überprüfen, Papa half ihr dabei. Also fuhren sie durch die Straßen nahe der Universität, als meine Mutter plötzlich bremste und in den Rückspiegel starrte. „Was ist los?“ fragte Papa und meine Mutter sagte: „Da war ein Elefant.“ „Wo?“ fragte Papa und drehte den Kopf nach hinten. „Da, in der Seitenstraße“, antwortete meine Mutter und legte den Rückwärtsgang ein. Sie setzte 50 Meter zurück, bis sie an der Kreuzung stand und nach rechts in die Straße hineinsehen konnte. „Da ist kein Elefant“, sagte Papa, „da ist überhaupt nichts.“ „Ja“, sagte meine Mutter, „aber eben stand da ein Elefant. Zwischen dem weißen Eckhaus und der Garage.“ Papa sah sie von der Seite an und sagte: „Line, ich glaube nicht, dass da eben ein Elefant zwischen dem Haus und der Garage stand. Wohin soll er denn verschwunden sein?“ „Weiß ich nicht“, sagte meine Mutter. „Ich weiß nur, dass er dort gestanden hat.“ Spätestens an dieser Stelle hat Papa immer Tränen in den Augen. „Sie war überhaupt keine Tagträumerin“, sagt er. „Sie war toll und hübsch und klug und alles, aber sie hatte keinen Funken Phantasie in der Birne. Wahrscheinlich fehlte ihr überhaupt der Teil vom Gehirn, in dem bei anderen die rosa Elefanten zusammengelogen werden. Und dann steht sie mitten auf dieser Kreuzung und behauptet, dass da eben noch ein Elefant war, zwischen einem Haus und einer Garage“. „Und was ist dann passiert?“ frage ich an dieser Stelle immer. „Und dann hat Miro Klose ein Tor geschossen und aus den Fenstern um uns herum hörten wir ein lautes Jubelgeschrei.“ Darum wollten sie mich auch Miroslav nennen, als ich ein Jahr später geboren wurde. Pech nur, dass ich kein Junge war und doppeltes Pech, dass Mama wegen der Narkose beim Kaiserschnitt ziemlich durch den Wind war. Papa bekam am Morgen den Bogen für die Standesamtanmeldung in die Hand und trug darin den Namen „Friederike“ ein. Seit diesem Tag nennt er mich so, wie sein erstes, knallgrünes Fahrrad geheißen hat: Rixe. ... Comment
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