Seit ein paar Monaten lebt in unserer Nachbarschaft ein junges Pärchen...

Seit ein paar Monaten lebt in unserer Nachbarschaft ein junges Pärchen. Beide sind um die 30 und stammen eigentlich aus Berlin, sind aber hierher gezogen, weil sie hier ein Haus geerbt haben. Am Freitag heiraten die beiden. Sie sind nett und aufgeschlossen auch Bräuchen gegenüber, die sie aus Berlin nicht kennen, zum Beispiel das Kränzen ("Kränsen"). Über den Tannenschmuck an ihrer Haustür haben sie sich sehr gefreut und hatten für die Nachbarn allerhand Salate, Brote, Würstchen und Schnäpse bereitgestellt. Auch die Nachbarschaft freut sich über die jungen Leute aus Berlin, obwohl die Männer meinen, dass "er" nicht wisse, wie man "einen Spaten anpackt". Aber macht nix, kommt ja schließlich aus Berlin. Für leichte Irritationen hatte die Einladung zur Hochzeit gesorgt: Nur ein kurzes Schreiben mit einem Verweis auf eine "Homepage"! Bald waren diejenigen in der Nachbarschaft die Könige, die einen Internetanschluss hatten oder sich bei ihren Kindern auf dem Computer schon einmal die Hochzeitshomepage angesehen hatten, wo von einer "romantischen Hochzeit in Westfalen" die Rede war. Mitreden konnten also nur die, die diese Seite schon gesehen hatten. Und Gieslind D. hatte diese Seite schon gesehen! (Dazu gleich mehr). Besagte Internetseite stammt von einem Freund des Paares, der bei der Hochzeit Trauzeuge sein wird, ebenfalls aus Berlin stammt und auch auf einem Bild auf der Hompage zu sehen ist. Er sei ein Informatiker (Frauenhofer-Institut!), das war schon bis zu den Nachbarn durchgedrungen. Gestern nun (als auch gekränst wurde) betritt der angehende Trauzeuge zum ersten Mal ostwestfälischen Boden und trifft auf "meine" Nachbarn. Gieslind D. registriert die sich im Halbdunkel über den Rasen annähernde fremde Person zuerst und, nachdem sie eine Sekunde nur so mit offenem Mund dagestanden hatte, zeigt sie mit dem Finger auf den "Fremden" und stößt einen gellenden Schrei aus als hätte sie den Leibhaftigen gesehen: "Aaahh! Deeeen kenn ich aussem IN-TA-NETT!!!" Der Fremde zuckt kurz zusammen, entschließt sich dann aber doch weiterzugehen. Herzlich willkommen in Ostwestfalen, denke ich und bin etwas peinlich berührt. Im weiteren Verlauf des Abends, der angehende Trauzeuge hat sich gerade wieder von Gieslinds Schrei erholt, soll er mir "Irmgard" und "Ingrid" noch "einen trinken". Er ist kein Spielverderber und tut wie die Frauen im geheißen. "Möönsch!", grölt Ingrid als er ihr vorsichtig Berentzen Rote Grütze ins "Pinnken" dosiert, "nich so fiiiiiel!". Rasch setzt der Trauzeuge die Flasche ab (das Pinnken ist halbvoll), fast hätte er sich noch bei Ingrid entschuldigt. Da mischt sich von hinten der Bräutigam ein, der die Ingrids und Gieslinds jetzt schon ein paar Monate kennt, und sagt erklärend zu seinem Berliner Freund: "Wenn die hier sagen 'nich so viel', dann heißt das: Vollmachen!" (Aha, sagt der Trauzeuge noch, aber versteht die Logik nicht.)