Sie arbeitet für eine Werbeagentur. Fragt, ob wir in unseren Jugendstudien auch Zitate zu einem bestimmten Thema gesammelt haben. Bräuchte authentisches Material für eine Kampagne. Haben wir natürlich nicht. Schöne Idee eigentlich, offene Fragen zu stellen. Typische Werberidee. Wer soll das denn alles kodieren, Mädchen, Kindchen, Naivchen?! Hinter Ihrer aufgesetzt souveränen Telefonstimme schreit eine kleine Isabella oder Petra oder Sofie: "Friss mich nicht, ich bin nur die Praktikantin!" Ich fresse niemanden, bin nicht autorisiert, jemanden zu fressen. Die Lizenz zum telefonischen Töten hab ich nie bekommen, irgendwie. Ich stelle sie mir vor, in ihrem stylischen, aber mickrig kleinen Werberpraktikantinnenbüro. Von ihrem Chef mit einer Aufgabe betraut, die ihm heute Vormittag noch sexy erschien, die aber jetzt, ein paar Stunden später, schon wieder vergessen ist. Klingel doch mal die Institute durch, ob nicht vielleicht… Malt sich in seinem genialen Werbergehirn einen Spot in blassen Pastelltönen aus, in denen Jugendmodels in alternativen Retroklamotten total authentische Dinge von sich geben. Credibility vermitteln. Jetzt sitzt sie da, Isabella/Petra/Sofie, und hat ausgerechnet mich am Telefon.

Um das Gespräch nicht schon nach zehn Sekunden abzubrechen, erzähle ich etwas von standardisierten Befragungsmethoden, Forschungsökonomie und theoretischen Vorannahmen. Versuche, etwas Enthusiasmus rüberzubringen. Nicht ganz einfach kurz nach der Mittagspause. Ihre Aufmerksamkeit schwindet stetig, meine auch. „Ich kann Ihnen unsere Ergebnisse zu diesem Thema gerne mal zuschicken“, höre ich mich und „Oh, ja, gerne“ höre ich sie sagen. Sie diktiert mir eine sehr trendige Mailadresse, ich notiere sie abwesend auf dem mir am nächsten liegenden Stück Papier. Klingt nach einem klugen Agreement. Natürlich werde ich ihr nichts schicken und sie wird nie wieder anrufen und nachhaken. Die Mailadresse auf dem Zettel ist definitiv nicht zu entziffern. Noch während des Gespräches schnipse ich ihn in den Papierkorb. Ich überlege, ob ich mich der Höflichkeit halber etwas eingehender zu dieser Kampagne erkundigen soll, doch sie leitet bereits die Verabschiedung ein. Ewige zwanzig Sekunden lang spulen wir die allgemein üblichen Floskeln ab, einfallslose Variationen von Nimmerwiederhören. Wie pawlowsche Hunde reihen wir ein "Das wünsche ich Ihnen auch" an das vorherige "Dann viel Erfolg weiterhin", um mit dem baldigen Ende des Gesprächs belohnt zu werden. Zwei Minuten verlorener Lebenszeit zweier Menschen. Ich kann damit leben. Erinnere mich, schmücke aus, schreibe auf. Und du, Isabella/Petra/Sofie? Erwache aus meiner Trance vom Tuten des Telefons. Hoffe, du gibst nicht auf.