Stichwort: Fingeruebungen

Der Nachmittag war gerade angebrochen. Über allem lag der Geruch von Mittagessen. Aus den Küchenfenstern der Straße drang der Geruch von gebratenen Zwiebeln, gekochten Erbsen und Kartoffeln. In der feuchten Luft vermischten sich die Essensgerüche mit den Abgasen der Autos, den Geräuschen der Motoren. Henry starrte auf den Kübel, den er vor sich auf die Straße gestellt hatte. Es war ein schwerer Eimer aus Metall. Darin ein Bündel Gras, ein Stückchen Brot, ein in Streifen zerrissenes Papiertaschentuch. Und das kleine Tier. Eine Maus. Henry hatte sie gefunden. Sie war verletzt. Vielleicht durch ein anderes Tier, vielleicht durch einen anderen kleinen Jungen. Das Papier der Taschentuchstreifen war an einigen Stellen rot. Blut. Seine Schwester hatte ihm empfohlen, das "Vieh" von seinem Leid zu erlösen. Er solle einen Ziegelstein darauf werfen. Das ginge schnell und wenn er es am Rand des Hofes machen würde, könne er den Stein dort liegen lassen. An diesem Tag hatte Henry viel über seine Schwester gelernt. Er hatte die Maus lange betrachtet und nachgedacht. Später, als er einmal darüber nachdenken sollte, wie man eine Ewigkeit begreifen könne, sollte er sich an das Bild der Maus erinnern.

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wie gesagt

Früh morgens war ich zum Hamburger Flughafen gefahren, um meine beiden Mädchen abzuholen. Sie waren einige Wochen auf der anderen Seite der Welt gewesen, um den anderen Teil der Familie zu besuchen. Am Flughafen gab es ein begeistertes Wiedersehen. Die Tochter erinnerte sich an mich vielleicht nur als ein Bild auf einem Monitor. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis sie mich wieder kannte. Zuhause angekommen schleppte ich den großen Koffer die Treppe hinauf. Das war eine große Herausforderung, denn an den Tagen zuvor hatte ich einen Schrank und eine Kommode für das Kind gekauft, das Treppenhaus hinaufgetragen und aufgebaut. Meine Muskeln schmerzten etwas. Aber ich wusste, dass die Frau viele schöne Dinge gekauft und geschenkt bekommen hatte. Oben angekommen gab es deshalb eine Vorführung der Geschenke: Ein schönes Teegeschirr, welches in dem Muster unseres chinesischen Essgeschirrs gestaltet war, teuren Tee, Hemden von meiner Lieblingsmarke aus Hong Kong und vieles mehr. Nach dem langen Flug waren die beiden müde. Also brachten wir das Baby ins Bett und dann legten wir uns hin.

Plötzlich - ein Riesenlärm. Ein Knallen und Scheppern. Innerhalb der ersten Sekunde stand ich an der Schlafzimmertür, Schreckensbilder vor Augen, das Kinderbett sei vielleicht umgekippt, oder etwas anderes im Kinderzimmer wäre umgefallen. In der zweiten Sekunde hatte ich das Geräusch analysiert. Der Lärm kam direkt von dem Raum hinter uns. Vor dem Knall hatte es ein scharfes, sandiges Schleifgeräusch gegeben. Als ich wusste, was passiert sein musste, stand ich bereits an der Küchentür. Diese war nicht leicht zu öffnen. Scherben hatten sich im unteren Türspalt verkeilt. Eines der beiden Regalbretter, welches ich vor einigen Wochen angebracht hatte, um Stauraum über der Tür und dem Kühlschrank zu schaffen, hatte sich halb aus der Wand gelöst und hing nach unten geneigt an derselben. Bedauerlicherweise gerade nicht jenes Regalbrett, auf dem Tupperdosen und Schachteln mit Kuchenformen lagerten, sondern das andere. Darauf standen eine Vorratsflasche helle Sojasoße, chinesischer Kochwein, eine große Flasche Sesamöl, verschiedene Sorten Essig und eine Weinkaraffe. Allesamt hatten sich die Flaschen verzweidimensionalisiert und deren Inhalt bahnte sich seinen Weg unter Herd, Spülmaschine und Arbeitstische. Ein beherztes eingreifen mit alten Handtüchern, einer Rolle Küchenpapier und einem Kehrblech dämmten die Soßenflut vorerst ein. In den nächsten Stunden war ich damit beschäftigt, Scherben und ölige Suppe vom Boden, den Wänden und den Küchengeräten zu entfernen. Nach dem vierten Aufwischen rutschte man nur noch ganz wenig auf dem Küchenboden. Erst nach zwei Tagen würde sich der eigenartige Geruch nach asiatischem Salatdressing verflüchtigt haben.

Noch ein abschließendes Wort zu meinen handwerklichen Fähigkeiten: Man mag bei dieser Begebenheit vorschnell urteilen, ich habe das Regal vielleicht nicht so ganz richtig angebracht. Dem muss ich widersprechen. Ich habe das Regalbrett mit zehn (!) langen Schrauben fixiert. Alle ordnungsgemäß verdübelt und festgeschraubt. Ich schiebe die Schuld in diesem Fall auf die Bausubstanz, eine lieblose Mischung aus Spucke und Sand, die sich bestenfalls selbst trägt. Beim nächsten Mal erzähle ich von einer anderen Sache, die sich aber noch nicht ereignet hat.

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nur so

das auto war über nacht eingefroren. wieder einmal ging die fahrertür nicht auf. das mikroklima in meiner straße stellte mich vor ein rätsel: denn immer fror nur die fahrerseite ein - unabhängig davon, wie ich parkte. vielleicht war feuchtigekeit in die fahrertür eingedrungen. selbst wenn ich, stolz über mein pfadfinderhaftes improvisationstalent, den autoschlüssel mittels feuerzeugwärme ins türschloss einschmolz, war offenbar der gesamte mechanismus so hoffnungslos vereist, dass da schlicht nichts zu machen war. irgendetwas in mir sträubt sich gegen den erwerb eines türschlossenteisungsmittels. das kam mir ebenso spießig vor, wie diese faltmatten, mit denen man die frontscheibe vor dem frost schützen konnte. der öffentliche personennahverkehr, dessen treuer beführworter und unterstützer ich trotz pkw-besitzes immer war und bin, macht es einem in dieser stadt wirklich nicht leicht. ganz ehrlich, wenn es eine nationale konzentration von inkompetenten fahrern und ungünstigen fahrplänen gibt, hat diese stadt gute chancen auf einen der vordersten plätze. man könnte ja mit dem fahrrad fahren, wenn die straßen und fahrradwege ordentlich geräumt wären. scheiß doch auf das bisschen kälte. man kann sich ja mit tee, kaffee und heizungswärme regenerieren. aber auf die schnauze legen, dafür bin ich zu alt. das steckt man nicht mehr so leicht weg. da spielen die reflexe und die mürben knochen nicht mit und man wird ja ohnehin immer ängstlicher, weil man sich um die globale gesamtsituation sorgen machen muss. dann nicht auch noch schneidezähne an bordstein verlieren oder so etwas. die sache mit dem auto lässt sich ja lösen. gnädigerweise friert die beifahrertür nie ein. keine ahnung warum, hypothesen habe ich einige. aber man muss ja auch nicht jeden mist kaputtgrübeln, wenn es doch funktioniert. über den beifahrersitz herüberklettern, oder die fahrertür von innen öffnen. geht beides. man muss wieder mehr schreiben habe ich gedacht. unabhängig von qualität und neuigkeitswert. in einer kleinen stadt gibt es eben nur kleine geschichten. die können ja auch nett sein. in der letzten zeit haben es zahlreiche ansätze nicht bis zur veröffentlichung geschafft. man denkt ja immer mehr nach, ob das ganze überhaupt einen nutzen hat. das aufschreiben belangloser begebenheiten hat aber zumindest den vorteil, dass man sich wieder ans schreiben gewöhnt und der wortschatz wieder aktiviert wird. beides kann ich gut gebrauchen. und als geisteswissenschaftler muss man sich wohl oder übel daran gewöhnen, ellenlange texte zu verfassen, die das volumen der weltliteratur unnötig ausdehnen, ohne eine tatsächliche bereicherung darzustellen. wie auch immer, ein anfang ist gemacht. die sache mit der autotür ist nur eines von vielen bedeutungslosen ereignissen. beim nächsten mal erzähle ich von dem einen der beiden küchenregale, welches mich sehr, sehr enttäuscht hat.

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Grave Vegetables

Ich habe nichts gegen alte Menschen. Im Gegenteil, ich habe größten Respekt vor dem Alter. Die alleinige Tatsache, dass ich eher kurz- als langfristig zu dieser Gruppe gehören werde, sollte ein solches Verhalten selbstverständlich machen. Mit älteren Menschen in einem Haus zu leben kann dennoch kompliziert sein. Und zwar obwohl ich mich an gängige Regeln des Zusammenlebens und der Höflichkeit halte. Dinge wie freundliches Grüßen, Reinigung des Hausflurs und kleine zwischenmenschliche Gespräche scheinen mich nicht davor zu bewahren, dass die Alten immer was zu meckern haben. Das ist schon in München so gewesen, das ist auch jetzt hier in Lüneburg so. Man kann sich wohl nicht dagegen wehren, dass die Omas den ganzen Tag am Fenster sitzen und alles beobachten, vermutlich auch im Hausmüll nach Informationen suchen und sich untereinander über diese schrecklichen jungen Leute austauschen, die ein skandalöses, inakzeptables Leben führen, das dem ihren fremder ist, als ihre klapprigen Beine sie tragen - weiter, als der Stadtbus sie bringen wird und auch seltsamer, als ihr verhärtetes Weltbild zulassen kann. Man kann meiner Ansicht auch nicht mehr machen, als im Treppenhaus weiterhin freundlich zu grüßen, etwas Nettes zu erzählen und den Flur gründlich zu säubern, seinen Müll zu trennen und die Straße zu fegen. Man wird sich einfach nicht anfreunden können, wird sie tratschen hören, das bedauerlich aber auch größtenteils egal finden und sich sagen, dass die Zeit alles regeln wird.

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Sommer2009

Nebenan schwillt Proletenmusik durchs geöffnete Sommerfenster. Nachbarn haben beschlossen, ihre Ethanolisierung auf der Basis verbrannter Nackenkoteletts aus der Tankstelle zu betreiben. Als ob die stumpfen Rhythmen und haarsträubenden Texte der Musik nicht an sich schon eine Belastung wären, müssen sie auch noch laut mit einstimmen.

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Abgrund Untergrund Hintergrund

Selbst die Stimme vom Adolfclon klang traurig aus den Lautsprechern der U2. Der Kanzlerin ging es nicht gut. Sie war Opfer der Partei geworden, die sie aufgrund zukünftiger Regierungsbestrebungen fallen gelassen hatte. Sie, die in den Labors als Restposten aus den frühen Experimenten unter dem Namen Süßmuth/Kohl-Hybrid bekannt ist, hat keine Zukunft mehr in einer Welt, die keine Zukunft mehr hat. Vielmehr setzt man nun auf das Modell Blanco/Stoiber-Hybrid für das man aus nicht näher auszuführenden Gründen nicht einmal großartig in der gentechnischen Trickkiste wühlen musste.

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Heureka

Sie saßen in einem kleinen Imbiss, in dem japanische Algenreisröllchen verhökert wurden. Die Vietnamesen, die für die mühselige Zubereitung der unsterblichen Trendkost zuständig waren, hatten sich auf den Boden gehockt und unterhielten sich in dezenter Lautstärke. Gerd hasste Sushi. Für ihn war das seelenloser, geschmackloser Fraß, den irgendwelche, in erfolglosen Internetagenturen tätige Mittdreißiger fraßen um sich ein Zugehörigkeitsgefühl zur Globalgesellschaft einzureden.

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Lord Kruse hatte rostige Finger bekommen. Er spürte es, wenn er die ausgeleierten Tasten seiner Hombatz Modell 376 Militärschreibmaschine betätigte. Nicht selten hörte man die Gelenke knirschen und knacken, so dass es den zart Besaiteten kalt den Rücken hinunterlaufen musste. Wenn jemand hier gewesen wäre, versteht sich.

Er hatte sich den alltäglichen Prozessen hingegeben. Hatte aufgehört zu lauschen. Aufgehört, sich die kleinen Absurditäten einzuprägen oder sich in Gedanken schriftliche Formulierungen zurechtzulegen. Man mochte über ihn lachen. Doch zum ersten Mal seit langem hatte er das Gefühl, dass man dies zu Recht tun konnte.

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Origami für Fortgeschrittene

Gerade auf einem Forum gefunden: Robert Lang: Idea + square = origami Und die webseite, die der in seinem Vortrag erwaehnt: TreeMaker

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libes kind

bbk's ground zero reconstruction plan aka babel 2.0

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Letzte Aktivitäten
Und Kaloi hat die
Bilder dazu gemalt 😺
by Albtraumjaeger (06.12.21, 14:08)

Matze macht Märchen https://beffana.net/blog/2021/12/01/beffana-2021-staffel-6-folge-1-der-rattenkoenig/
by Kailoi (03.12.21, 14:00)
Die Tage werden wieder kürzer.
Vielleicht sollten wir unsere Schreibtische verlassen und zwischen den...
by Kailoi (29.09.21, 20:20)
fun fact
by Kailoi (12.07.21, 12:16)
Online seit...
by ChrisTel (18.06.21, 22:49)
danke. hat mich gefreut!
:)
by Anonymus (23.06.20, 15:30)
von mir auch allet
jute!
by kraehenpost (18.06.20, 10:58)
Online seit...
by ChrisTel (18.06.20, 09:02)
Online
by Anonymus (13.06.20, 12:10)
#thismorningwalk
by Anonymus (13.06.20, 12:08)
Uuuuund... noch'n Podcast hier: https://im-moor.net
(kann man ruhig hören. ist seehehr gut))
by Albtraumjaeger (13.04.20, 18:12)
Weihnachtshexe Beffaná FYI Ich hab
einige Songs meiner diesjährigen 24-teiligen-Podcast-Serie über die Weihnachtshexe Beffaná in...
by Albtraumjaeger (07.01.20, 17:41)
Habs mir gerade angehört.
Cooler Text. Frohes Neues!
by Albtraumjaeger (02.01.20, 09:39)
Brückengeländer
by Anonymus (31.12.19, 13:27)
:)
by Anonymus (31.12.19, 13:24)
Farbe ist meine Welt
by ChrisTel (23.12.19, 00:13)
Respekt Was sind das für
Wesen, die von hinter ihrem Zaun aus 2 Zentimeter Entfernung...
by marraine (11.12.19, 14:08)
👍🤗
by Albtraumjaeger (06.12.19, 14:58)
Update 6.12 Ich habe
mich entschlossen, den ganzen Kram einfach wieder in Ordnung zu...
by marraine (06.12.19, 14:47)
Ach du fuck! Ichhab gestern
Abend aus einer Laune heraus Lotto gespielt. Wenn ich...
by Albtraumjaeger (06.12.19, 07:50)
Advent, Advent Ich versuche ja
geduldig zu sein, Erwachsen und einsichtig, ruhig und gelassen, die...
by marraine (06.12.19, 01:47)
Jean-Luca
by ChrisTel (28.11.19, 14:02)
Vielleicht tröstet dich neben diesem
"Ich werde alt"-Gefühl auch die Einsicht, dass die Schwelle...
by Kailoi (01.10.19, 12:29)
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