Stichwort: Fingeruebungen

Ausdruckslos schaute sie mich an, der ich mit geweiteten Lidern wie gelähmt halb hinter diesem Buchsbaum stand, der ich den Kellner von hinten auf sie zustürmen und ihn ihren Kopf von hinten in beide Hände nehmen sah; der ich bewegungslos den Kerl den kleinen Kopf auf einen Plastiktisch hinuntersausen lassen sah; der ich den kleinen, blutüberströmten Kopf mich dabei nicht mehr anblicken sah und der ich schreien wollte und nicht konnte. Der Kellner beugte sich dem Tisch zu, nahm das Kinn in eine Hand, zwei Schraubendreherfinger schlossen sich um ihren Kiefer und zwangen die Frau, ihn direkt anzuschauen. Verschwinde sagte er, verschwinde oder du bist tot. Dann nahm er sie, richtete sie auf, stieß sie grob in meine Richtung, drehte sich herum und ging. Sie torkelte mir in die Arme, sah mich nicht, als hätte sie mich nie gesehen, rannte weinend in mich hinein. Du hast es doch gesehen, sagte sie. Sie roch nach Alkohol. Ja, brachte ich hervor, es tut mir leid, ich war wie gelähmt. Ich stotterte noch mehr in dieser Art und nichts davon war gelogen, ich hätte helfen wollen, ehrlich, ernsthaft, aber konnte mich nicht rühren. Pech für mich, schrie sie mich an und rannte weg, schnell, torkelnd, mit den Armen rudernd und ich wieder starr, bestürzt, unfähig zur Bewegung.

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Viertelstunde Zeit

Ich würde so gerne japanische Blumensteckkunst lernen, aber ich habe keine Zeit. Wenn ich Zeit hätte, würde ich anfangen ein Buch zu schreiben. Ich müsste eigentlich auch mal wieder den Flur aufräumen, aber ich habe keine Zeit. Das Haustier ist schon tot, ich hätte es regelmäßig füttern sollen. Jetzt liegt es da und will beerdigt werden. Alle wollen etwas von mir, immer ist irgendwas zu tun. Nörgeln rum von wegen man muss sich Zeit nehmen - wenn etwas für Dich wichtig ist, dann nimmst Du Dir auch die Zeit dafür. Haben die keine Ahnung oder zu viel Zeit? Ich müsste jetzt eigentlich schon wieder woanders sein, sechs verschiedene Sachen auf einmal machen, die Arbeit türmt sich auf dem Schreibtisch, in der Küche, wo auch immer. Aber: Ich habe keine Zeit.

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Wieder nur grotesk

Er trug immer einen Pappkarton auf dem Kopf. Erst fanden das alle witzig. Spaeter war er allen peinlich und zum Schluss gingen sie immer weg, wenn er irgendwo auftauchte. Auf dem Karton war ein Gesicht aufgemalt. Das lachte immer. Was hinter der Wellpappe verborgen war, wusste man lange schon nicht mehr. Es tauchten Geruechte auf, er habe zwei Nasen oder keine Augen. Ein paar Halbstarke nahmen sich vor, ihm die Schachtel vom Kopf zu reißen. Das machten sie. Und unter dem Karton sahen sie

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Busse

Busse steht schon wieder im Sekretariat und frisst Kuchen. Im Büro ist er nicht mehr zu gebrauchen. Das ganze Papier jeden Tag, sagt er, er wisse überhaupt nicht mehr, worum es eigentlich ginge. Gedanklich sei er schon bei seinen Enkeln, sagt seine Frau. Und sie sagt auch, sie habe einen Mann - auf dem Papier. Der wohne in ihrem Haus in München. Zwei Jahre sind es noch für Busse bis zur Pension. Wenn er nicht mehr kann, geht er ins Sekretariat und frisst Kuchen.

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Minimalismus

Aufgeregt ins Telefon geflüstert. Ein Restaurant. Kellner ansatzweise freundlich. Schon bestellen? Nein danke. Blicke von den Nachbartischen. Magenbeschwerden. Er war da. Sie nicht.

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Balkonphilosophie

Irgendwo im Nebel zwischen den Gauloises-Schloten steht sie, die schwarzen Haare wie einen existentialistischen Rahmen um das schneeweiße Gesicht drapiert. Um sie herum schweinsäugige Becksdämonen, etwas an den Rand gedrängt zwei knutschende Pärchenklischees. Die Mischung aus Rotwein und Grappa schwappt wie ein memento mori in meinem Magen herum, doch meine Augen hängen standhaft an ihren Lippen. Ich schüttele mehrere Schweinsaugen durch einen schnellen Umtrunk aus der Grappa-Flasche ab, einer nimmt die Flasche schließlich in seine Obhut, sucht wirren Blicks nach einer weiblichen Abfüllkandidatin. Endlich gelange ich in Reichweite ihrer Stimme, kann den sich bewegenden Lippen sprachlichen Inhalt zuordnen, setze meinen Interesse-Blick auf und lausche.

„Ich weiß nich, ich glaub einfach, dass es so was wie Schicksal gibt, eine rote Linie, an der mein Leben entlangführt,“ höre ich sie sagen und: „Naja, ich meine, vielleicht ist es ja wie eine Schnitzeljagt, es gibt einfach Zeichen an bestimmten Punkten des Lebens, denen man, na ja, denen man eben einfach unbewusst folgt.“ Mein Magen rebelliert, ich gebe den Kampf auf, stolpere zum Balkongeländer und entlade mich in die Dunkelheit. Als ich mich umdrehe blickt sie mich direkt an.

„Alles okay bei dir?“

„Ja. Nein. Ich geh wohl besser.“

Ich drehe ab, bleibe an der Balkontür stehen um Luft und Kraft für den Spießrutenlauf durch die Wohnung zu sammeln. Die Fensterscheiben sind beschlagen, durch die offene Glastür dringt eine Mischung aus Rauch, Schweiß, Bierdunst und Robbie Williams. Ich schließe kurz meine Augen, höre erneut ihre Stimme aus der Dunkelheit „Ich weiß nicht was es ist, irgendeine höhere Macht wahrscheinlich, eine Kraft, die mich führt.“ Noch einmal drehe ich mich um, sehe ihr Gesicht, ihre alkohlseeligen Jünger um sie herum, das Rotweinglas in ihrer Hand, ihren bunten Strickschal. Ich hole tief Luft, trete durch die Balkontür in die Küche. Unauffällig schließe ich die Tür hinter mir, drehe den Schlüssel herum und stecke ihn in die Tasche. Meine Jacke hängt irgendwo im Flur. Unten auf der Straße höre ich Lärm aus Richtung des Hinterhofs. Langsam folge ich der mit Kopfstein gepflasterten Straße nach Hause. Als ich im Schein einer Laterne einen Kreidepfeil nach links auf dem Pflaster erkenne, gehe ich rechts, obwohl es ein Umweg ist.

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Herr Malzer hatte nur einmal in seinem Leben ein Stück Land besessen. Und das auch erst ganz am Ende. Seinen Nachlass, den er niemandem nach ihm überlassen konnte, verwendete er, um ein Fleckchen Gottesacker zu erwerben und um ein Gärtnereiunternehmen dafür zu bezahlen, etwas Ordnung auf besagtem Stückchen Erde zu halten. Nun kommt es aber vor, dass es auch in der Beerdigungsbranche schwarze Schafe gibt, welche schamlos den Verstorbenen ausnutzen. Einfach, weil die Angehörigen oft vor Trauer taub und blind sind oder mit der ganzen Sache so wenig wie möglich am Hut haben wollen. Und weil die Toten oft wenig mehr zu sagen haben als nichts. So kam es, dass man schon nach kurzer Zeit Herrn Malzers Grab erneut vergab und überhaupt steckten sich viele Leute unverdientes Geld ein. Wie schon angedeutet, gab es keine Nachkommen, die hätten protestieren können. Es sah also für alle Beteiligten danach aus, als würde Gras über die Sache wachsen.

Just in dieser gemeinen und ungerechten Situation geschah es, dass ein Komet, den man nach seinem Entdecker Engelhard221 nannte, den inneren Erdradius passierte, und das bei Vollmond! Man kann ja viel oder wenig von Gespenstern halten. Manche glauben echt ernsthaft an sie, andere halten sie für Hirngespinste oder zufällige Wind- und Schattenspiele. Bekannt ist jedenfalls, dass wenn die Seelen der Toten keine Ruhe finden, sie auf der Erde bleiben und die Sache zu klären versuchen, so gut es ohne festen Körper eben geht. Solch eine Erfahrung machte Herr Malzer in genau dem Augenblick, weil sich eine günstige Konstellation von Erdmagnetstrahlen seiner unsterblichen Bestandteile bemächtigte und fest umklammert hielt. Die psychokinetische Reststrahlung der Betrüger, denen er sein Geld anvertraut hatte, hing noch in der nebeligen Luft über der von Eichen beschatteten Erde. Ein Rabe hielt eine gestohlene Silbermünze gerade so in einem Winkel, der das Licht des Mondes auf Herrn Malzers frisch neu ausgehobenes Grab lenkte. Alles in allem führte das dazu, dass eine beträchtliche Zahl von Luftmolekülen ihre Anonymität verlor und ein winziges bisschen Energie sie zu Herrn Malzers schemenhaften Abbild formte.

Langsam und ungelenk steuerte er dieses zerbrechliche Gefüge in Richtung einer Gärtnerei. Er wurde wütend, weil er eigentlich nur seine Ruhe wollte. Und spürte, wie er an Festigkeit gewann.

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Der Lachende Mörder

"Widmann, Mordkommission", sagte der Mann mit dem dezent karierten Mantel und der geschmacklosen Krawatte. Er hatte einen finsteren Gesichtsausdruck aufgesetzt, um die Autorität seiner Person zu unterstreichen. Der Mann an der Informationstheke ließ sich keine emotionale Regung anmerken. Er hatte den ganzen Tag mit cholerischen, hysterischen und unsympathischen Menschen zu tun und Autorität bewirkte bei ihm allerhöchstens einen Anfall von Sarkasmus. "Den Gang hinunter und dann links, wo das große Schild Sägeraum hängt. Wird auch mal Zeit, dass sie kommen, einige Kunden würden gern ihre Spanplatten zurechtgeschnitten bekommen." "Das könn´se erstmal vergessen.", murmelte Widmann, während er sich bereits auf den Weg machte. Der Baumarkt war sofort geschlossen worden, nachdem man die Polizei verständigt hatte. Die Personalien der anwesenden Personen wurden aufgenommen und nur noch die Angestellten hielten sich in den hinteren Räumen des Geschäftes auf. Das war jetzt sieben Minuten her. Über der schweren Feuerschutztür hing das Schild mit der besagten Aufschrift. Der Tatort war ungewöhnlich, zumal ein Täter in öffentlich zugänglichen Räumen selten entkam. Widmann betrat den von Sägespänen und Staub bedeckten Betonboden und eine Szenerie des Grauens offenbarte sich ihm. Auf dem großen Sägetisch lag ein Mann, dessen Körper mit der Kreissäge der Länge nach zertrennt wurde, wobei sich das Blutverschmierte Sägeblatt auf der Höhe seines Kopfes befand. Der Mann von der Spurensicherung war angekommen, trat neben ihn und schüttelte den Kopf. "Ich habe es immer gewußt: Hüte Dich vor Heimwerkern!"

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"Wir sollten ihm eine Chance geben", Louis fischte sich mit lächerlich wirkender Übertriebenheit eine Zigarette heraus und klebte sie an seiner Unterlippe fest. "Scheiße, Louis. Das ist kein Film. Wenn er aufwacht, bringt er uns um." Ich weiß nicht warum und wie, aber ich hatte mich bereits mit dem Gedanken angefreundet den alten Ganoven kalt zu machen. Louis war nervös. Klar, wer wäre das nicht mit 16 Jahren, da macht einen so ziemlich alles nervös. Wir standen vor der Schrottpresse. Es war Nacht und Alfred - ein Kumpel von mir - drückte ein Auge zu. Für tausend Mark. Es regnete und aus allen Winkeln des gewaltigen Presswerks lief eine rostrote Suppe. Wird also kaum auffallen, wenn ein paar Liter Blut dabei sind. Louis versuchte im strömenden Regen seine Fluppe anzuzünden und verlor für einen kurzen Moment seine eingebildete coolness. "Wenn das hier vorbei ist, dann siehst Du mich nie wieder, Norb." "Klar Louis." "Ich meine das ernst." Er wusste, dass er es ernst meint. Ich wusste, dass er es ernst meint. Und Alfred war die Sache scheißegal. Große Stahlklauen umklammerten den alten Benz und drückten ihn zusammen wie ein Taschentuch. Scheiße, dachte ich, jetz´ biste n´ Mörder.

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Ich bekam einen Kaffee in einer Tasse aus der ALF-Epoche. Ich schätze, jeder hat irgendwo so eine Tasse, oder hat in den 80ern noch nicht gelebt. "Habt ihr Milch?" Georg sah mich für einen Moment an, als sei das eine sehr interessante Frage, dann verschwand er in der Küche und kehrte mit einer dieser Plastik-Portionseinheiten Kondensmilch zurück. Er besah das Schlachtfeld mit einer Mischung aus stolz und ekel. Irgendwer hatte im Laufe des gestrigen Abends den etwas zu großen Übertopf der Zimmerpalme als Aschenbecher benutzt. Georg sah fragend zu mir herüber. "Hast Du noch Zigaretten?" "Irgendwo da drüben. Vielleicht." Ich zeigte in Richtung der Sofaecke, die sorgfältig mit Kartoffelchips und leeren Flaschen verziert worden war. Georg wühlte eine Weile in dem Chaos, fand eine Schachtel, öffnete sie und verzog enttäuscht das Gesicht. "Ich glaube, ich werde zu alt für diesen Scheiß."

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Das sind über zwanzig Euro!
by Kailoi (23.07.24, 11:02)
Und Kaloi hat die
Bilder dazu gemalt 😺
by Albtraumjaeger (06.12.21, 14:08)

Matze macht Märchen https://beffana.net/blog/2021/12/01/beffana-2021-staffel-6-folge-1-der-rattenkoenig/
by Kailoi (03.12.21, 14:00)
Die Tage werden wieder kürzer.
Vielleicht sollten wir unsere Schreibtische verlassen und zwischen den...
by Kailoi (29.09.21, 20:20)
fun fact
by Kailoi (12.07.21, 12:16)
Online seit...
by ChrisTel (18.06.21, 22:49)
danke. hat mich gefreut!
:)
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von mir auch allet
jute!
by kraehenpost (18.06.20, 10:58)
Online seit...
by ChrisTel (18.06.20, 09:02)
Online
by Anonymus (13.06.20, 12:10)
#thismorningwalk
by Anonymus (13.06.20, 12:08)
Uuuuund... noch'n Podcast hier: https://im-moor.net
(kann man ruhig hören. ist seehehr gut))
by Albtraumjaeger (13.04.20, 18:12)
Weihnachtshexe Beffaná FYI Ich hab
einige Songs meiner diesjährigen 24-teiligen-Podcast-Serie über die Weihnachtshexe Beffaná in...
by Albtraumjaeger (07.01.20, 17:41)
Habs mir gerade angehört.
Cooler Text. Frohes Neues!
by Albtraumjaeger (02.01.20, 09:39)
Brückengeländer
by Anonymus (31.12.19, 13:27)
:)
by Anonymus (31.12.19, 13:24)
Farbe ist meine Welt
by ChrisTel (23.12.19, 00:13)
Respekt Was sind das für
Wesen, die von hinter ihrem Zaun aus 2 Zentimeter Entfernung...
by marraine (11.12.19, 14:08)
👍🤗
by Albtraumjaeger (06.12.19, 14:58)
Update 6.12 Ich habe
mich entschlossen, den ganzen Kram einfach wieder in Ordnung zu...
by marraine (06.12.19, 14:47)
Ach du fuck! Ichhab gestern
Abend aus einer Laune heraus Lotto gespielt. Wenn ich...
by Albtraumjaeger (06.12.19, 07:50)
Advent, Advent Ich versuche ja
geduldig zu sein, Erwachsen und einsichtig, ruhig und gelassen, die...
by marraine (06.12.19, 01:47)
Jean-Luca
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Vielleicht tröstet dich neben diesem
"Ich werde alt"-Gefühl auch die Einsicht, dass die Schwelle...
by Kailoi (01.10.19, 12:29)
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