Montag, 18. Oktober 2004
Die Mitte zuerst
Albtraumjaeger
22:44Uhr | tag: Die Staendige Vertretung
Eine Geschichte ging so: Und als er uns einmal erwischte, das gab ein Donnerwetter! Der olle Saufkopp, ganz klein sind wir geworden erst und dann gerannt, als er jedem von uns eine Ohrfeige verpassen wollte. Zuhause gab’s dann trotzdem Senge, weil der Saukerl natürlich gepetzt hatte. So wie an dem Tag hab ich Am liebsten krallte sich der alte einige von uns, ließ sich eine Flasche Bier organisieren und verzog sich dann in eine Ecke, wo er ungestört fortfahren konnte. Seine Schwerhörigkeit machte ihn offenbar zum Sklaven der eigenen, holprigen Geschichten. Nur wenn er selbst erzählte, konnte er dem Gespräch folgen. Riesige Biester schwammen da rum, man musste nur in die Reusen am unteren Wehr langen, schon hatte man einen oder zwei bei der Hand. Oft standen wir auch einfach nur am Ufer und schmissen mit Steinen nach ihnen, wenn sie abends an die Oberfläche kamen. Plomps! machte das. In einem Sommer pflasterten sie die Straße neu, weiß nicht mehr warum, vielleicht sollte der Hindenburg hier durchkommen oder ein anderes großes Tier, uns war das egal. Aber Dann war er fertig und wartete, was wir dazu zu sagen hatten. Es musste nicht viel sein, ein anerkennendes Nicken, mehr erwartete er nicht. Also nickten wir anerkennend, während in unseren Köpfen noch Personen und Orte durcheinander schwirrten, was wussten wir schon von Hindenburg und Karpfen. Er erzählte, wie er Steine warf: Ohne tieferen Sinn, die Mitte zuerst. Der Salon im ersten Stock war einer der offiziellen Treffpunkte in diesem hochgradig inoffiziellen Haus, an denen man sie herumstreichen sah. Manchmal saßen sie in der Küche um den kleinen, wackeligen Tisch herum versammelt, eine halbe Stunde später drängten sich einige auf dem überdachten Teil der Terrasse, rauchten Zigaretten und schauten dem Regen zu, wie er das umliegende Land langsam ertränkte und dann, später am Abend, fand man sich im Salon zusammen, redete, trank, schwieg. Jetzt, im späten Herbst, war der alte, den alle nur Otto nannten, fast den ganzen Tag über hier zu finden, vormittags mit einer Tasse Kaffee und einem Stapel Kreuzworträtsel bewaffnet, ab dem frühen Nachmittag mit einer Flasche Bier und meistens in Gesellschaft anderer Hausbewohner, denen er seine wirren Geschichten erzählte. Auch der war hier nur Gast, zumindest keiner vom Personal, ein Dauergast, der im zweiten Stock ein kleines Zimmerchen bewohnte und sich im Sommer um den Garten kümmerte. Seine Geschichten kamen stoßweise, ohne Vorwarnung, mitten in einer Erklärung zum Zeitplan der Putzfrau oder zur Unvorhersehbarkeit der Abendessenszeiten. Er war es, der meine Kollegen und mich vor einigen Tagen an der Tür begrüßt hatte, uns hereingelassen und die Formalitäten mit der Rezeptionistin erledigt hatte. Ich war mir fast sicher, dass er uns als willkommene Gelegenheit benutzte, sich ein wenig länger mit ihr zu unterhalten, als es die Anmietung von vier Schlafräumen erfordert hätte. Er zwinkerte etwas zu häufig mit den kleinen, strahlenden Augen, kam ihr mit dem schwerhörigen Ohr etwas zu nahe, als sie ihn über die Übernachtungsbedingungen aufklärte und nickte ein wenig zu heftig, als sie ihm unsere Schlüssel aushändigte. Es bestand kaum ein Zweifel darüber, dass er mit ihr flirtete. “Sie ist ´ne ganz korrekte, musst du wissen”, flüsterte er mir zu, als wir zu den anderen gingen, “ihre Regeln sollte man besser einhalten, da versteht sie keinen Spaß.” Die Rezeptionstheke stand weit zurückgesetzt in einer Eingangshalle, die im Vergleich zum Rest des Hauses unverhältnismäßig groß erschien. Das Fenster hinter der Theke erinnerte wegen der in Blei gefassten bunten Glasbausteine an ein Kirchenfenster, durch das gedämpftes Licht in den Raum fiel. An den Wänden rechts und links der Theke hingen lange Teppiche, auf denen seltsame Motive abgebildet waren, mythische Naturdarstellungen in schwarz-weißer Farbgebung, so dass sie wirkten, als wären sie in Stein gemeißelt. Hinter der Theke stand, ebenfalls wie gemeißelt, eine alte Frau mit weißem Haar, das sie zu einem Dutt zusammengesteckt hatte. Mit ihren dunklen Knopfaugen und dem leicht nach vorne stehenden Kiefer wirkte sie wie ein kampflustiger Mops. Niemand sprach sie an, wenn er nicht wirklich eine wichtige Frage hatte. Ihre Antworten bellte sie mit breitem westfälischen Akzent. Ihr Name war in schwarzen Großbuchstaben auf ein messingfarbenes Schild geklebt, das neben der altertümlichen Rezeptionsklingel aufgestellt war wie eine Drohung: A. PÖLKER. ... Comment
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