Visionen für Millionen
Dienstag, 5. November 2002
Visionen für Millionen

Aufgrund eines Gespräches mit Christian zu diesem Thema veröffentliche ich das folgende Schriftwerk mal, ohne es für formvollendet und vollständig zu halten. Die Idee, die dahintersteckt, dürfte auf jeden Fall klar werden.

Die Weltretter

Es war eine günstige Gelegenheit und es war schon fast unglaublich, dass alles so gut geklappt hatte. Ein verlassenes Stück Land im Osten und ein paar verfallene Gebäude, mehr nicht. Und doch hatte Tim damals gesehen, dass es perfekt war. Die Gilde war nicht an einem Tag entstanden, genau wie auch das Gesamtwerk erst nach fast einem Jahrzehnt fertig war. Die Planungen hatten etwa ein Jahr gedauert. Ideen wurden zusammengetragen, Informationen gesammelt und verschiedene Möglichkeiten verglichen. Die Suche nach einem geeigneten Stück Land fand in der Endphase statt und war von Erfolg gekrönt.

Der Hof Der alte Bauernhof war zu einem Großprojekt geworden. Das Gemäuer hatte sich als außerordentlich baufällig herausgestellt, weil große Teile des Fachwerks verfault waren. So kam es, dass in der Anfangszeit, als die alte Fabrik und der Hof restauriert wurden, hin und wieder einige Leute die Hoffnung verloren. Es sah so aus, als würden die Geldmittel knapp und die Arbeit zu viel werden. Bisher waren die geplanten Einkommensquellen der Gilde noch nicht realisiert. Aber einen gewissen Mangel an Geld konnte man durch Einfallsreichtum ausgleichen und einige Dinge, die Geld erforderten, konnten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
Die Viehställe waren noch einwandfrei, allerdings wollte anfangs kein Mitglied der Gilde in das Geschäft der Nutztierzucht einsteigen. Lediglich ein paar Hühner liefen in einem abgeteilten Stück Land zwischen den knorrigen Obstbäumen herum. Die Katzen waren hier schon immer gewesen und niemand sprach ihnen das Recht ab, hier zu sein. Auf jeden Fall blieben die Ställe lange Zeit mehr ein übergroßer Abstellraum als ein Viehstall. Mit dem Ackerland war das schon anders. Der Hof lag relativ nah an der Stadt und auf dem der Stadt zugewandten Ackerland richteten die Mitglieder der Kunstgilde einen großen Park ein. Jeder hatte seine persönlichen Spezialitäten: Malte zum Beispiel baute einen Pavillon aus dunkel lackiertem Fichtenholz und pflanzte Efeu an den sechs Stützpfosten. Während Claudia von niedrigen Buchsbaumhecken eingefasste Blumenbeete kultivierte, pflanzte Karl einige Bäume. Tim pflegte einige Rosenstöcke und Frank hatte einen Teich angelegt. Johann hatte kein Interesse an Gartenarbeit und niemand konnte ihm die Sache schmackhaft machen. Im Wohngebäude des Bauernhofes wohnten zwei Familien. Malte, seine Frau Anne und Mareike, die dreijährige Tochter der beiden bewohnten den einen Teil des Gebäudes und Frank lebte alleine im Dachgeschoss. Anne hatte sich mit Leib und Seele dem Anbau von Gemüse verschrieben. Sie hatte verschiedene traditionelle Anbaumethoden untersucht und eigene Versuchspflanzungen unternommen. Ihre Erkenntnisse, was Fruchtfolge, biologischen Pflanzenschutz und positive Effekte in Mischkulturen anging, waren sehr beeindruckend. Man fand sie meistens in dem Gewächshaus oder später in dem Wintergarten des Hofes, wo sie Blumen und Gemüsepflanzen heranzog oder mit neuen Züchtungen experimentierte. Wenn sie sich nicht um ihre Pflanzen kümmerte, veranstaltete sie im Hauptgebäude Seminare für biologischen Landbau.

Die Stadtbewohner hatten die Mitglieder der Gilde erst skeptisch betrachtet. Zum einen, weil sie aus dem Westen gekommen waren und zum anderen, weil man sie erst für eine Art geschlossene Gemeinschaft gehalten hatte. Aber die Zweifel und Vorbehalte waren nach einer Weile aus dem Weg. Die Gilde organisierte einmal im Jahr ein Stadtfest und überhaupt waren der Gildenpark und andere Einrichtungen der Gilde für die Stadtbewohner geöffnet. Karl engagierte sich lokalpolitisch und setzte zusammen mit Alfred einige Verbesserungen für die Stadt durch. Die Veranstaltungen in der Kunstfabrik zogen Gäste von nah und fern an und so war das Ansehen der Gilde in der Öffentlichkeit sehr gut.

Neben dem Park und den Gemüsefeldern gab es noch die Obstwiesen. Die Obstbäume waren von verschiedenen Hecken und Ranken eingesäumt, die Beerenfrüchte trugen. Einen Teil des Obstes verarbeitete Claudia zu Marmelade, ein weiterer Teil wurde in Obstkuchen eingebacken oder frisch verkauft und ein weiterer Teil wurde von Johann zu Obstwein verarbeitet. Neben dem Obstwein stellte Johann auch Traubenwein her, er hatte einige Weinreben kultiviert.

Die Fabrik Es war Freitag und der Parkplatz vor der ehemaligen Fabrikhalle war fast voll. Werktags war es meistens ruhig hier, doch am Wochenende kamen von überall her Gäste und Publikum angereist. Wegen Kuchen, Kunst und Kultur.

Vor langer Zeit war hier einmal eine Druckerei gewesen. Nachdem das kleine Familienunternehmen Pleite gegangen war, hatten das Gebäude und die Maschinen darin fast fünfunddreißig Jahre im Dornröschenschlaf verbracht. Dann waren Tim und seine Freunde gekommen und hatten den großen Plan und viel Energie mitgebracht. Sie hatten damals eine Interessengemeinschaft gegründet, die aus einem Startkapital und einer Menge Ideen bestanden hatte. Das Kapital war zu einem großen Teil in Grund und Boden und die darauf befindlichen Gebäude investiert worden. Da die Gebäude überwiegend baufällig waren, hatten sie nicht besonders viel gekostet. Alfred, der sich unglaublich gut in Verwaltungs- und Rechtsfragen auskannte, übernahm die Behördengänge, die Anträge für staatliche Fördergelder und andere Dinge, die den steinigen und verwinkelten Weg am Anfang erst einmal ebneten. Jo war der Händler in ihrer Truppe. Er hatte sofort einige Museen und Sammler gefunden, welche die Maschinen der alten Druckerei mit Kusshand und teilweise für einen guten Preis übernahmen. Noch mehr, er fand Ersatzteile für die Druckpresse, die Tim hatte behalten wollen und Frank, ein ausgebildeter Industriemechaniker, war derjenige, der sie einbauen konnte.

Für die Renovierung und den Ausbau der Gebäude wurden einige Kredite aufgenommen, die, so versicherte Alfred allen, außerdem dazu dienten, Steuern zu sparen.

Es hatte etwa ein Jahr gedauert, bis neben der ganzen anderen Arbeit, den spärlichen Geldmitteln und den kraftraubenden Behördengängen die Galerie fertiggestellt war. Die ehemalige große Fabrikhalle hatte nun zwei Etagen. Die untere Etage wurde von den großen Fabrikfenstern erhellt und diente als Ausstellungs- und Veranstaltungsort. Ein kleinerer Teil dieser Etage war mit einer Wand abgeteilt worden. Dort war die Druckmaschine und Tim hatte dort ein kleines Atelier für Bildhauerei, Malerei und Druckwerk eingerichtet. Hier war außerdem eine Werkbank für Metall- und Holzarbeiten. Tim veranstaltete einmal im Monat einen Zeichenkurs in dem Atelier. Malte, der eigentlich gelernter Tischler war und beim Innenausbau der Fabrikhalle geholfen hatte, veranstaltete hier Kurse für Holzarbeiten. Die alte Druckpresse diente hauptsächlich dazu, Werbeprospekte und Plakate zu drucken. Aber neben einigen Kunstdrucken hatten einige Mitglieder der Gilde auch schon eigene Buchdrucke in geringen Auflagen durchgeführt. Die obere Etage war ausgebaut, wärmeisoliert und eingerichtet worden und war das Apartment von Karl und seiner Frau Claudia. Karl konnte das im unteren Geschoss stehende Klavier für seine Kompositionen nutzen und seine Frau und er kümmerten sich liebevoll um die Gäste während der Veranstaltungen in der Fabrikhalle. Außerdem kümmerten sie sich um die Organisation und Werbung für die Kunstfabrik.

Der Laden Ein Eckhaus am Rand des Stadtkerns war die Ideale Ergänzung für die Gebäude der Gilde. Im unteren Geschoss des Hauses war eine einzige, große Ladenfläche, die von den großen Schaufenstern aus eingesehen werden konnte. Die eine Seite des Ladens wurde zu einem Laden umgewandelt, in dem Johann die Produkte der Kunstgilde wie Wein, Marmelade, Kuchen, kleine Snacks, Obst und Gemüse verkaufte. Auf der anderen Seite gab es ein kleines Restaurant, in dem Tim der Koch war. Die Einrichtung des Restaurants bestand wie bei vielen anderen Gebäuden der Kunstgilde aus einer Mischung aus modernen, selbst entworfenen Möbeln und Antiquitäten, die Johann gekauft und Malte restauriert hatte. Es gab täglich drei verschiedene Menüs, die frisch zubereitet wurden. Die Gerichte waren der internationalen Küche entliehen und es gab immer mal etwas Neues. Tim bemühte sich, hauptsächlich die von der Gilde produzierten Lebensmittel für seine Küche zu verwenden. In dem Restaurant waren einige der Kunstobjekte von den Mitgliedern der Kunstfabrik ausgestellt und einmal im Monat und zu geschlossenen Gesellschaften gab Karl ein Klavierkonzert für die Gäste. Das Eckhaus hatte drei Etagen. Auf der zweiten Etage waren Büros und in der dritten Etage die Wohnungen von Tim, Albert und Johann. In den Büros kümmerte sich Albert um die Buchführung und den Betrieb der Gilde, und einige der Kunstgildenmitglieder verwirklichten hier kleinere Medienprojekte wie Internetseiten, Hörspiele, Filme, Musikaufnahmen und so weiter. Das Ladenrestaurant wurde zu einem beliebten Treffpunkt für die Bewohner des Städtchens. Als das Restaurant richtig lief, kaufte Tim einige Schweine, an die er die Reste aus dem Restaurant, nicht mehr verkaufbares Gemüse und die Abfälle aus Marmelade- und Weinproduktion verfütterte. Tagsüber liefen die Schweine frei herum und in der Nacht hatten sie geräumige Quartiere in den mittlerweile freigeräumten Schweineställen.

Im fünften Jahr wurde auf dem Hof von Frank eine Biogasanlage errichtet, die ein kleines Blockheizkraftwerk speiste. Schweinemist und Biomüll wurden zu Dünger, Heizwärme und elektrischer Energie umgewandelt. Im sechsten Jahr errichtete die Interessengemeinschaft ein kleines Hotel für den aufkeimenden Tourismus, der ohne Zweifel mit den Aktivitäten der Kunstgilde zusammenhing.

Die Gilde hatte im Laufe der Zeit ihr Ziel fast vollkommen erreicht: Eine Gemeinschaft, die was Nahrung, Energie und Wohnraum betraf, vollkommen autark war. Vielmehr erwirtschafteten sie Produkte verschiedenster Art, die als Absicherung und für weitere Projekte verwendet werden konnte.

copyright: Kai Restemeier 2001

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Re: Visionen für Millionen

OK, es is schon ziemlich spät und ich muss eigentlich schlafen...

...also das hört sich alles sehr verlockend an. Utopie 3000? Das sind ja noch tausend Jahre... Ich würde Johann ja gerne mal fragen, ob er mir das Rezept von "Black Hole on Ice" verraten kann, den kann er doch bestimmt, oder?

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Re: Re: Visionen für Millionen

Ich hatte versucht, möglichst viel Verwirrung zu stiften, so dass man keine Rückschlüsse auf real existierende Personen ziehen kann. Das ist natürlich nicht so ganz einfach und einige, die die Geschichte gelesen haben, werden sich sofort mit einer der Personen identifiziert haben. Aber das macht man ja bei fast jeder Geschichte. Ob ich Johann sein sollte, verrate ich natürlich nicht. Genausowenig wie das Rezept für den Black Hole. On Ice ist einfach: Wasser in beliebige Eiswürfelform geben und ab ins Gefrierfach! Den Black Hole werde ich wohl irgendwann mal anfertigen. Vielleicht ja Sylvester...

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