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Foltertherapie

Ich möchte nicht, dass man mich für einen Unmenschen hält. Dieses Fehlurteil trifft mich oft und hart, denn eigentlich will ich anderen Menschen helfen. Ich möchte sie von ihrer Verblendung heilen, ihren Verstand wecken. Wenn so etwas ginge, indem man seine Patienten mit Wattebäuschchen bewirft - ich wäre der erste, der auf diese Therapieform umstellt. Aber leider ist es anders. Wenn man zehn Leute die mich kennen danach fragen würde, würden mindestens sechs von ihnen sagen, ich sei ein Arschloch. Das sind die schwierigen Fälle. Nicht jeder ist einer Katharsis zugänglich. Und ich bin nur ein Katalysator, die wichtigen Dinge geschehen nicht in meinem Kopf, sondern in ihrem.

Ein Beispiel. Ich verbrauche alle zwei bis drei Wochen eine Praktikantin. Schlagen sie sich die schlüpfrigen Phantasien am besten gleich wieder aus dem Kopf. Es geht hier nicht um Proteinverlust. Junge Menschen sind sehr schwer zu heilen, weil ihre Gehirne noch zu vielen Störeinflüssen ausgesetzt sind.

Sie stand also da, das dreizehn-Uhr-meeting hatte gerade begonnen. Sie stand da in diesen Stiefeln, die bis zu den Oberschenkeln reichten. Sie musste eine Oma oder Patentante totgeliebt haben, um sich solch groteskes Schuhwerk leisten zu können. Sie hatte sich Schminke auf den Rand ihres Rollkragenpullis geschmiert, der ohnehin in Kombination mit ihrem Minirock so unpassend wie ein aufblasbarer Scherzartikel wirkte. Ihr Plan war, mir zwei handgetippte Seiten vor die Nase zu legen, möglichst schnell zu verschwinden, dabei gleichzeitig aber sowas von geil und sexy zu wirken, wie das für nuttig kostümierte, unbeholfene Mädchen eben möglich ist.

"Wie ist Dein Name, Kind?"

Meine Worte brachten sie zum wanken, innerlich. Ihr Plan war gründlich schiefgegangen. Der Motor ihrer Hand war ausgefallen, zwei angeblich hübsch gelayoutete Seiten Papier steckten darin fest. Ich gab ihr eine Sekunde für den Schrecken.-Sie brauchte fünf, um sich an ihren Namen zu erinnern.

"Anette."

Wenn sie ihren Nachnahmen dazugesagt hätte, wäre sie achtkantig rausgeflogen. Sie hatte sich einen halben Punkt für unerwartete coolness verdient.

"Wir haben grad etwas Zeit, Anette. Wärst Du so nett, mir die Ergebnisse Deiner Internetrecherche zu berichten? Keine Angst, erzähl´ mir das einfach so, wie Du es einem Freund erzählen würdest."

Es war ein faszinierendes Schauspiel, wie sie auf der einen Seite vor Angst in kleine Teilchen zu zerbrechen drohte und auf der anderen eine große Chance für ihre nonexistente Karriere witterte. Sie nahm ihre Blätter zurück, um sich kurz zu vergegenwärtigen, was sie überhaupt so in den letzten drei Stunden gemacht hatte. Dann erinnerte sie sich wohl an die Laientheatergruppe, hielt das Papier von sich wie ein Herold, ohne dabei weniger unbeholfen zu wirken. Ich ließ sie etwa zehn Minuten leiden, bis kurz vor einem zu erwartenden Zusammenbruch, dann ging sie. Für immer, sollte sich herausstellen.

Wieder hatte ich einen Menschen vor der Hölle gerettet.