Sonntag, 14. November 2004
Auftritt Don Eddi
Albtraumjaeger
23:30Uhr | tag: Die Staendige Vertretung
1. Abschnitt: Die Mitte zuerst 2. Abschnitt: Neoetatistisches Ökonomengeschwurbel 3. Abschnitt: Scheiß neue Energien 4. Abschnitt: heimaterde reloaded 5. Abschnitt: Ottos Mops 6. Abschnitt: Lauter bekannte Gesichter Einer der meistgepflegtesten populären Irrtümer des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist die Vorstellung, dass man nicht tagelang unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehen kann, ohne bald darauf tot zu sein oder unzurechnungsfähig auf eine Zwangsjacke zu sabbern. Vergessen die Drogenexzesse der Bohemiens des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, der irrsinnige Konsum von Alkoholika und verschiedensten Rauchwaren, Opiaten, Kokain, Medikamenten und diversen Designerdrogen, der in einer Zeit der geistigen und kreativen Achterbahnfahrten die mal surrende, mal dumpf pochende Baseline dessen bildete, was die zeitgenössische Kunstgeschichte einmal als den Kampf um die Moderne klassifizierte. [read on] Die gesundheitspolitische Propaganda des Rehabilitationsministeriums lief ausgesprochen effektiv, der gesellschaftliche Rauschmitteldiskurs war in den letzten Jahren zunehmend von einem „wie viel?“ zu einem „warum?“ umgeschwenkt. Ministerin Kloppstock, eine greise Matrone mit Herrenmenschattitüde, hatte ihren Stab, die Pressabteilung, das ganze Haus auf NO TOLERANCE! gedrillt. Mit einem schier unerschöpflichen Budget fuhr das Ministerium eine Antidrogenkampagne nach der anderen und veranstaltete zugleich eine Hexenjagt auf alle prominenten Partyraucher und Gelegenheitssäufer, alle graubärtigen THC-Sympathisanten, Freunde des Mohns und all seiner Veredelungen, Anhänger synthetischer Pillencocktails, Cocktailpillen und all ihrer Zwischenformen. Nur MWN (Music World Network), das den hiesigen Teenagermob von Tokio aus mit den derzeit hippen Nullinformationen versorgte, verherrlichte als einziges meinungsrelevantes Massenmedium weiterhin ungestraft alle Arten der biochemischen Ausschweifung. Etwart Daggeldoyn war entweder propagandaresistent oder ein regelmäßiger Konsument von Musikvideos. Als er durch die Eingangshalle der Ständigen Vertretung stapfte, war er dicht bis unter die Schweinsäuglein. Daggeldoyn war klein, vielleicht einen Meter sechzig groß. Zu meiner Überraschung war er außerdem sehr schlank, eigentlich sogar dürr. Sein grauer Flanellanzug, der seinen Rumpf umflog wie eine ADS-kranke Gewitterwolke, war wohl ein Überbleibsel einer fülligeren Zeit, dem Teil seiner Vergangenheit, aus dem die Fahndungsfotos stammten, die von jedem Infoterminal aus abrufbar waren. Ich stand mit Michi auf dem ersten Treppenabsatz, Mick zwei Stufen unter uns und zu dritt beobachteten wir sprachlos den Einmarsch der Gesetzlosen. Etwart Daggeldoyn, der schnellen Schrittes auf Frau Pölkers Tresen zuhielt, vor und hinter sich je einen riesenhaften Bodyguard, zwei Meter zurück zwei zierliche ältere Damen, ein Hund, ein überforderter Kofferträger und Heino Siekenbrock. Siekenbrock, der Chef der hiesigen Außenstelle der Bundesagentur für Arbeit, der Mann, dem Nikolai gestern noch die Tränchen der Verzweiflung trocknen musste. Als Siekenbrock uns auf der Treppe stehen sah, bekam sein Gesicht die Farbe einer arktischen Eislandschaft: Weiß, ins Bläuliche driftend. Er machte ein paar schnelle Schritte nach vorne, schob sich an dem hinteren Riesen vorbei und wisperte Daggeldoyn etwas ins Ohr. Daggeldoyn stoppte abrupt und drehte sich zu uns um. „Kommse her, könnse hingucken, schönengutentach!“ lallte er uns entgegen. „Nawattdennwattdennwattdenn, kommseschon wirmüssnreen.“ Seine Stimme stand in diametralen Gegensatz zu seiner äußeren Statur. Der kettenrauchende Fernfahrer, den man vor Augen haben musste, wenn man Daggeldoyn bloß vom Telefon her kannte, passte insgesamt besser zum erfolgreichsten europäischen Wirtschaftskriminellen des letzten Jahrhunderts, besser als dieser zappelige Zwerg, der bei jedem zweiten Schritt fast über seine eigenen Füße stolperte. Wir stellten uns vor, Jäger, Beckstein, Schippstedt, SPP, Consulting, man kennt sich, Händeschütteln mit Siekenbrock. „Ich bin 'n bisschen überrascht, Sie hier zu treffen,“ fand Siekenbrock schließlich seine Sprache wieder. „Ja. Gab 'n paar Probleme“, antwortete ich. „Bleiben erst mal hier, bis 'n paar Dinge geklärt sind.“ Ich wandte mich an Daggeldoyn. „Ich habe Sie mir ...voller vorgestellt, Herr Daggeldoyn. In gewisser Weise. Kräftiger und, naja, unsichtbarer. Weniger öffentlich.“ Daggeldoyn deutete auf seine Bodyguards, die sich rechts und links von ihm vor uns aufgebaut hatten. „Is' nich ganseinfach unaufällich zu bleim mit Timundstruppi hier. Ich bemüh mich. Kannste ja nich ahn', dass mein Hotel hier voller Staatsraketen steckt.“ „Wir gehör'n nicht zum Ministerium, SPP handelt lediglich im Auftrag der Ministerin.“ Daggeldoyn machte eine wegwerfende Handbewegung, geriet dabei ins Schleudern und prallte gegen sein linkes Beschützerkoloss. „Jetzmal ab vom Smalltalk hier. Das is mein Stammhotel hier, hab Keinbock mir was anderes zusuchn. Is'n Problem. Ihr rennthier rausdietage und könnt den Mund nich haltn. Erzählts den falschen Leuten. Is'n Problem...“ In der Zwischenzeit hatte sich gutes Dutzend anderer Bewohner in der Eingangshalle versammelt. Frau Pölker stand wie immer angewurzelt hinter ihrem Tresen und funkelte deutlich verstimmt mit ihren Augen. Direkt hinter uns Otto, Tug und Bronko, der Rest hielt Abstand. Daggeldoyn fingerte an seiner Hemdtasche herum und zog mit einiger Kraftanstrengung eine Kippenschachtel daraus hervor. Wie auf Kommando stürmten die beiden älteren Damen aus seiner Begleitung auf ihn zu. „Etwart, lass das mal besser“, raunte eine, die andere schüttelte nur missbilligend mit dem Kopf. Beide trugen Kostüme in verschiedenen Pastellfarben, die eine eins in mattem Mintgrün, die andere eins in Altrosa. Daggeldoyn seufzte und zündete sich eine Zigarette an. „Otto, kennste eig'lich meine Mutter? Mutter Ilse: Otto. Otto: Ilse. Und 'türlich Tante Mattha. Mattha: Otto. Otto: Mattha. Otto, was hase ihn' erzählt?“ „Hab nur hier und da was angemerkt, vielleicht, naja, so Dinge eben, so Geschichten. Nich' viel, was mich hier so beschäftigt, ganzen Tag. Hotel und so, wie ich hierher gekommen bin. Soll ich schon groß erzählen, weiß ja selbst nix. Gut, von dir, nur grob. Der is in Ordnung hier, der Albert, ach, der sacht nix weiter. Denk ich.“ „Siekenbrock hier sachte mir grad, dasse da warn, Albert. Michaels, zweimalrichtich? Controllingschrott und so. Is'n Problem. Warum 'n Problem? Kerl, ich krich das heute nich' geregelt, die Laberei und alles. Ersma schlafen. Timundstruppie komm' dann vorbei und hol'n euch ab. Mussjetz n Bette, schnell. Wir gehn.“ Er hielt beide Hände in die Höhe und ließ sich von seinen Leibwächtern die Treppe hinauf führen, an uns vorbei, bis irgendwo nach oben. Die alten Damen folgten ihm, ebenso Hund und Kofferträger, beide hechelnd. ... Comment
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