Stichwort: Das Floss
Das Floss - Rückkehr zur Abreise

Wenn die Fenster erloschen sind, ein leiser Regen die Letzten in die Häuser zwingt und der Wind den Abfall der Straße vor sich her treibt, träfe man auf eine äußerst merkwürdige Gesellschaft – unten, am Fluss – trieben Feuchtigkeit und Kälte einen nicht zurück ins Haus oder die Wohnung, ins Schlafzimmer oder auf die provisorische Schlafcouch, Hauptsache, ein Dach und etwas Wärme in dieser Nacht. Die Gestalten am Fluss stört dies wenig, tatsächlich sind Zeitpunkt und Witterung ihrer Treffen mit Bedacht so gewählt, dass niemand sie so, scheinbar schweigsam stehend, jeder und jede ganz in sich selbst versunken, anträfe oder gar störe. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen; Bäume, Weiden vor allem, stehen zwischen Ihnen und um sie herum, und auch sie, die dort stehen, kennen ihre Zahl nicht genau, können sich kaum sehen zu dieser Zeit an diesem Ort. Ein Autoscheinwerfer oder das Licht einer Lampe nähme diesem Bild schnell die romantisch- mystische Attitüde, die es durch die Umstände des Zusammenkommens nur zu leicht erhält. Das kurz aufblitzende Licht eines Feuerzeugs, das für kurze Zeit – geschickt abgedeckt – dem kalten Wind trotzt, deutet den wahren Anblick der Gruppe an, der sich bei hellem Tageslicht dem Spaziergänger böte.

Der Zweck dieser Zusammenkunft ist jedes Mal derselbe: Man baut ein Floß. Aus Weidenholz und fester Schnur, mit einigen Nägeln, Teer und Tuch wird ein großes Holzfloß gefertigt, das Platz für all jene bietet, die sich hier regelmäßig versammeln. Und doch ist es jedes Mal ein anderes. Genaue Form und Farbe des Gefährts wechseln ebenso wie Abfahrtszeit und Besatzung. Und immer steht eine andere der grauen Gestalten am Ruder, bestimmt die Fahrtziel und Fahrtrichtung.

Nach einiger Zeit der Sammlung und des Schweigens erhebt jemand die Stimme: „Ich habe ein Floß gebaut.“

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Memomarathon: "Zu spät!"

DIE IDEE: Der Kurzgeschichten-Zyklus "Das Floß" ist der (zugegebenermaßen relativ sentimentale) Versuch, Tagträume, Wirklichkeitsfluchten und Phantasien ganz verschiedener Personen festzuhalten. Sprachstil, Form und "Ernsthaftigkeit" der einzelnen Geschichten sind dabei völlig freigestellt.

DAS PROZEDERE: Den Rahmen für den Zyklus habe ich bereits geschrieben, er ist kursiv gesetzt. Wenn Ihr ein neues Kapitel schreiben wollt, kopiert bitte diesen Einleitungsteil (DIE IDEE und DAS PROZEDERE) und den Rahmen, legt eine neue Geschichte mit dem Topic "Das Floss" an, fügt den kopierten Text dort ein und schreibt Eure Geschichte darunter. Als Titel nehmt den Titel Eurer Episode.

Wenn die Fenster erloschen sind, ein leiser Regen die Letzten in die Häuser zwingt und der Wind den Abfall der Straße vor sich her treibt, träfe man auf eine äußerst merkwürdige Gesellschaft – unten, am Fluss – trieben Feuchtigkeit und Kälte einen nicht zurück ins Haus oder die Wohnung, ins Schlafzimmer oder auf die provisorische Schlafcouch, Hauptsache, ein Dach und etwas Wärme in dieser Nacht. Die Gestalten am Fluss stört dies wenig, tatsächlich sind Zeitpunkt und Witterung ihrer Treffen mit Bedacht so gewählt, dass niemand sie so, scheinbar schweigsam stehend, jeder und jede ganz in sich selbst versunken, anträfe oder gar störe. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen; Bäume, Weiden vor allem, stehen zwischen Ihnen und um sie herum, und auch sie, die dort stehen, kennen ihre Zahl nicht genau, können sich kaum sehen zu dieser Zeit an diesem Ort. Ein Autoscheinwerfer oder das Licht einer Lampe nähme diesem Bild schnell die romantisch- mystische Attitüde, die es durch die Umstände des Zusammenkommens nur zu leicht erhält. Das kurz aufblitzende Licht eines Feuerzeugs, das für kurze Zeit – geschickt abgedeckt – dem kalten Wind trotzt, deutet den wahren Anblick der Gruppe an, der sich bei hellem Tageslicht dem Spaziergänger böte.

Der Zweck dieser Zusammenkunft ist jedes Mal derselbe: Man baut ein Floß. Aus Weidenholz und fester Schnur, mit einigen Nägeln, Teer und Tuch wird ein großes Holzfloß gefertigt, das Platz für all jene bietet, die sich hier regelmäßig versammeln. Und doch ist es jedes Mal ein anderes. Genaue Form und Farbe des Gefährts wechseln ebenso wie Abfahrtszeit und Besatzung. Und immer steht eine andere der grauen Gestalten am Ruder, bestimmt die Fahrtziel und Fahrtrichtung.

Nach einiger Zeit der Sammlung und des Schweigens erhebt jemand die Stimme: „Ich habe ein Floß gebaut.“

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MEMOMARATHON: Stimmen

DIE IDEE: Der Kurzgeschichten-Zyklus "Das Floß" ist der (zugegebenermaßen relativ sentimentale) Versuch, Tagträume, Wirklichkeitsfluchten und Phantasien ganz verschiedener Personen festzuhalten. Sprachstil, Form und "Ernsthaftigkeit" der einzelnen Geschichten sind dabei völlig freigestellt.

DAS PROZEDERE: Den Rahmen für den Zyklus habe ich bereits geschrieben, er ist kursiv gesetzt. Wenn Ihr ein neues Kapitel schreiben wollt, kopiert bitte diesen Einleitungsteil (DIE IDEE und DAS PROZEDERE) und den Rahmen, legt eine neue Geschichte mit dem Topic "Das Floss" an, fügt den kopierten Text dort ein und schreibt Eure Geschichte darunter. Als Titel nehmt den Titel Eurer Episode.

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MEMOMARATHON: Das Floss kehrt zurück (Fortsetzung)

DIE IDEE: Der Kurzgeschichten-Zyklus "Das Floß" ist der (zugegebenermaßen relativ sentimentale) Versuch, Tagträume, Wirklichkeitsfluchten und Phantasien ganz verschiedener Personen festzuhalten. Sprachstil, Form und "Ernsthaftigkeit" der einzelnen Geschichten sind dabei völlig freigestellt.

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Das Floss kehrt zurück

Nach einer qualvollen, endlos erscheinenden Phase, in der man nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden konnte, wurde es heller. Nebel lag über dem Fluss. Nur schemenhaft sah man etwas im Wasser dahintreiben...

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Das Floss: "Abendboot - die Fortsetzung: Am Feuer"

DIE IDEE: Der Kurzgeschichten-Zyklus "Das Floß" ist der (zugegebenermaßen relativ sentimentale) Versuch, Tagträume, Wirklichkeitsfluchten und Phantasien ganz verschiedener Personen festzuhalten. Sprachstil, Form und "Ernsthaftigkeit" der einzelnen Geschichten sind dabei völlig freigestellt.

DAS PROZEDERE: Den Rahmen für den Zyklus habe ich bereits geschrieben, er ist kursiv gesetzt. Wenn Ihr ein neues Kapitel schreiben wollt, kopiert bitte diesen Einleitungsteil (DIE IDEE und DAS PROZEDERE) und den Rahmen, legt eine neue Geschichte mit dem Topic "Das Floss" an, fügt den kopierten Text dort ein und schreibt Eure Geschichte darunter. Als Titel nehmt den Titel Eurer Episode.

Wenn die Fenster erloschen sind, ein leiser Regen die Letzten in die Häuser zwingt und der Wind den Abfall der Straße vor sich her treibt, träfe man auf eine äußerst merkwürdige Gesellschaft – unten, am Fluss – trieben Feuchtigkeit und Kälte einen nicht zurück ins Haus oder die Wohnung, ins Schlafzimmer oder auf die provisorische Schlafcouch, Hauptsache, ein Dach und etwas Wärme in dieser Nacht. Die Gestalten am Fluss stört dies wenig, tatsächlich sind Zeitpunkt und Witterung ihrer Treffen mit Bedacht so gewählt, dass niemand sie so, scheinbar schweigsam stehend, jeder und jede ganz in sich selbst versunken, anträfe oder gar störe. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen; Bäume, Weiden vor allem, stehen zwischen Ihnen und um sie herum, und auch sie, die dort stehen, kennen ihre Zahl nicht genau, können sich kaum sehen zu dieser Zeit an diesem Ort. Ein Autoscheinwerfer oder das Licht einer Lampe nähme diesem Bild schnell die romantisch- mystische Attitüde, die es durch die Umstände des Zusammenkommens nur zu leicht erhält. Das kurz aufblitzende Licht eines Feuerzeugs, das für kurze Zeit – geschickt abgedeckt – dem kalten Wind trotzt, deutet den wahren Anblick der Gruppe an, der sich bei hellem Tageslicht dem Spaziergänger böte.

Der Zweck dieser Zusammenkunft ist jedes Mal derselbe: Man baut ein Floß. Aus Weidenholz und fester Schnur, mit einigen Nägeln, Teer und Tuch wird ein großes Holzfloß gefertigt, das Platz für all jene bietet, die sich hier regelmäßig versammeln. Und doch ist es jedes Mal ein anderes. Genaue Form und Farbe des Gefährts wechseln ebenso wie Abfahrtszeit und Besatzung. Und immer steht eine andere der grauen Gestalten am Ruder, bestimmt die Fahrtziel und Fahrtrichtung.

Nach einiger Zeit der Sammlung und des Schweigens erhebt jemand die Stimme: „Ich habe ein Floß gebaut.“

Das Kichern an diesem „nicht allzu weit entfernten Ort“ kommt von der Gestalt, die mit Blick auf den Fluss am Feuer sitzt: „Warum sagst du diesen Satz? Es gibt diese Treffen nicht mehr. Das war eine schöne Zeit, aber spätestens seit ich in der Zeitung gelesen habe, dass die letzte Gruppe aufgeflogen ist, ist die Nummer mit dem Floß bauen endgültig vorbei.“ Für kurze Zeit ist nur ein Säuseln in der Uferböschung und das Knacken des Flackernden Feuers zu hören. „Das glaube ich nicht, schließlich sind wir heute hier. Darum habe ich den Satz gesagt.“ Das unebene Gesicht des anderen Mannes, der mit dem Rücken zum Fluss sitzt, wirkt im ungleichmäßigen Schein der aufleuchtenden Flammen nicht mehr so blass, wie im fahlen Mondlicht. Es verrät nicht die Ruhe, schon gar nicht den scharfen Verstand, der meistens hinter seinen Worten steckt. „Na was hat dieser Abend denn noch mit den Treffen von früher zu tun? Der Nieselregen hat aufgehört. Ich warte schon drauf, dass irgend so ein Normalversager mit seinem Hund auf der Abendrunde vorbeikommt und uns mit Politik, Arzt- oder Wie-schlecht-die-Welt-doch-geworden-ist-Geschichten vollnervt. Das ist doch kein Wetter mehr, bei dem sich die Standardverlierer nicht mehr aus dem Haus trauen. Kaum Wind, kein Nebel, lau. Außerdem sitzen wir hier – wo keine Weiden mehr wachsen. Wir hätten ja nicht mal die Chance ein Floß zu bauen. Das kleine Feuer aus dem Böschungsholz ist jawohl kein Ersatz. Wir können froh sein, dass wir es nach der ganzen Bastelei überhaupt angekricht haben, so nass wie das ist. Und überhaupt: wir sitzen hier und quatschen, statt schweigend ein Floß zu bauen und in ein ungewisses Abenteuer aufzubrechen. Von den Gestalten, die neulich erwischt wurden ist keine mehr da.“ „Ich bin hier.“ „Du warst auch dabei?“ In aller Ruhe wirft der Gefragte zunächst ein paar kleine, verzweigte Astenden ins Feuer, deren Feuchtigkeit für das Zischen und die abnehmende Helligkeit im Flackern verantwortlich ist. „Ich bin rechtzeitig abgehauen. Aber auch die anderen werden wiederkommen. Wahrscheinlich auch sehr bald wieder weiter flussaufwärts, bei den Weiden.“ „Heute wahr jedenfalls keiner da, sonst wäre ich gar nicht mehr hier angekommen. Aber selbst wenn: das Ganze hatte doch schon lange die Linie verloren. Irgendwann soll es vorgekommen sein, dass mitten auf dem Wasser einfach ein anderer das Ruder übernommen hat. Dabei sollten es doch ursprünglich Fahrten sein, die einer durchzieht. Dia anderen fahren nur mit.“ „Wo steht das geschrieben?“ Das Zischen ist immer mehr verstummt. Die ehemals nassen Zweige lodern jetzt in trommelnd knackender Flamme. Darum folgt nun unausweichlich ein dickeres nasses Stück Treibholz, das wieder das Zischen hervorruft und zum Abdunkeln der ganzen Szene führt. Dadurch wird der Blick des Mannes mit den alten, aus der Mode geratenen, hohen, weißen Turnschuhen wieder auf das fahle Spiegelbild der dünnen Sichel auf dem Fluss gezogen. Die Wellen teilen es in immer andere Bruchstücke. Während er mit seinen Zweifeln ringt, mustert er seinen Gegenüber. Aber außer den Umrissen des krausen Haares und den rot funkelnden Punkten der verbliebenen Glut in seinen Augen ist nicht viel zu erkennen. Die grüne Wachsjacke ist mehr Erinnerung, war sie doch im lodernden Feuer gut zu sehen. Er nimmt seine Brille ab, um den störenden Schleier mit einem Taschentuch zu entfernen. Schließlich verliert er doch gegen seine inneren Einwände, obwohl er die Idee der totalen Freiheit gerne annehmen würde: „Ich weiß nicht. Wir können doch nicht alles freigestellt lassen. Mir hat man erzählt, dass der, der einmal mit all dem hier angefangen hat, wollte, dass jeder sein eigenes Floß baut. Aus welchem Grund auch immer. Aber ein Ziel sollte es haben. Die Erfüllung eines alten Traumes, das Entfliehen aus dem Alltag für kurze Zeit in eine stumme Welt, in der man sich ohne Worte versteht. Oder einfach die Lösung eines alten Problems, die Antwort auf eine wichtige Frage, das Abschließen eines Kapitels im Leben an dem andere stumm teilhaben dürfen. Bei dem sie durch schweigende Anteilnahme helfen können. Und jetzt kommt es vor, dass zwei Flöße auf einmal gebaut werden und alle lachen sich tot. So war es doch oder?“ „Das stand aber nicht in der Zeitung.“ Der geneigte Leser mag nun Verwunderung in diesem Satz vermuten, doch liegt tatsächlich eine tiefe Bestimmtheit in der vertauensvollen und immer noch sehr ruhigen Stimme. „Nein, stand es nicht. Ich kam gerade, als das Dilemma mit den zwei Flößen offensichtlich wurde. Bin sofort wieder gegangen. Ich habe es eigentlich nur von weitem gehört. Die Polizei habe ich nicht mehr gesehen. Für mich war es schon vorher genug, das Ende einer tollen Idee, das Aus vieler schöner Träume.“ Das Taschentuch ist wieder in der schwarzen Hochwasserjeans verschwunden. Mit dem beigen Hemd unter der verwaschenen schwarzen Jeansjacke gibt die Gestalt an der Uferseite des Feuers ein ziemlich komisches Bild ab, dass der erfinderischen, freundlichen Art des Mannes nicht gerecht wird. Langsam kämpft sich das Feuer gegen die Feuchtigkeit des dicken Holzes vor. Es wird wieder heller. Doch jetzt muss der verständige Gegenüber wieder das Wort ergreifen: „Ich glaube nicht, dass es das war. Wenn es diese mysteriöse Person, mit der alles angefangen hat, wirklich gibt, ist sie wahrscheinlich noch unter uns, war vielleicht sogar neulich dabei. Wenn es ihn gibt, freut er sich wahrscheinlich, dass es immer noch Menschen gibt, die sich bei Regen, Sturm und tiefschwarzer Nacht nicht in den Langweiler-bunkern verkriechen, sondern darin dass typische Floßwetter erkennen.“ „In dem, was du sagst, höre ich viel Wahrheit, die weiter reicht, als das, was die anderen sagen. Ich bin doch auch schon eine Weile dabei, aber ich habe immer nur von festen Ritualen gehört. Irgendwer hat sie festgelegt und dabei muss es bleiben. Obwohl ich nie fand, dass das zu dem Grundgedanken passt. Ich meine, es ist doch an sich schon ziemlich komisch sich mitten in der Nacht bei Schmuddelwetter zu treffen und seinen Träumen nachzujagen. Warum sollte es da Regeln geben? Wie lange kommst du schon her?“ „Sehr lange.“ Auf der kleinen Lichtung in der Uferböschung, die von dichtem Buschwerk gegen die angrenzende Wiese abgetrennt wird, ist für kurze Zeit wieder nur säuseln und immer noch leises knistern im zischenden Feuer zu hören, dass aber immer lauter wird, da die Feuchtigkeit immer mehr aus dem schweren Holz weicht. Der Mann, der zwischen Feuer und Fluss sitzt, scheint nicht gewillt, genauere Auskünfte zu geben. „Hast du mal einen gekannt, der der Urheber der ganzen Sache sein könnte.“ „Viele glauben, dass es der Alte sein könnte, der öfter da ist. Ich gehöre aber nicht dazu. Der Alte hat zwar viel Gutes getan, hat oft zu denen gehalten, die auf der Suche waren, hat aber andererseits auch oft versucht Linie reinzubringen. Und vielleicht oft mehr als nötig. Eine strenge Linie ist der Feind der Phantasie. Wenn hier Träume nicht mehr geträumt werden, weil die Flöße oder die Fahrten zu chaotisch oder nicht ernst genug sein könnten, dann würden wir uns wirklich von dem verabschieden, was das ganze hier mal war. Oder werden sollte. Wie gesagt, ich glaube vor allem, dass – wer auch immer mal angefangen hat – sich freuen würde, dass seine Idee noch lebt. Ich glaube, es ist ihm egal, wie ernst oder weniger ernst es die meinen, die kommen. Falls er nicht doch immer wieder unter uns ist, würde er sich freuen, wenn er eines Tages käme und sehen würde, dass seine Idee von den Flößen immer noch schwimmt. Immer noch nicht untergegangen ist – egal in welcher Form.“ „Wahrscheinlich hast du recht. Ich habe viele Geschichten gehört, von Fahrten ohne genaues Ziel, von Reisen, die so lange andauerten, dass die Menschen auf dem Floss in ihren Familien, bei ihren Freunden oder an ihren Arbeitsplätzen vermisst wurden. Meistens konnten sie nicht mal genau sagen was eigentlich passiert war. Aber man merkte ihnen an, dass es etwas Großartiges, nicht durch Worte beschreibbares gewesen sein musste, dass sie immer noch beeindruckte. Vielleicht sollte man einfach alles freistellen. Wer sagt denn, dass immer tatsächlich ein Floß gebaut werden muss? Die Idee, der Grundgedanke ist wichtig. Und wahrscheinlich hast du auch recht damit, dass der Abend heute tatsächlich schon ein neues Kapitel vom großen Ganzen ist.“ „Mit einer Einschränkung: Es sollten nur noch Flöße gebaut werden, wenn der Erbauer bis zum Ende mitfährt. Wenn er am Ufer stehen bleibt, ist das alles nur eine Episode mit allzu offenem Ende. Das führ zu einer zu großen Beliebigkeit, denn: was passiert wenn dann einfach gar keiner weitersteuert? Wie die Flöße aussehen ist wirklich egal, auch ob es überhaupt tatsächliche Flöße sind oder nur sinnbildliche, aber alle müssen mit.“ Der Himmel über den beiden ist jetzt sternenklar. Die Nacht ist doch recht kühl geworden, dass kleine Feuer, um das die beiden Gestalten sitzen sollte endlich wieder kräftiger werden, damit sie nicht zu sehr frieren müssen. „Nein, tut mir leid, dass sehe ich nicht so. Wenn schon frei, dann ganz. Was soll das sein, ein allzu offenes Ende? Wer mit an einem Floß baut wird seine Gründe haben. Aber genauso kann es gute Gründe geben, warum er gar nicht oder nur ein kurzes Stück mitfahren möchte. Vielleicht ist er noch nicht so weit. Vielleicht geht es beim nächsten mal weiter. Manchmal muss man einen Traum erst ein Stückchen geträumt haben, um zu entscheiden, wie es weitergeht. Und ob überhaupt.“ „Hmmmm.“, zum ersten mal scheint der Mann in der Wachsjacke wirklich über etwas nachzudenken, auf das er noch keine eindeutige Antwort hat; „Vielleicht bist du dieses mal auf dem richtigen Weg. Warum nicht gleich alles freistellen. Wahrscheinlich war es einfach die Hoffnung, dass mal wieder einer mit vielen Träumen und Illusionen kommt, ein richtiges, großes Floß baut und alle bis aufs offenen Meer mitnimmt.“ „So was hat es mal gegeben?“ „Es ist lange her und es war eine meiner schönsten Fahrten, vielleicht die, die mich am meisten geprägt hat. So etwas vergisst man nie mehr und man wird immer hoffen, dass es noch einmal ein paar Momente geben wird, die etwas bringen, dass wenigstens ein bisschen an die Erfahrungen dieser Tage anknüpft.“ „Erzähl mir von der Fahrt.“ „Es ist eine lange Geschichte, ich weiß nicht, ob ich sie noch einigermaßen zusammenbekomme...“ „Jetzt, wo das große Stück endlich richtig brennt haben wir doch reichlich Zeit, also fang einfach an!“ Noch einmal ahnt der Betrachter das freudige Funkeln in den Augen des Mannes mit dem blassen Gesicht. Die Freude darüber, dass mit diesem Abend am Feuer die Flöße weiterschwimmen. Und doch werden die beiden Gestalten am Feuer immer kleiner, ihre Stimmen verschwinden im zunehmenden Säuseln des Windes, so dass der tiefe Ursprung dieser Freude verborgen bleiben muss, sicher zu ahnen, aber ungewiss. Und während auch der rote Punkt in der Ferne verschwimmt, der Beobachter immer weiter abgedrängt wird, wird die tiefe Sehnsucht, diese eine Geschichte noch zu hören, immer größer. Doch das ist ein neuer Teil der Episode, so dass die Sehnsucht zunächst ungestillt bleiben muss. Und doch trägt sie in sich ein freudiges Funkeln: die Gewissheit, dass die Idee nicht untergehen kann, die Hoffnung, dass bald wieder große Flöße schwimmen.

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Das Floss: "Abendboot"

DIE IDEE: Der Kurzgeschichten-Zyklus "Das Floß" ist der (zugegebenermaßen relativ sentimentale) Versuch, Tagträume, Wirklichkeitsfluchten und Phantasien ganz verschiedener Personen festzuhalten. Sprachstil, Form und "Ernsthaftigkeit" der einzelnen Geschichten sind dabei völlig freigestellt.

DAS PROZEDERE: Den Rahmen für den Zyklus habe ich bereits geschrieben, er ist kursiv gesetzt. Wenn Ihr ein neues Kapitel schreiben wollt, kopiert bitte diesen Einleitungsteil (DIE IDEE und DAS PROZEDERE) und den Rahmen, legt eine neue Geschichte mit dem Topic "Das Floss" an, fügt den kopierten Text dort ein und schreibt Eure Geschichte darunter. Als Titel nehmt den Titel Eurer Episode.

Wenn die Fenster erloschen sind, ein leiser Regen die Letzten in die Häuser zwingt und der Wind den Abfall der Straße vor sich her treibt, träfe man auf eine äußerst merkwürdige Gesellschaft – unten, am Fluss – trieben Feuchtigkeit und Kälte einen nicht zurück ins Haus oder die Wohnung, ins Schlafzimmer oder auf die provisorische Schlafcouch, Hauptsache, ein Dach und etwas Wärme in dieser Nacht. Die Gestalten am Fluss stört dies wenig, tatsächlich sind Zeitpunkt und Witterung ihrer Treffen mit Bedacht so gewählt, dass niemand sie so, scheinbar schweigsam stehend, jeder und jede ganz in sich selbst versunken, anträfe oder gar störe. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen; Bäume, Weiden vor allem, stehen zwischen Ihnen und um sie herum, und auch sie, die dort stehen, kennen ihre Zahl nicht genau, können sich kaum sehen zu dieser Zeit an diesem Ort. Ein Autoscheinwerfer oder das Licht einer Lampe nähme diesem Bild schnell die romantisch- mystische Attitüde, die es durch die Umstände des Zusammenkommens nur zu leicht erhält. Das kurz aufblitzende Licht eines Feuerzeugs, das für kurze Zeit – geschickt abgedeckt – dem kalten Wind trotzt, deutet den wahren Anblick der Gruppe an, der sich bei hellem Tageslicht dem Spaziergänger böte.

Der Zweck dieser Zusammenkunft ist jedes Mal derselbe: Man baut ein Floß. Aus Weidenholz und fester Schnur, mit einigen Nägeln, Teer und Tuch wird ein großes Holzfloß gefertigt, das Platz für all jene bietet, die sich hier regelmäßig versammeln. Und doch ist es jedes Mal ein anderes. Genaue Form und Farbe des Gefährts wechseln ebenso wie Abfahrtszeit und Besatzung. Und immer steht eine andere der grauen Gestalten am Ruder, bestimmt die Fahrtziel und Fahrtrichtung.

Nach einiger Zeit der Sammlung und des Schweigens erhebt jemand die Stimme: „Ich habe ein Floß gebaut.“

Das Kichern war man ja bereits gewohnt. Mal war es nervös, mal gut gelaunt, mal schadenfroh. Kichern gehörte einfach dazu. "Heey, ech habä aoch ein Flohss gebaod." Das Kichern nahm zu, breitete sich wie Wellen auf dem Fluss in die Tiefen der Nacht aus. "Das hatten wir noch nicht. Zwei auf einmal. Was machen wir denn jetzt?" "Hach, ?s wärden schon genuch für beide Flößchen sein, odah?" "Sagt doch einfach mal, wo ihr hinwollt. Dann entscheiden wir bei wem wir mitfahren.", erklang es mit einem unterdrückten Lachen von einer besonders großen Weide her. Der Erste, der sein Floss angekündigt hatte, verkündete mit tiefer, fester Stimme, "Ich habe einen großen Plan! Ich werde der Erste sein, der mit seinem Floss gegen den Strom fahren wird. Wer sich mir anschließen möchte, wird an meinem Ruhm teilhaben." An einigen Stellen des Ufers hatte sich das Kichern bereits in handfestes Schnauben und Gröhlen verwandelt. "Und Du? Wohin willst Du?", grunzte einer von hinten links. "Ech möchde ..." "... ans andere Ufer!", komplettierte jemand von den Gröhlenden den Satz und löste damit Kaskaden lauten Gelächters aus. Der Alte, der normalerweise für Ordnung gesorgt hätte, schien nicht da zu sein. Ohne Zweifel hatte man das schnell bemerkt. Kurz, bevor alles aus dem Ruder zu laufen drohte, nahm die echte Katastrophe ihren Lauf. Vom Hang, der zur Straße führte, näherten sich schnell und schwankend drei Lichtkegel. Schnell vernahm man plärrende Stimmen, die aus einem Funkgerät ertönen mussten. "Schöngudnabnd. Wasdasdennfürneversammlunghier? Darfichmalumdieausweisebiddn?" Schlagartig herrschte Stille. Während der eine Polizist die dem Hang am nächsten stehenden Personen mit seiner Taschenlampe beleuchtete, machte sich ein Zweiter daran, denjenigen zu folgen, die sich aus dem Staub machen wollten. Der dritte Mann stand am Hang und leuchtete mal die Weiden, mal einige der verblüfften Menschen an. "Kloppenburg, Ordnunksamt. Ham Sie hier die Bäume jefällt?" "Wir ähh..." "Dasisverboten. Gibtnsaftigesstrafgeldmeinlieber." "Ech glaob, ech wärd ohnmächdich." Kaum gesagt, sah man einen Mann in einer hellblauen Regenjacke zu Boden sinken. "Nahörnsemalsiekönndochnicherstbäumefällnundanneinfachumfallnsoeinfachisdasnich. Jürgendennehmwamitaufewache." Die Dinge nahmen ihren Lauf. Am nächsten Tag stand es in der Zeitung. Schon am übernächsten Tag hatten es die meisten wieder vergessen. Das Kichern konnte man jedoch schon in der dritten Nacht an einem nicht allzu weit entfernten Ort wieder vernehmen...

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Das Floss: "Erleuchtung"

DIE IDEE: Der Kurzgeschichten-Zyklus "Das Floß" ist der (zugegebenermaßen relativ sentimentale) Versuch, Tagträume, Wirklichkeitsfluchten und Phantasien ganz verschiedener Personen festzuhalten. Sprachstil, Form und "Ernsthaftigkeit" der einzelnen Geschichten sind dabei völlig freigestellt.

DAS PROZEDERE: Den Rahmen für den Zyklus habe ich bereits geschrieben, er ist kursiv gesetzt. Wenn Ihr ein neues Kapitel schreiben wollt, kopiert bitte diesen Einleitungsteil (DIE IDEE und DAS PROZEDERE) und den Rahmen, legt eine neue Geschichte mit dem Topic "Das Floss" an, fügt den kopierten Text dort ein und schreibt Eure Geschichte darunter. Als Titel nehmt den Titel Eurer Episode.

Wenn die Fenster erloschen sind, ein leiser Regen die Letzten in die Häuser zwingt und der Wind den Abfall der Straße vor sich her treibt, träfe man auf eine äußerst merkwürdige Gesellschaft – unten, am Fluss – trieben Feuchtigkeit und Kälte einen nicht zurück ins Haus oder die Wohnung, ins Schlafzimmer oder auf die provisorische Schlafcouch, Hauptsache, ein Dach und etwas Wärme in dieser Nacht. Die Gestalten am Fluss stört dies wenig, tatsächlich sind Zeitpunkt und Witterung ihrer Treffen mit Bedacht so gewählt, dass niemand sie so, scheinbar schweigsam stehend, jeder und jede ganz in sich selbst versunken, anträfe oder gar störe. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen; Bäume, Weiden vor allem, stehen zwischen Ihnen und um sie herum, und auch sie, die dort stehen, kennen ihre Zahl nicht genau, können sich kaum sehen zu dieser Zeit an diesem Ort. Ein Autoscheinwerfer oder das Licht einer Lampe nähme diesem Bild schnell die romantisch- mystische Attitüde, die es durch die Umstände des Zusammenkommens nur zu leicht erhält. Das kurz aufblitzende Licht eines Feuerzeugs, das für kurze Zeit – geschickt abgedeckt – dem kalten Wind trotzt, deutet den wahren Anblick der Gruppe an, der sich bei hellem Tageslicht dem Spaziergänger böte.

Der Zweck dieser Zusammenkunft ist jedes Mal derselbe: Man baut ein Floß. Aus Weidenholz und fester Schnur, mit einigen Nägeln, Teer und Tuch wird ein großes Holzfloß gefertigt, das Platz für all jene bietet, die sich hier regelmäßig versammeln. Und doch ist es jedes Mal ein anderes. Genaue Form und Farbe des Gefährts wechseln ebenso wie Abfahrtszeit und Besatzung. Und immer steht eine andere der grauen Gestalten am Ruder, bestimmt die Fahrtziel und Fahrtrichtung.

Nach einiger Zeit der Sammlung und des Schweigens erhebt jemand die Stimme: „Ich habe ein Floß gebaut.“

So war es gewesen. Eigentlich wie immer. Es waren vier weitere an Bord: Eine Frau und drei Männer. Zwei der Stimmen hatte ich wiedererkannt. Die des Alten, der eigentlich immer da war und die eines jüngeren Mannes. Die Frau hatte bisher nicht viel gesagt und die Männer hatten nur die üblichen Fragen gestellt oder ebenfalls geschwiegen. Dieses war mein zweites Floss. Das Erste hatte sich damals in der ersten Nacht im Uferschlamm festgesetzt und alle Passagiere mussten durch die dornigen Büsche an Land zurückklettern. Es war auch nicht sehr stabil gewesen, eine der Planken hatte sich schnell abgelöst, hatte das Ganze zu einer feuchten Angelegenheit gemacht und ein vernünftiges Steuern erschwert. Es war mir damals sehr peinlich und ich hatte einigen Spott ertragen müssen. Ich hatte seitdem dazugelernt. Die Pläne für dieses Floss waren geradezu perfekt. Ich hatte an nichts anderes mehr gedacht. Den ganzen Tag beschäftigte ich mich mit den Vorbereitungen für diesen Abend. Schließlich bedurfte es nun einiger schlagender Argumente, wenn noch einmal jemand mit mir auf die Reise gehen sollte. Etwas bereitete mir seit einigen Tagen Sorgen. Ich bemerkte, dass ich nicht mehr sehr viel mit anderen Menschen sprach. Ich konnte mich auch nicht mehr so gut ausdrücken wie früher. Ich hatte vielmehr das unerklärbare Bedürfnis, laut vor mich hin zu fluchen. Ich unterdrückte dieses Bedürfnis verständlicherweise, meine Arbeitskollegen zerissen sich über mein merkwürdiges Verhalten ohnehin schon das Maul. Wie in Trance war ich umhergewandelt, hatte nicht gewusst, was ich einen Moment zuvor gerade getan hatte. Hatte mich im Wohnzimmer ertappt, ohne zu wissen, warum ich hierher gegangen war. Voller Leere, ziellos. Ich wusste, dass diese Reise alles verändern würde. Und jetzt, jetzt war es so weit. "Was für eine wunderschöne Nacht.", sagte die Frau. Sie hatte eine schöne Stimme. "Ich meine, die Sterne, das Wasser - das ist die wahre Art zu leben." Niemand fühlte sich verpflichtet, etwas darauf zu erwiedern. Die geheime Gemeinschaft, die sich am Fluss gebildet hatte, hatte sich noch nie durch einen Reichtum an Worten ausgezeichnet. "Ist ?n hübsches Floss, dass Du da gebaut hast. Hoffentlich bringt es uns weiter, als Dein letztes." Jetzt wusste ich wieder, woher ich die Stimme des einen Typen kannte. Natürlich war er beim letzten Mal dabei gewesen. Er hatte am meisten geflucht, als wir uns die Uferböschung emporkämpfen mussten und hatte im Nachhinein am meisten über mich gelacht. "Es wird bald Tag. Es dämmert schon. Das ist ein wichtiger Augenblick. Denn ein Augenblick wird es sein." Den Alten hatte ich so rätselhaft noch nie erlebt. Normalerweise sorgte er nur für Ordnung am Ufer und half den anderen bei der Abreise. Aber dieses Mal war er der Erste, der mitkommen wollte. Erst dann kamen die anderen dazu. Der Dritte schwieg. Er war schon wortlos zugestiegen. Er hatte das Floss nicht mit ins Wasser geschoben, war, wie aus einer spontanen Eingebung heraus, plötzlich dabei. Aus der Richtung meines ehemaligen Mitreisenden konnte man ein verächtliches Schnauben hören. "Oh ja, was für ein Augenblick. Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, wie ihr bei Tageslicht ausseht. Aber wer weiß, vielleicht treibt uns unser Kapitän wieder ans Ufer und wir können nach Hause gehen. Manche Geheimnisse wollen einfach nicht gelüftet werden." "Halt Dein dummes Maul, Mann. Du weißt, was Dich sonst erwartet." Der Alte hatte nicht bedrohlich geklungen. Ich wusste nicht, was den Anderen erwartete, wenn er weitersprach, aber es brachte ihn zum Schweigen. Das Schweigen breitete sich aus und vermischte sich mit dem Nebel des anbrechenden Tages, der über dem Wasser lag. Wir waren dem Flusslauf gefolgt und der Alte hatte mir bei der ersten Gabelung den linken Flusslauf empfohlen. Auch der Andere kannte einen Teil des Flusses und hatte hinzugefügt, dass der rechte Lauf nicht mehr sehr weit führen würde. Nun waren wir an einer weiteren Gabelung angekommen. "Und jetzt?" "Jetzt musst Du Deinen eigenen Weg finden." Das hatte der Dritte gesagt. Er hatte eine sehr leise Stimme. Ich war mir nicht mal sicher, ob er es wirklich gesagt hatte. Ich wählte den rechten Lauf. Die Sonne ging auf doch man sah es noch nicht. Der Himmel färbte sich nur gespenstisch grau und jeder wusste, dass ein Teil der Geheimnisse dieses Flusses bald verschwinden würde. Der Andere traute sich nach einer Weile wieder zu sprechen, auch wenn er nicht mehr so herausfordernd klang wie sonst. "Wie sieht das aus, alter Mann, wenn wir uns gegenseitig erkennen, stellen wir uns dann einander vor?" Der Ältere schwieg, doch der Dritte murmelte nach einer Weile etwas, das wie eine Antwort klang. "Wenn Du Deine Hand im Wasser gleiten lässt und der Nebel sich über Dein Gesicht legt, solltest Du wichtigere Dinge erfahren als unsere Namen." "Da ist eine Menge Zeug im Wasser." Der Ältere seufzte laut. "Er hat einfach keine Frage. Er ist hier, weil er versucht, etwas über unsere herauszufinden.", man konnte jetzt erkennen, wie der Ältere sich dem Anderen zuwandte. "Es ist so, als würdest Du Dich an der ersten Gabelung immer für den falschen Weg entscheiden. Selbst, wenn Du längst weißt, dass er nirgendwohin führt. Denk mal drüber nach." "Ihr haltet Euch wohl alle für sehr weise. Fahrt mit einem Floss und haltet Euch für gross." Der Andere kicherte vor sich hin und freute sich über seinen schlechten Reim. "Ich kenne Leute wie Dich.", die Frau hatte sich aus ihren Gedanken losgelöst, "ist es nicht so, dass in all Deiner Ablehnung der Wunsch nach Anerkennung steckt?" "Oh ja, Du hast recht! Alles, was mir fehlt, ist ein bischen Liebe. Sag mal, hast Du morgen Abend schon was vor? Ich bau uns beiden ein Floss..." "Wieso nicht?" "Ehrlich?" Der Andere war verstummt. Das hatte er wohl nicht erwartet. Jetzt war er still. Alle anderen waren auch still. Der Himmel hatte sich feuerrot gefärbt und durch den Nebel erkannte man die ersten Einzelheiten an den Reisenden. Neugierig blickte ich umher. Ich war wohl der einzige, denn die anderen blickten starr in eine Richtung. Die Frau sass entspannt in der Mitte des Flosses. Sie war in etwa so alt wie ich und hatte dunkles Haar. Sie war offensichtlich sehr dick eingekleidet, doch zu den ganz Dünnen schien sie auch nicht zu gehören. Der Andere stand hinten am Floss und schob den Kahn mit einer Stange voran. Da ich hinten stand, um mit meiner Stange die Richtung zu bestimmen, konnte ich ihn am besten erkennen. Er war wohl etwas älter als ich und machte einen sehr trägen Eindruck. Er war nicht sehr athletisch gebaut. Seine Gliedmaßen wirkten schwach und dünn, sein Bauch wölbte seine Regenjacke etwas nach vorn. Sein Gesicht sah müde aus und unter dem ungeflegten Bart war so etwas wie eine Brandblase zu erkennen. Er sah, dass ich ihn beobachtete, grinste mich aber nur verwirrt an und schaute dann in eine andere Richtung. Der Dritte stand vorne. Er wirkte erschreckend dünn. Er trug einen Mantel und seine schmalen Schultern füllten diesen kaum aus. Er blickte immerzu nach vorn, darum konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Der Ältere sah garnicht so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich hatte immer gedacht, er hätte einen weißen Bart, oder wenigstens ein markantes, von Bartstoppeln übersähtes Gesicht. Aber er war glatt rasiert. Seine Kleidung war sehr gepflegt - fast schon unpassend für die Reise auf einem Floss. Er trug eine Art grauen Anzug aus groben Stoff, der in Widerspruch zu den Gummistiefeln an seinen Füßen stand. Ich wollte diesen magischen Moment nicht zerstören. Ich wusste, dass ich diese Leute nicht mehr vergessen würde und dass sie alle eine wichtige Rolle für mein restliches Leben spielen würden. Wenn wir uns das nächste Mal am Ufer bei den Weiden treffen sollten, wäre es nicht mehr dasselbe. Ich grübelte noch eine Weile bis ich merkte, dass ich Hunger bekam und nach dem Rucksack griff, in dem ich etwas Proviant verstaut hatte. Wortlos bot ich allen Obst und belegte Brote an und wortlos aßen wir, den jüngsten Tag in unserem Leben begrüßend.

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Das Floss: "Die Ladung"

DIE IDEE: Der Kurzgeschichten-Zyklus "Das Floß" ist der (zugegebenermaßen relativ sentimentale) Versuch, Tagträume, Wirklichkeitsfluchten und Phantasien ganz verschiedener Personen festzuhalten. Sprachstil, Form und "Ernsthaftigkeit" der einzelnen Geschichten sind dabei völlig freigestellt.

DAS PROZEDERE: Den Rahmen für den Zyklus habe ich bereits geschrieben, er ist kursiv gesetzt. Wenn Ihr ein neues Kapitel schreiben wollt, kopiert bitte diesen Einleitungsteil (DIE IDEE und DAS PROZEDERE) und den Rahmen, legt eine neue Geschichte mit dem Topic "Das Floss" an, fügt den kopierten Text dort ein und schreibt Eure Geschichte darunter. Als Titel nehmt den Titel Eurer Episode.

Wenn die Fenster erloschen sind, ein leiser Regen die Letzten in die Häuser zwingt und der Wind den Abfall der Straße vor sich her treibt, träfe man auf eine äußerst merkwürdige Gesellschaft – unten, am Fluss – trieben Feuchtigkeit und Kälte einen nicht zurück ins Haus oder die Wohnung, ins Schlafzimmer oder auf die provisorische Schlafcouch, Hauptsache, ein Dach und etwas Wärme in dieser Nacht. Die Gestalten am Fluss stört dies wenig, tatsächlich sind Zeitpunkt und Witterung ihrer Treffen mit Bedacht so gewählt, dass niemand sie so, scheinbar schweigsam stehend, jeder und jede ganz in sich selbst versunken, anträfe oder gar störe. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen; Bäume, Weiden vor allem, stehen zwischen Ihnen und um sie herum, und auch sie, die dort stehen, kennen ihre Zahl nicht genau, können sich kaum sehen zu dieser Zeit an diesem Ort. Ein Autoscheinwerfer oder das Licht einer Lampe nähme diesem Bild schnell die romantisch-mystische Attitüde, die es durch die Umstände des Zusammenkommens nur zu leicht erhält. Das kurz aufblitzende Licht eines Feuerzeugs, das für kurze Zeit – geschickt abgedeckt – dem kalten Wind trotzt, deutet den wahren Anblick der Gruppe an, der sich bei hellem Tageslicht dem Spaziergänger böte.

Der Zweck dieser Zusammenkunft ist jedes Mal derselbe: Man baut ein Floß. Aus Weidenholz und fester Schnur, mit einigen Nägeln, Teer und Tuch wird ein großes Holzfloß gefertigt, das Platz für all jene bietet, die sich hier regelmäßig versammeln. Und doch ist es jedes Mal ein anderes. Genaue Form und Farbe des Gefährts wechseln ebenso wie Abfahrtszeit und Besatzung. Und immer steht eine andere der grauen Gestalten am Ruder, bestimmt die Fahrtziel und Fahrtrichtung.

Nach einiger Zeit der Sammlung und des Schweigens erhebt jemand die Stimme: „Ich habe ein Floß gebaut.“

Seine Stimme klang ängstlich, unsicher und eher fragend. Er war schon oft bei anderen mitgefahren, hatte ihnen geholfen, wenn es nötig war, hatte sich mit ihnen gefreut, wenn sie fanden, was sie nicht einmal bewusst gesucht hatten. Und heute war es an ihm das Ruder in die Hand zu nehmen: Sein erstes eigenes Floß. Aber gerade weil diese Menschen, die er nicht einmal genau kannte, die er immer nur in unregelmäßigen Abständen hier am Ufer traf, auf eine seltsame Art und Weise die einzigen waren, denen er so viel Vertrauen schenken konnte, fiel es ihm so ungeheuer schwer. Obwohl er schon mehrmals alles nachgesehen hatte, begann er noch einmal die Fugen zwischen den Hölzern abzutasten, die Festigkeit des Ruders zu prüfen – wird es gut genug dein? Er wollte auch noch einmal das Segel abtasten und nach dem Paket sehen, aber er hörte immer näher das matschige Geräusch der im Schlamm tretenden Schuhe der anderen. Die Schritte, die auf ihn zukamen waren stille Fragen, die doch mit jedem Takt lauter wurden. Wie viele mochten es heute sein? Fünf? Mehr? Er konnte es nicht mal annähernd schätzen, denn nicht nur die Dunkelheit, sondern auch der Nebel hatten schon den Bau des Floßes erschwert. Wie sollte man da erst auf dem Fluss steuern? Und doch wusste er nur zu genau, dass er es nicht noch einmal versuchen würde und je mehr er das Pochen in den Adern hörte um so klarer wurde ihm, dass er jetzt all seinen Mut zusammennehmen und es ihnen erklären müsste. Also noch einmal, etwas mutiger: „Mein Floß ist fertig!“ „Wie lange?“, eine ruhige nicht zu tiefe Männerstimme, die er kannte, aber keinem Gesicht zuordnen konnte. „Ich weiß noch nicht genau, ich...“ gedämpftes, vertrautes Kichern, von zwei oder drei anderen, dass aber bereits ausreichte um ihn zu unterbrechen. Obwohl es immer so war. Das gehörte fast schon so zum Ritual, wie die Schwielen an den Händen, der Geruch frischen Weidenholzes in der feuchten Nachtluft und der immer gleiche erste Satz. Denn wer von ihnen hatte schon genau sagen können, wie lange seine Reise gehen sollte? Hier unten gab es keine Zeit. Die Gesetze der anderen Welt mussten hier unten am Fluss von neuem ihre Gültigkeit beweisen, bevor man sie anerkannte. Und die Zeit verlor scheinbar jedes mal mit diesem ersten Satz ihre Existenz-berechtigung. Dieser Gedanke gab ihm Mut, Denn diesen ersten Schritt hatte er bereits getan. Jetzt gab es kein zurück mehr. „Es kann passieren, dass es Tage werden, ohne dass sich etwas ändert und es kann auch passieren, dass wir irgendwann einfach anlanden und zurückgehen, ich weiß es noch nicht. Aber ich möchte etwas versuchen. Ich kann es euch jetzt nicht erklären und ich kann jeden verstehen, der heute nicht mitkommt. Aber jeden der es trotzdem tut, werde ich da draußen dringend brauchen. Ich weiß nicht, ob mein Floß gut geworden ist, man konnte ja kaum was sehen. Ich kann euch nichts anbieten, nichts Schönes in Aussicht stellen, aber ich brauche euch.“ Jetzt war für kurze Zeit nur das Rauschen der Weiden zu hören, gegen dass er mit seiner nervösen Stimme hatte anreden müssen. Haben sie ihn nicht verstanden? Mag dieses mal keiner mitkommen? „Das habe ich doch alles schon mal irgendwo gehört... – also los!“. Die Stimme, von weiter hinten, schon ziemlich tief im feuchten, grauen Vorhang, kam ihm noch viel beruhigender und tiefer vor, als sie es in natura hätte sein können. „Ich bin dabei“. Das kam von sehr nah, gehörte wahrscheinlich zu dem großen Schatten den er rechts vor sich zu erkennen glaubte. Ohne weitere Erklärungen hörte er wieder Schritte, konnte Gestalten erahnen, Arme, die sein Floß in Bewegung setzten. „Also los!“, auch er drückte das im tiefen Boden steckende Floß Richtung Wasser, dass sich langsam, dann immer schneller, immer leichter werdend, schließlich schwimmend auf die Flussmitte zu bewegte. Ein letztes tiefes Platschen, fast Rauschen, noch einmal neigte sich das Floß leicht und dann Stille. Jetzt waren alle an Bord. Die Schatten, die er jetzt noch am Ufer zu sehen glaubte, würden nicht mitkommen. Aber es war ihm von Anfang an klar, dass heute nicht alle mitkommen konnten. Vielleicht würden die, die jetzt noch da waren, die richtigen sein. Wie viele mochten es sein? Einer hatte ihn beim Aufsteigen fast umgerempelt, als er noch schob, um dann weiter vorn Platz zu nehmen. Mindestens ein weiterer musste auf der anderen Seite mitgeschoben haben und noch einer war nach ihm eingestiegen. Also wären sie mindestens zu viert. Ob auch eine der Frauen dabei war? Besorgt schaute er nach dem Paket, dass er schon beim Bau etwa in der Mitte zwischen Mast und Ruder abgelegt hatte. Ob es schon nass geworden ist? Der schwarze Müllsack, in den er es gesteckt hatte war nicht verschnürt, aber an dem Rascheln das er durch das Tasten mit der linken Hand erzeugte, konnte er erkennen, dass es noch da war. Die Rechte umklammerte das Ruder jetzt noch fester. Hoffentlich ist keiner dabei, der viele Fragen stellt. Wenn nur sein Freund mit der grünen, schon lange nicht mehr gewachsten Jacke und der ruhigen Art dabei wäre. Bald wird er mehr wissen, bald, wenn die Sonne aufgeht. Dann wird er die drei Gestalten erkennen können, die bei ihm sind ohne dass er sie jetzt schon so genau zählen könnte und von denen entscheidend abhängt ob er es schaffen kann. Vielleicht wird er dann schon eine Ahnung haben, ob es die richtigen sind und ob er seine Last über Bord werfen kann, ohne dass sie ihn selbst mit in die Tiefe zieht.

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Das Floß: Auf dem Wasser

DIE IDEE: Der Kurzgeschichten-Zyklus "Das Floß" ist der (zugegebenermaßen relativ sentimentale) Versuch, Tagträume, Wirklichkeitsfluchten und Phantasien ganz verschiedener Personen festzuhalten. Sprachstil, Form und "Ernsthaftigkeit" der einzelnen Geschichten sind dabei völlig freigestellt.

DAS PROZEDERE: Den Rahmen für den Zyklus habe ich bereits geschrieben, er ist kursiv gesetzt. Wenn Ihr ein neues Kapitel schreiben wollt, kopiert bitte diesen Einleitungsteil (DIE IDEE und DAS PROZEDERE) und den Rahmen, legt eine neue Geschichte mit dem Topic "Das Floß" an, fügt den kopierten Text dort ein und schreibt Eure Geschichte darunter. Als Titel nehmt den Titel Eurer Episode.

Wenn die Fenster erloschen sind, ein leiser Regen die Letzten in die Häuser zwingt und der Wind den Abfall der Straße vor sich her treibt, träfe man auf eine äußerst merkwürdige Gesellschaft – unten, am Fluss – trieben Feuchtigkeit und Kälte einen nicht zurück ins Haus oder die Wohnung, ins Schlafzimmer oder auf die provisorische Schlafcouch, Hauptsache, ein Dach und etwas Wärme in dieser Nacht. Die Gestalten am Fluss stört dies wenig, tatsächlich sind Zeitpunkt und Witterung ihrer Treffen mit Bedacht so gewählt, dass niemand sie so, scheinbar schweigsam stehend, jeder und jede ganz in sich selbst versunken, anträfe oder gar störe. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen; Bäume, Weiden vor allem, stehen zwischen Ihnen und um sie herum, und auch sie, die dort stehen, kennen ihre Zahl nicht genau, können sich kaum sehen zu dieser Zeit an diesem Ort. Ein Autoscheinwerfer oder das Licht einer Lampe nähme diesem Bild schnell die romantisch-mystische Attitüde, die es durch die Umstände des Zusammenkommens nur zu leicht erhält. Das kurz aufblitzende Licht eines Feuerzeugs, das für kurze Zeit – geschickt abgedeckt – dem kalten Wind trotzt, deutet den wahren Anblick der Gruppe an, der sich bei hellem Tageslicht dem Spaziergänger böte.

Der Zweck dieser Zusammenkunft ist jedes Mal derselbe: Man baut ein Floß. Aus Weidenholz und fester Schnur, mit einigen Nägeln, Teer und Tuch wird ein großes Holzfloß gefertigt, das Platz für all jene bietet, die sich hier regelmäßig versammeln. Und doch ist es jedes Mal ein anderes. Genaue Form und Farbe des Gefährts wechseln ebenso wie Abfahrtszeit und Besatzung. Und immer steht eine andere der grauen Gestalten am Ruder, bestimmt die Fahrtziel und Fahrtrichtung.

Nach einiger Zeit der Sammlung und des Schweigens erhebt jemand die Stimme: „Ich habe ein Floß gebaut.“

"Hallo?" In dieser Jahreszeit war es jetzt immer sehr früh dunkel und man konnte mittlerweile kaum noch die Hand vor Augen sehen. "Na kommt schon! Ich weiß, dass einige von Euch da sind. Ich höre es doch rascheln. Was ist los mit Euch? Ich habe ein Floß gebaut!" Eine Stimme ertönte aus unerwarteter Nähe. Sie war fast neben meinem Ohr. "Warum baust Du bei dieser Scheißkälte ein Floß? Bist Du lebensmüde? Ich wollte eigentlich nur sehen, ob jemand von Euch hier ist. Hatte nichts besseres zu tun. Aber das einer auf die Idee kommen würde, ein Floß zu bauen..." Eine weitere, viel ältere Stimme erklang. Sie war etwas weiter entfernt, dafür aber lauter und eindringlicher. "Was bildest Du Dir ein, jemanden zu kritisieren, der ein Floß gebaut hat. Du solltest wissen, dass es sein gutes Recht war, das zu tun." Die ältere Stimme war allen bekannt. Man vermutete, dass die Person, die dahintersteckte, damals alles begonnen hatte. Genau wusste man das aber nicht. Jetzt sah man, woher die nähere Stimme kam: Der Blitz eines entzündeten Feuerzeuges erhellte kurz ein unrasiertes Gesicht - grinsend? Konnte man nicht genau sagen. Ein roter Punkt leuchtete auf - eine Zigarettenglut. Ich konnte den Rauch riechen. "Also was nun, kommt jemand mit?" "Und wo soll es hingehen? Lass Dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Du kennst doch das Ritual: Floß bauen, sagen, wohin es gehen soll und was einen dort erwartet." Der rote Punkt hüpfte hin und her und deutete darauf hin, dass der Nähere wild mit den Armen gestikulierte. "Wohin? Irgendwohin. Weit weg. Die ganze Nacht lang flussabwärts. Eigentlich wollte ich alleine fort. Aber ich will mich an die Regeln halten und fragen, ob jemand mitmöchte." Ein Seufzen vom Näheren. Der Ältere schwieg. Einen Moment lang hörte man garnichts außer dem Wind und dem leisen Rauschen des Flusses. "Ich frage mich, was aus all den Flössen geworden ist...", der rote Punkt leuchtete hell, man hörte, wie Rauch ausgeblasen wurde, " ... und was wir machen werden, wenn keine Weiden mehr da sind." Kichern. Der Nähere hielt sich scheinbar für sehr schlau. "Der Fluss wird schon bald zugefroren sein. Was meinst Du, wie weit Du kommen wirst?" Der Ältere hatte gesprochen. Seine Stimme war allerdings von woanders gekommen. "Ich schätze, er will garnicht weit kommen. Er klingt wie jemand, der aufgehalten werden möchte. Hörst Du denn nicht, wie er wimmert und fleht?" Auf einmal ertönte ein dumpfer Schlag. Der rote Punkt war verschwunden. Man hörte, wie etwas auf den Boden klatschte. Der Ältere schien jetzt direkt neben mir zu stehen. "Ich habe ihn nie gemocht. Er hat garnichts verstanden. Er hat das alles hier schon immer für einen Scherz gehalten. Komm, ich helfe Dir mit Deinem Floß. Ich hoffe, Du hast genügend Proviant dabei." Das schwere Floß, das ich mit äußerster Sorgfalt angefertigt hatte, damit das eiskalte Wasser nicht so schnell ins Innere drang, wurde neben mir weggezogen. Der Alte Mann konnte es wohl mit Leichtigkeit ganz alleine ziehen, obwohl es mir schon viel Mühe bereitet hatte. Vielleicht war er wirklich der Erste hier gewesen. Als ich mein Fahrzeug vom Ufer abstieß und in die dunkle Nacht davontrieb, glaubte ich im Mondlicht seine Umrisse sehen zu können. Er winkte. "Gute Reise. Und bis zum nächsten Mal. Hoffentlich hört man mal wieder von Dir." In der Stimme des Alten lag eine Mischung aus Freude und Traurigkeit. Er wusste genau, wohin ich wollte, da war ich mir sicher. Er wusste es, obwohl ich selbst es nicht mal genau wusste.

Sanft glitt ich mit der Strömung den Fluss hinab, fast lautlos bewegte sich mein Floß durch das Wasser. Ich hatte es geschafft. Allein, ich war allein. Das Floß hätte Platz für mindestens 4 von ihnen gegeben, aber ich war allein. Ein eiskalter Wind durchdrang meinen Mantel. Der Alte hatte Recht, es war ein Wunder, dass der Fluss immer noch befahrbar war. Nicht mehr lange würde es dauern, bis hier kleine Kinder mit ihren Schlittschuhen auf dem Eis umhertollten, Liebespaare hand in hand nebeneinander führen. Aber noch war der Weg frei, mein Weg. Ich habe meine Reise nie als Flucht begriffen, eigentlich wollte ich auch nie fahren, zumindest nie allein. Der Alte hätte mit mir kommen können, er blieb am Ufer stehen und wird den nächsten helfen ihr Floß zu Wasser zu lassen. Mir war nie klar geworden, warum er dort am Ufer war. Nie hatte ich den Eindruck, dass er selbst fahren wollte. Vielleicht hatte er den Zeitpunkt verpasst, er wusste es, konnte sich nur nicht von diesem Ort trennen. Der Fluss wurde hier enger und schneller. Ich spürte deutlich die Strömung an mein Ruder drücken. Aber ich hatte keine Angst. Zu lange hatte ich mein Floß geplant und sorgfältig gebaut. An meinen Augen zogen die Gebäude vorbei, lange beleuchtete Fabrikanlagen. Ich hatte mir ausgemalt wie das Gefühl sein würde, wenn ich endlich los käme. Großes hatte ich erwartet, nun war aber alles anders. Fast ein wenig enttäuscht war ich, weil niemand den Weg mit mir gehen wollte. Allein ist alles anders, wachsam müsste ich sein, keinen Schlaf würde ich mir gönnen können. Keine Pause, keine Rast. Ich würde das Steuer führen müssen, allein bis zu meinem Ziel. Mein Ziel. Es war nun so dunkel, dass ich nur anhand der spärlichen Laternen am Ufer meine Richtung bestimmen konnte, kein Mond, der zumindest ein bisschen Licht spendet. Ich war dem Fluss ausgeliefert, seinen Launen. In einem Buch hatte ich vor einiger Zeit gelesen, dass die größten Kapitäne nicht schwimmen konnten und daher besonders sorgsam mit ihren Schiffen umgingen. Ich konnte Schwimmen, zumindest hatte ich es einmal gelernt, aber was würde das ausmachen. Bei diesem Temperaturen würde ich mich keine 2 Minuten über Wasser halten können, bevor meine Muskeln versagen. Glücklicherweise würde ich aber auch keinerlei Bekanntschaft mit dem eisigen Wasser machen, mein Floß war der sicherste Ort der Welt. So in Gedanken versunken wäre ich fast gegen das Ufer gefahren, der Fluss machte hier ein Biegung und das Wasser Floß hier außen schneller als in der Mitte, wo ich eigentlich hin gehörte. Es hätte es fast nicht bemerkt, aber am Ufer lagen die Reste eines Floßes, nur einige Augenblick zu sehen. War es wirklich eines. Weidenstämme, etwas Tau. Das war ohne Zweifel ein Floß gewesen. Ich versuchte mich zu erinnern. Vor einigen Tagen waren sie aufgebrochen oder war es schon vor Wochen, eine Gruppe von jungen Wilden. So weit waren sie also gekommen. Ich erschrak. Was war aus ihnen geworden, hatte ihr Floß nicht gehalten, war zerbrochen, die Taue gerissen? Waren sie ertrunken? Ich versuche die Gedanken beiseite zu wischen, zu vergessen. Eines war sicher, sie waren nicht weit gekommen. Aber das war ihre Reise, vielleicht sollten sie nur ein paar Meter fahren. Mein Weg war ein anderer, ein längerer, das spürte ich.

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