Suchen Sie einen Reiseführer?
Donnerstag, 2. Dezember 2004
Suchen Sie einen Reiseführer?

1. Abschnitt: Die Mitte zuerst 2. Abschnitt: Neoetatistisches Ökonomengeschwurbel 3. Abschnitt: Scheiß neue Energien 4. Abschnitt: heimaterde reloaded 5. Abschnitt: Ottos Mops 6. Abschnitt: Lauter bekannte Gesichter 7. Abschnitt: Auftritt Don Eddi

Sprung. Ich stehe vor einer Hausfassade, mit ein paar Bleistiftstrichen angedeutet, die Flächen digital nachbearbeitet, leicht verwischt an den Rändern, so dass der Eindruck eines blassen Aquarells entsteht. ‚Willkommen in Mitten’, sagt eine Stimme, die ich nicht lokalisieren kann. Wenn das Gottes Stimme ist, bin ich enttäuscht. Etwas mehr Timbre hätte ich schon erwartet, einen leichten Raucherhusten vielleicht, etwas mehr Lebenserfahrung. Flüchtig gehe ich ein paar andere Oberdurchblicker durch, die mir aus Filmen, Büchern und Videospielen geläufig sind, doch der Stimmenabgleich führt zu keinem Ergebnis. Das mag daran liegen, dass alle, die mir einfallen, wie Frank Sinatra sprechen und dieser Typ hier klingt eher, als habe er Schnupfen. [read on]

Ich will nach Hause. Schade, dass ich keinen Schimmer habe, wo das ist. Entschuldigung, sage ich, ich bin gerade etwas überfordert. Könnten Sie mir vielleicht kurz erklären, wer und wo ich bin? ‚Nein’, näselt die Stimme, ‚ich habe zu tun. Wenn du einen Reiseführer benötigst, musst du ins Turistbureau. Das ist dänisch und bedeutet Touristen-Information. Dort gibt es Führungen für sechs Plocken, Gratis-Mittag inklusive. Sieben Plocken, acht Plocken, neun Plocken, zehn Plocken…’ Entschuldigung, rede ich gegen das monotone Aufzählen von Plocken an, was sind Plocken? ‚…Vierzehn, Plocken, fünfzehn Plocken, sechzehn… Währung… Plocken, siebzehn Plocken…’ Was zählen Sie denn da?! ‚Inflation …einundzwanzig Plocken, fünfundzwanzig Plocken… steigende Nachfrage … vierzig Plocken … Kapitalismus, Marktgesetze … achthundert Plocken, neunhundert Plocken…’ Ich verstehe nicht, bitte… ‚Weiter steigende Nachfrage …siebentausend Plocken, siebzehntausendachthundert Plocken…’ Könnten Sie damit eventuell aufhören? ‚Klar. Dreißigtausend. Tschuldigung. Zum Tursitbureau, richtig?’

Sprung. Er verteilt seine Kreativität sehr ungleichmäßig. Die gleiche Fassade, eine etwas andere Schattierung, die durch den Austausch einer Ebene zu erzielen ist. Doch gibt es eine Glastür in der Mauer (eine weitere Ebene) und ein reich verziertes Schild darüber (weitere Ebene), viel zu viele Schnörkel, denke ich, was für eine Zeitverschwendung, diese ganzen einzelnen Linien. Turistbureau lese ich. Weitere Ebene. Ich stehe unschlüssig vor der Tür herum. Der Gedanke hat sich festgesetzt, dass der Eintritt achtzehntausendsiebenhundert Plocken kostet und ich keine achtzehntausendsiebenhundert Plocken habe. Noch nicht jedenfalls, der König schmeißt angeblich ein paar Mal im Jahr einen Sack mit Kleingeld in die Gasse vor dem Palast, um herumstreunende Hunde zu erschlagen. Es heißt, er habe panische Angst vor ihnen. Soll ich nun wochenlang auf der Straße warten, bis mir ein Geldsack aus dreihundert Metern Höhe entgegensaust? Das macht keinen Sinn, denke ich und schelte mich sofort für den doppelt unnötigen Anglizismus. Onkel Sinn kommt später, viel später, denke ich und beschließe, im Turistbureau auf ihn zu warten. Offenbar ist das Warten kostenlos, zur Strafe gibt es nichts zu sehen, sogar die Stühle muss man sich vorstellen, um sich setzen zu können, sein Sinn für Möbel scheint sehr begrenzt. Stimme, sage ich ein paarmal in den leeren Raum hinein, gibt es hier eine Auskunft? Fast sofort bin ich froh, dass niemand antwortet, man hätte mir wahrscheinlich wieder Preise genannt, die eine Auskunft kostet, astronomische Preise, meterhohe Stapel Plockenscheine, ja, Papiergeld gibt es hier, sagt mein Kopf, es ist irgendwie grün. Das lange Warten macht mich durstig. Lässt sich sitt eigentlich steigern? So wie satt? Sitt, sitter, am sittesten? Eigentlich unnötig, entweder man ist sitt, oder man ist es nicht, also noch durstig, die Grade des Durstigseins hingegen, die können sich unterscheiden. Man kann ja auch nicht schwangerer sein als jemand anderes, fällt mir das Schulbeispiel wieder ein, aber geil, geiler, am geilsten geht schon, je nach körperlicher und seelischer Verfassung. Eine Fanta kostet sechzehn Plocken, fast schon bezahlbar, aber immer noch sehr weit entfernt von Null.

Sprung. Der Park, in dem ich stehe, heißt Daggeldoyn-Park. Das habe ich nicht einfach so erfunden, das steht auf dem großen Holzschild am Eingang. Wieder so ein aufwändig gemaltes Schild. Wo nimmt er bloß die Zeit her? Man sollte sich viel mehr in Parks aufhalten, da gibt es Schwäne und Rentner und alte Brotstücke, Bäume, sowieso viel Grünzeug und wenig Leute. In so einem Park kann man zur Ruhe kommen, vielleicht joggen gehen und Eichhörnchen beobachten, alles Dinge, zu denen man zu Hause oder im Büro nicht kommt. Stimme, hast du kurz Zeit? Ich bin fast sicher, dass ich rasselndes Atemgeräusch durch die Bäume streichen höre, ansonsten bleibt es still. Auch die Schwäne schnattern nicht, oder wie die entsprechenden schwanadäquaten Geräusche auch heißen mögen, sind ja auch gestiftete Schwäne, wie der ganze Park, deshalb kostet er keinen Eintritt, keinen einzigen Plocken. Ich wüsste gerne mehr über diese Währung. Was es wohl kostet, einen Park zu stiften? Wahrscheinlich kann man zumindest einen Teil steuerlich absetzen, wird Ehrenbürger, kommt in alle Museen und Theater umsonst herein, sowas muss man fairerweise gegenrechnen. Kann sogar sein, dass sich so etwas lohnt, wenn man jeden Tag ins Museum geht und ins Theater und ins städtische Schwimmbad. Alb, denke ich, das ist irgendwie mein Name. Mir fallen Alben ein, Fotoalben, die Alpen, Almhütten. Albern. Es gibt einen Abzählvers mit Albert und Ruth, denke ich. Weil beides sowohl Namen als auch die Beugungen von Verben sind, kann Albert albern und Ruth ruhn, nur dass natürlich Albert albert und Ruth ruht und das ist noch witziger als die indirekte Rede. Wenn momentan kein Krieg ist, sollte es schnellstens einen geben, so etwas reinigt ja angeblich die Luft. Ich finde es sehr stickig, trotz Bäumen und Teich, immer die selben Schwäne und Rentner, da käme so ein Krieg gerade richtig mit seinen Blitzen und dem Donner. Da verschwinden die feigen Exemplare ganz schnell irgendwohin, nur die ganz harten bleiben da und füttern und futtern das Brot, je nach Rollenverteilung. Herrn Daggeldoyn stelle ich mir als einen kleinen, schmächtigen Säufer vor. Weil ich für Details noch nie einen Sinn hatte, nehme ich als Modell den Säufer, mit dem Asterix und Obelix in Die Goldene Sichel in Lutetia im Gefängnis saßen. Dieses gallische Dorf an der Küste erinnert mich an etwas.

Sprung. Warum auch nicht. Irgendwann muss jeder mal zum König, zumindest dann, wenn er Zahnschmerzen hat. Da hilft kein Jammern und kein Stöhnen und umsonst ist es auch. Sagt die Stimme. Eigentlich war ich fest davon überzeugt, die Stimme sei der König, aber was gelten Überzeugungen heute noch? Nichts, sagt die Stimme, König sei ein Scheißjob, den wolle sie geschenkt nicht haben. Da sie eh gerade in Antwortlaune ist, frage ich sie, ob ich im falschen Film bin. Nein, der Film sei schon korrekt, nur sei ich falsch. Nicht vorgesehen, keine Handlungsroutinen programmiert, man wisse nicht, wie mit mir umgehen. Der König kommt gerade von der Schweinejagt, seine Augen glitzern etwas wirr, dass er auch im Thronsaal noch auf seinem Pferd sitzt, nimmt man ihm nicht übel, schließlich ist er hier zu Hause. My castle is my home, sagt er. I-AAH!, sagt das Pferd und er steigt ab. Fremdsprachenkorrespondenzreitgelegenheit, sagt er und holt seinen Laserbohrer. Wo tuts denn weh? Ist schon viel besser, antworte ich, es ist nur dieses Brummen im Kopf, ich sollte mich wohl etwas hinlegen. Ach, Etwart, ruft der König, sag dem Archivar, dass er sich mal was ausdenken soll wegen Albert, der käme nun aber auch so was von überhaupt gar nicht zurecht, das ginge ja nicht an. Der täte einem ja regelrecht leid, so wie er guckt. Indirekte Rede ist anstrengend, denke ich, weil die Anführungszeichen fehlen. Fehlt überhaupt einiges hier. Gab es wirklich einmal einen Gameboy Advance mit Hypnosefunktion? Ja, sagt Etwart, mit sowas spielt man nicht, gehmse ma her. Ich packe das ganze verdammte Land in die kleine graue Kiste mit dem Display zurück, die Schwäne schnattern plötzlich sehr unschwanenhaft, der Archivar kichert leise und verschnupft und der Teich fließt mir über die Finger. Da, sage ich, das ist doch dumme Scheiße.

„Nein“, sagt Etwart leise und steckt den Gameboy vorsichtig in ein graues Futteral, „das ist nur noch nicht ganz fertig. Willkommen in der Ständigen Vertretung von Glogmonien“.

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Hurra!

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Und? Ist die Geschichte nun vorbei?

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wat?? nee!

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... und wie bist Du überhaupt an der Wache vorbei zum König gekommen?

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Endlich habe ich herausgefunden, was "ständige Vertretung" überhaupt bedeutet. Bislang hatte ich es für eine subtile Form der Beschwerde gehalten. Darüber, dass Glogmonien nur in einem so schneckenmäßigen Tempo wächst und man an den meisten Türen und Toren mehr oder weniger freundlich vertröstet oder zurückgewiesen wird (was durchaus beklagenswert, aber leider für ein 1-Mann-Freizeitunternehmen nicht anders zu handhaben ist).
Für all diejenigen, die einen wohl üblichen politischen Terminus ebenfalls nicht kannten, hier die Aufklärung:

Ständige Vertretung
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als Ständige Vertretung (StäV) bezeichnet man Institutionen, die die Funktionen einer Botschaft erfüllen, wenn die Einrichtung einer "echten" Botschaft nicht möglich ist. Dies ist dann der Fall, wenn die StäV

* sich in einem Land befindet, das von dem Staat, der die StäV unterhält, nicht offiziell anerkannt wird, oder
* ihre Botschaftsfunktion nicht in einem souveränen Staat, sondern in einer internationalen Organisation (UNO, EU) ausübt.

Die Regierungen der BRD und der DDR eröffneten am 1. Mai 1974 in Bonn bzw. Ost-Berlin Ständige Vertretungen, da sich beide Staaten völkerrechtlich nicht als Ausland anerkannten. Basis dieser Einrichtungen war der Grundlagenvertrag von 1972.

Die Bundesrepublik Deutschland unterhält Ständige Vertretungen unter anderem bei der EU und den Vereinte Nationen.

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Unter Ständige Vertretung kann man aber auch wat anderes verstehen. Es lebe die Deutungshoheit.

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